Es ist 16.00 Uhr am Nachmittag, oder ist es schon 17.00 Uhr? Keine Ahnung, aber das ist auch nicht wichtig hier in Key West. Alle schauen versonnen in ihre Biergläser.
Kein Kunde ist in Sicht, der Lust auf Hochseeangeln hätte; Lust auf ein Match "Mann gegen Marlin" für echte Kerle da draußen am Riff, wo jetzt nur ein paar Pelikane auf den Wellen dösen. Warmer Wind streicht um die Bar und bleibt im Strohdach hängen. Bob Marley singt dazu "Coming in from the Cold". Ernest Hemingway hätte diese Szene sicher gemocht.
Enklaven wie die "Schooner Wharf Bar", wo die Zeit seit den 30er Jahren stehengeblieben zu sein scheint, als Amerikas talentiertester Säufer Hemingway hier Weltliteratur produzierte, gibt es noch immer in Key West ganz im Süden des US-Bundesstaates Florida.
Es gibt hier auch immer noch Straßen, auf denen Hühner und Katzen herumstreunen und hin und wieder von knatternden Mopeds in die Bougainvilleen gescheucht werden. Und es gibt weiterhin schöne Häuser mit weitläufigen Veranden, auf denen die Bewohner in Hängematten dösen.
Auch Hinterhöfe mit wild wuchernden Kokospalmen, Ylang-Ylang und Jacaranda sind noch zu finden. In ihnen sausen bunte Vögel hin und her, und lächelnde Menschen, die sich nach einer hiesigen Muschelart "Conchs" nennen, behaupten hier von sich, sie seien im Paradies. All das gibt es noch - trotz der Duval Street, der Hauptverkehrsachse und lärmenden Partyzone. Denn Hemingways Key West hat sich in einer von tropischem Dickicht eingemauerten Parallelwelt eingeigelt.
Allein dass es diese Welt noch gibt, ist erstaunlich: Amerikas berühmteste Koralleninsel ist nur 3,2 mal 6,4 Kilometer groß, wird von 25 000 Menschen bewohnt und von mehr als vier Millionen Touristen jährlich heimgesucht. Das Rezept der "Conchs"? "Ich habe wirklich keine Ahnung, was da drüben los ist", versichert die Rezeptionistin in der Frühstückspension "Avalon" und nickt Richtung Mallory Square, wo sich die Touristen tummeln.
Dorthin sind es zu Fuß keine 20 Minuten, doch sie sei seit Jahren nicht mehr dagewesen, sagt die Frau. Zu voll, zu laut, und überhaupt: Sie habe auch gar keine Zeit. "Nach Feierabend besuchen wir einander in unseren Gärten." Und sie erzählt von Daiquiris in der Hängematte, herrenlos durch die Hinterhöfe streunenden Hühnern und der schönsten Zeit des Tages, wenn das Licht der untergehenden Sonne noch eine Weile in den Palmwedeln hängt und die Mücken im gelben Licht tanzen.
So wie ihr Garten habe sich früher ganz Key West angefühlt, sagt die Rezeptionistin. Früher, das war die Zeit vor dem Massentourismus. Dass das alte Key West überleben konnte, mag auch an dem überall wuchernden Tropendickicht liegen. Undurchdringlich und betäubend, hält es selbst die Sorge über die explodierenden Lebenshaltungskosten außen vor - die meisten Insulaner arbeiten in zwei oder drei Jobs, um ihre Rechnungen bezahlen zu können.
Besucher begegnen der alten Zeit, sobald sie den Mallory Square verlasen. Sofort hängt Jasminduft schwer in der Luft, irgendwo quietscht eine Tür, ein Hahn kräht. Hier verstecken sich jene Oasen, denen Key West sein Image verdankt. Oder könnte man sich das Freitag abends im Restaurant "Turtle Kraals" stattfindende Schildkrötenrennen auch in Miami vorstellen? Würde man in Palm Beach ebenso leicht Menschen wie Nancy Forrester treffen? Ihr "Secret Garden", ein 4000 Quadratmeter großer Regenwald an der Elizabeth Street, ist das Resultat ihres unermüdliches Kampfes gegen die Betonierung der Insel.
Wie Hemingway vor 60 Jahren essen und trinken können Urlauber im Bahama Village, dem historischen Schwarzenviertel von Key West. Hier gibt es zum Beispiel frischen Kokoskuchen in "Henrietta's The Art of Baking", einer kleinen Bäckerei an der Petronia Street. Oder Shrimps und Key Lime Pie, die berühmte Limettentorte, im Restaurant "Blue Heaven", wo Hemingway einst Hahnenkämpfen zusah und Katzen und Hühner bis heute zum charmant verlotterten Inventar gehören.
In der "Schooner Wharf Bar" geht der Barkeeper ein wenig in die Knie. Dann kneift er ein Auge zusammen, peilt über den Zapfhahn den Stand der Sonne und sagt "20 vor Fünf". Dabei verzieht er das Gesicht, als habe jemand ein Glas Milch bestellt.
Ein paar Enklaven des alten Key West gibt es noch. Und sie leisten Widerstand gegen den Massentourismus mit der berühmten Leichtigkeit, die hier "Key spirit" heißt und den Besucher einlullt, sobald er sich treiben lässt. Dann stößt er fast zwangsläufig auf Perlen wie diese aus Treibgut zusammengestellte Bar, wo der Mann hinter der Theke die Theorie aufstellt, dass nur mit Fidel Castros Hilfe alles wieder so werden könne wie früher.
Wie das? Der Barkeeper lächelt listig und gießt Rum über die Eiswürfel. "Wenn Fidel stirbt, werden unsere Fähren nur so nach Havanna rasen und Key West links liegen lassen." Ob er das gut oder schlecht findet, behält er für sich, und über den Gläsern steigen knisternd kleine Kältewolken auf.
Informationen
Anreise und Formalitäten:
Nächster internationaler Flughafen ist Miami. Dorthin fliegt Lufthansa täglich von Frankfurt/Main und LTU regelmäßig von Düsseldorf aus. Die Flugzeit beträgt knapp zehn Stunden. Von Miami aus gibt es Anschlussflüge nach Key West. Autofahrer sind auf dem Overseas Highway etwa vier bis fünf Stunden unterwegs. Deutsche Urlauber brauchen für bis zu 90 Tage Aufenthalt kein Visum, aber einen maschinenlesbaren Pass. Nach dem 26. Oktober 2005 ausgestellte Pässe müssen biometrische Daten aufweisen.
Unterkunft:
Die Palette an Unterkunftsmöglichkeiten reicht von einfachen Guest Houses über Bed-and-Breakfast-Häuser in mittlerer Preisklasse bis hin zu luxuriösen Fünf-Sterne-Hotels.
Internet:
www.fla-keys.de, www.visitflorida.com