Süddeutsche Zeitung

Florianopolis in Brasilien:Die Stadt, in der alles geht

Strandleben, Party, Regenwald: Florianopolis bietet eine wilde Mischung. Deshalb ist die Stadt längst nicht mehr nur bei Brasilianern beliebt.

Von Janek Schmidt

Die Tattoos von Bruno Chiappinelli sind ein klares Bekenntnis. Dick eingraviert stehen die Buchstaben "S-P-B-R" auf seiner linken Hand. Und als ob die Abkürzung für "São Paulo, Brasilien" noch nicht genug Lokalpatriotismus wäre, folgt auf den restlichen Fingern seine komplette Adresse: "CT" für sein Viertel "Cidade Tiradentes", die Postleitzahl "08490-600", der Apartment-Block "31 C" und sogar die Hausnummer "701". Doch für Chiappinelli ist diese verewigte Erinnerung auch eine Art Abschiedsschreiben, das er über die vergangenen Jahre komplettiert hat. Denn wie so viele seiner Landsleute ist auch er aufgebrochen, um woanders eine bessere Zukunft zu suchen.

"Ich liebe São Paulo, weil ich da aufgewachsen bin", sagt Chiappinelli. Aber das Leben dort sei gefährlich, teuer und stressig. "Mein Weg in die Arbeit dauerte täglich zwei Stunden, da habe ich jede Woche einen Tag meines Lebens im Verkehr verloren." Nach seinem Uniabschluss fuhr er 2009 erstmals auf die Insel Florianópolis. "Von da an hatte ich denselben Traum wie so viele Brasilianer: Ich wollte hier immer Urlaub machen, oder am besten gleich hier leben."

Diese Begeisterung teilen inzwischen immer mehr Ausländer. Das Time Magazine erklärte Florianópolis zum "Himmel für Wassersport-Fans", das Wall Street Journal schwärmte von der "ungewöhnlichen Mischung aus Großstadt-Komfort und roher Natur", und die New York Times kürte die Insel zur "angesagtesten neuen Party-Location Lateinamerikas".

Die Besonderheit von Florianópolis beginnt beim Namen. An sich steht er nur für die Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Santa Catarina. Doch es schwingt mehr darin mit. Denn ein Teil dieser Stadt liegt auf dem Festland, der andere auf der vorgelagerten Insel. Verbunden sind die beiden Stadthälften durch eine 1200 Meter lange Brücke. Dort herrscht ständig Stau, da viele wie Chiappinelli hier die Verbindung mit dem Paradies sehen. Wenn sie von "Floripa" sprechen, dann denken sie an die gesamte Insel - und an ein bestimmtes Lebensgefühl.

"Schau mal da runter, besser geht's doch nicht", sagt Chiappinelli und deutet auf den Fischerort Barra da Lagoa an der Ostküste der Insel. Von der Terrasse der Bar, in der er arbeitet, sieht man einen Fluss, eine Bucht und einen langen Strand. "Als Barkeeper verdiene ich hier zwar ein Drittel weniger als in meinem Job als Englischlehrer in São Paulo", erzählt der 29-Jährige, "aber hier schaue ich den ganzen Tag übers Meer und fahre sogar mit dem Boot in die Arbeit."

Neben der Anlegestelle haben einige Backpacker auf Holztischen einen Miniatur-Markt aufgebaut. Es sind fast alles Argentinier, die jeden Sommer in Massen Florianópolis besuchen. Einige von ihnen verkaufen selbstgeknüpfte Armbänder und Muschelketten, um ihre Reisen durch den Kontinent zu finanzieren. Doch nicht selten bleiben sie hier hängen - zu verlockend ist die Mischung aus spektakulären Stränden, unberührten Wäldern zum Wandern und billigen Drogen.

Doch Florianópolis ist mehr als ein Fluchtpunkt für Lebenskünstler und Hippies. Während Besucher in Barra da Lagoa gerne per Anhalter oder Fischerboot anreisen, nutzen Gäste im Norden der Insel am liebsten einen der Hubschrauber-Landeplätze. Hier, in der Villen- und Partysiedlung Jurerê Internacional, hat nicht nur Ronaldinho sein Ferienhaus. Auch die zwei berühmtesten Junggesellen des Landes, der Fußballer Neymar und der mit ihm befreundete Surf-Wunderknabe Gabriel Medina, feiern hier öfter. Sehen und gesehen werden funktioniert an wenigen Orten in Brasilien besser als hier.

"Als ich vor acht Jahren angefangen habe, war die Partyszene noch viel kleiner", sagt Solano Kaiser. Er ist Manager des Clubs P12, des bekanntesten unter dem knappen Dutzend Clubs im Norden der Insel. "Damals hatten wir gerade mal Platz für 1000 Gäste." Wenn heute bekannte DJs wie Bob Sinclar, David Guetta oder Fatboy Slim ihre Sets spielen, kommen bis zu 8000 Menschen. Allein für die Sicherheit sind dann 100 Angestellte zuständig, unterstützt von angeblich zehn Undercover-Polizisten. So hat es der Club geschafft, Drogenhändler fernzuhalten.

Eine Besonderheit von P12 ist, dass Brasilianer und Touristen hier ihren zwei größten Leidenschaften gleichzeitig frönen können: Sonnenbaden und Partymachen. Denn diese Großraumdisco mit eigenem Meerzugang und Pools ist eine Mischung aus Strand-Resort und Nachtclub: ein sogenannter Day-Club, in dem die Partys am frühen Nachmittag beginnen und bis Mitternacht dauern. An diesem Tag spielt das brasilianische DJ-Kollektiv "A Liga". Einige Sitzecken sind als private VIP-Boxen abgesperrt. Pro Abend kosten sie bis zu 2000 Dollar für zehn Gäste. Dafür gibt es ein paar Freigetränke und die Gelegenheit zu zeigen, wie weit man es gebracht hat.

Das Anliegen hat Manager Kaiser für die gesamte Insel. "Wir wollen, dass Florianópolis das Ibiza von Südamerika wird", sagt er. "Nur, dass es hier heißer ist, voller guter, hübscher Tänzer und brasilianischer Lebensfreude." Wie lebensfroh seine Gäste sind, ist nicht leicht zu sagen, denn die meisten tragen verspiegelte Sonnenbrillen. Doch hübsch sind sie allemal - und sie prüfen das auch gerne vor einer acht Meter langen Spiegelwand, an der stets großer Andrang herrscht. Und heiß ist es mit 37 Grad im Schatten unbestritten.

Wärme und Sonne haben auch die Holländerin Kim Hanskamp nach Florianópolis gezogen. Wichtiger sind ihr allerdings zwei andere Dinge. "Es ist eine der besten Gegenden zum Surfen im ganzen Land", erzählt sie. Die Surffotografin hat fünf Jahre in Brasilien gelebt und in der Zeit einen Großteil der Küste bereist. Mit den 42 Stränden auf der Insel, von denen man an 20 surfen kann, ist die Vielfalt groß. "Es ist fast egal, woher Wind und Wellen kommen, man findet fast immer einen Spot, der gerade passt." Kein Wunder, dass der aktuelle Surfweltmeister, der Brasilianer Adriano de Souza, auch nach Florianópolis gezogen ist.

"Aber für mich als alleinreisende Frau zählt noch etwas anderes: Ich fühle mich hier überall sicher", sagt Hanskamp. In Brasilien ist das nicht selbstverständlich. Laut Regierung kommen auf 100 000 Einwohner pro Jahr 29 Morde. Hier im Staat Santa Catarina sind es 12,8. Das ist der niedrigste Wert aller 27 Bundesstaaten.

Im Gegensatz zum Norden des Landes, der schon in der Kolonialzeit von reichen Großgrundbesitzern und deren Sklaven geprägt wurde, stammen die Bewohner Santa Catarinas hauptsächlich von Immigranten aus Deutschland und Italien ab. Sie kamen vor allem im 19. Jahrhundert und gründeten hier kleinere Betriebe und familiengeführte Farmen, die zu relativ breit gestreutem Wohlstand führten. Somit leben heute nur sieben Prozent der Einwohner Santa Catarinas unter der Armutsgrenze - weniger als in jedem anderen Bundesstaat.

Doch all diese Vorzüge bringen auch Probleme. "Es ziehen so viele Leute hierher, dass die Infrastruktur nicht mithalten kann", erklärt André Rovai, der an der Universität UFSC in Florianópolis das Management natürlicher Ressourcen unterrichtet. So hat sich in den vergangenen 35 Jahren die Einwohnerzahl von Florianópolis auf 470 000 Menschen fast verdreifacht. Wenn rund um Silvester und Karneval etwa eine Million Touristen auf die Insel strömen, wird es dort so voll, dass man kein Hotelzimmer mehr bekommt.

"Bei Neubauten hält sich nur jeder Zehnte an die eingereichten Pläne", erklärt Rovai. "Deswegen wird auch nur die Hälfte des Abwassers hier ordentlich behandelt, der Rest fließt in undichte Tanks und ins Meer." In einigen Buchten, die von Strömungen geschützt und nahe an Touristenzentren liegen, ist die Wasserverschmutzung im Sommer so groß, dass die Behörden vom Baden abraten. "Aber das Gute ist, dass viele gerade wegen der schönen Natur hierher ziehen und sich dann auch dafür einsetzen", erklärt Rovai, der vor acht Jahren mit seiner Familie nach Florianópolis gekommen ist. "Drei wichtige Gruppen hier sind die Fischer, die Surfer und engagierte Ökos - und wir geben alles für diese Insel."

Reiseinformationen

Anreise: Zum Beispiel mit Air Europa und Gol über Madrid und São Paulo nach Florianópolis, hin und zurück ab ca. 900 Euro. Lufthansa fliegt von München direkt nach São Paulo, weiter mit TAM, hin und zurück ab ca. 1000 Euro.

Unterkunft: Zum Beispiel The Search House in Barra da Lagoa, Hostel in Strandvilla mit Garten und Pool, Schlafsälen sowie einem Doppelzimmer, ab 15 Euro pro Nacht, www.thesearchhouse.com.br; Hotel Costa Norte Ingleses im Norden der Insel, DZ pro Nacht 74 Euro, www.hoteiscostanorte.com.br

Reisearrangement: Der Veranstalter Ruppert Brasil bietet verschiedenste Rundreisen durch das Land an, www.ruppertbrasil.de

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3096681
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.07.2016/ihe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.