Flucht aufs Wasser:Mein alter Mann und das Meer

Mann am Meer
(Foto: Illustration: Jean Jullien)

Der Vater unserer Autorin liebt die See. Immer wenn die Welt ihm zu viel wurde, floh er aufs Boot. Doch inzwischen hat das Meer ihn ganz davongetrieben. Die Geschichte einer Entfremdung.

Von Alexandra Rojkov, SZ-Magazin

Es habe mit einem Traum begonnen, sagt mein Vater. In den Achtzigerjahren war er Offizier der russischen Armee, ein Zwanzigjähriger mit wildem Haar. Seine Eltern hatten ihn überredet, sich bei der Militärakademie zu melden; eine Laufbahn dort versprach Sicherheit und Ruhm. Also wurde mein Vater Soldat. Er marschierte und trat zum Appell an und fragte sich jeden Tag, welchen Sinn dieses Leben hatte. Er wollte desertieren. Er traute sich nicht. Eines Nachts, im Schlaf, sah er Wellen. Er träumte von der Weite des Wassers, und als er am Morgen aufwachte, wusste er, was zu tun war. Er stiftete einen seiner Soldaten an, mit ihm ein Kajak zu suchen. In einem Vorort von Moskau fanden sie ein gebrauchtes Faltboot. Mein Vater kaufte es für 40 Rubel. Er lebte damals in einer Soldatenbaracke, und weil er keinen anderen Ort wusste, baute er das Kajak in seinem Zimmer auf. Das Boot war so lang, dass es zum Fenster hinausragte. Er sah es an und wusste nicht, wohin damit. Es gab nur Kasernen in der Nähe, kein Wasser.

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