Fliegen nach 9/11:Falsche Zeit für Lässigkeit

Schusssichere Cockpit-Türen, scharfe Sicherheitskontrollen, Flüssigkeiten in Plastikbeuteln: Die Anschläge vom 11. September 2001 haben den Flugverkehr weltweit stark verändert. Die Passagiere aber haben längst andere Sorgen.

Anna Fischhaber und Katja Schnitzler

Beeindruckend viele Schalter, Hebel und Knöpfe - und davor nur die Weite des Himmels. "Wollt ihr den Piloten besuchen?", haben Stewardessen früher häufig die Kinder auf ruhigen Flügen gefragt - und sie ins Cockpit gelotst. Das war vor dem 11. September 2001. Inzwischen ist dieser Anblick Piloten vorbehalten, die hinter verriegelten und schusssicheren Türen sitzen.

Flugzeug am Gewitterhimmel

"Turbulenzen machen viel mehr Angst": Dass ein Flugzeug entführt wird, ist sehr unwahrscheinlich. Aber jede Maschine bebt und wackelt in der Luft.

(Foto: dpa)

"Das vermisse ich schon ein wenig, vor allem für Kinder war so ein Kurzbesuch etwas ganz Besonderes", sagt Jörg Handwerg, Flugkapitän und Pressesprecher der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), sueddeutsche.de. Heute vermeidet er während des Fluges jeden persönlichen Kontakt mit Passagieren. "Eine Vorsichtsmaßnahme, die vorgeschrieben ist", sagt Handwerg.

Bisweilen sitzen zwischen den Fluggästen auch Polizisten in Zivil, die ihre Umgebung unauffällig im Auge behalten. Seit den Anschlägen in New York und Washington sind die "Sky-Marshals", Beamte der deutschen Bundespolizei, bei besonders gefährdeten Flügen mit an Bord. Wer wann wo eingesetzt wird, hält die Polizei geheim - was die Öffentlichkeit weiß, erfahren schließlich auch Terroristen.

Aber nicht nur mit bewaffneten Polizisten, auch mit dem Widerstand der Passagiere müssen Terroristen heute vermehrt rechnen. Vor zehn Jahren wurden Passagierflugzeuge erstmals als Waffe eingesetzt - bis dahin kaum vorstellbar. Immer wieder scheiterten in den Jahren danach Flugzeugentführungen an den Fluggästen. Denn man habe heute "sofort die Bilder vom 11. September im Kopf", sagt Flugbegleiter Sascha Thomas. Die Passagiere würden deshalb im Erstfall schneller eingreifen.

Jede Maschine bebt und wackelt in der Luft

Flugbegleiter Thomas erinnert sich an die Ruhe, die kurz nach den Anschlägen an Bord vieler Flugzeuge herrschte. "Man hat die Unsicherheit, die mitgeflogen ist, praktisch gespürt", sagt er. "Die Passagiere haben sich gegenseitig beobachtet." Mittlerweile herrsche aber wieder Normalität. 2010 stiegen laut Flughafenverband ADV in Deutschland etwa 190 Millionen Passagiere in die Maschinen, im Terrorjahr 2001 waren es nur 140 Millionen.

Pilot Handwerg verschwendet auf Flügen keinen Gedanken an eine mögliche Terrorgefahr: "Ich mache mir darüber ebenso wenig Sorgen, wie von einem Baum im Wald erschlagen zu werden. Die Wahrscheinlichkeit ist in beiden Fällen verschwindend gering." Ähnlich scheinen das die Passagiere zu sehen. Zwar fürchtet sich Studien zufolge etwa ein Drittel der Deutschen vor dem Fliegen, doch diese Zahl hat sich auch durch den 11. September 2001 kaum verändert.

Nach 9/11 wollte Thomas, der nicht nur Flugbegleiter ist, sondern auch Psychologe bei Flugangst-Seminaren, spezielle Kurse gegen Terrorangst anbieten. Aber selbst in den ersten Tagen nach den Anschlägen waren diese für kaum einen Teilnehmer das Motiv, in das Seminar zu kommen. "Natürlich waren sie betroffen, aber ihre Flugangst hatte andere Gründe", sagt Thomas.

Dass ein Flugzeug entführt wird, ist sehr unwahrscheinlich. Aber jede Maschine bebt und wackelt in der Luft. In solchen Turbulenzen sein "Leben dann der Crew anvertrauen zu müssen, das macht viel mehr Angst", sagt Thomas. Eine Angst, die oft nur schwer abzuschütteln ist. Gegen die Furcht vor Terroristen würden dagegen meist schon die schärferen Sicherheitsvorkehrungen vor dem Einsteigen ausreichen, hat Thomas beobachtet.

Wo Kontrollen versagen

Viel geändert hat sich auch am Boden. Während vor den Attentaten Passagiere oft nur stichprobenartig durchsucht wurden, kontrollieren Sicherheitsbeamte nun alle Fluggäste samt Gepäck vor Betreten des Sicherheitsbereichs. Flüssigkeiten dürfen in der EU nur noch in Kleinstmengen im Handgepäck mitgenommen werden. Denn 2006 war der Terrorplan gescheitert, Transatlantikjets nach ihrem Start in London mit Flüssigsprengstoff zum Absturz zu bringen.

Besonders in der Anfangszeit hatte die Regelung zur Folge, dass Passagiere, sehr zu ihrem Ärger, an der Sicherheitskontrolle auch teure Spirituosen ersatzlos abgeben mussten. Manche versuchten noch zu trinken, was sie trinken konnten. Inzwischen aber haben sich die meisten Fluggäste auf die Regeln eingestellt. Nur einige Transitreisende müssen noch ihre Flaschen abgeben - etwa wenn sie in einem außereuropäischen Duty-Free-Shop eingekauft haben, dessen Sicherheitsstandards nicht denen in der EU entsprechen.

Während die Fluggäste seit 9/11 also genauestens unter die Lupe genommen werden, ist das bei der Luftfracht nicht der Fall - obwohl ein Großteil davon in Passagiermaschinen transportiert wird. Terroristen aus dem Jemen war es im Oktober 2010 gelungen, auf diesem Weg Paketbomben an Bord zu schaffen. Entdeckt wurde der Sprengstoff nicht bei Kontrollen, sondern aufgrund geheimdienstlicher Hinweise. Sobald ein Spediteur als sicher gilt, darf seine Fracht an Bord - ohne zuvor durchleuchtet zu werden. Eine lückenlose Kontrolle würde, so argumentiert man in der Branche, den Luftfrachtverkehr zum Erliegen bringen.

Anders sieht das bei Airline- und Airportmitarbeitern aus: Während Stewardessen und Flugkapitäne früher lässig durch die Sicherheitskontrolle spazierten, die Beamten nur kurz grüßten und Richtung Gate davonschlenderten, ist es mit der Lässigkeit seit den Terroranschlägen vorbei. Auch bei der Besatzung. "Das Cockpitpersonal wurde in die Ecke der potentiellen Täter gestellt", sagt Handwerg. "Die Kontrollen, bis die Crew am Arbeitsplatz ist, müssen wir angesichts ihrer Wirkungslosigkeit als Schikane empfinden."

Handvenen-Erkennung statt Fingerabdrücke

Dass Piloten genauso durchsucht werden wie ihre Fluggäste, dass die Cockpit-Crew ebenfalls Nagelschere, Messer und Flüssigkeiten abgeben muss, sei wirkungslos, sagt Handwerg - schließlich hätten sie ohnehin die Gewalt über das Flugzeug. Die Pilotengewerkschaft plädiert deshalb dafür, grundsätzlich die Zuverlässigkeit der Crewmitglieder zu prüfen. Beim Betreten des Sicherheitsbereiches müsse fälschungssicher festgestellt werden, ob überhaupt die richtige Person ins Cockpit will - oder sich auf dem Flughafen ungehindert bewegen darf.

Am neuen Berliner Flughafen setzt man dabei auf Handvenen-Erkennung: In den Dienstausweisen ist ein Abbild der individuellen Venenstruktur gespeichert. Vor dem Zutritt zum Sicherheitsbereich gleicht ein Infrarotscanner das Bild der Hand mit dem Ausweis ab.

Ein anderer Versuch, mit Hilfe zusätzlicher Technik mögliche Terroristen zu erkennen, die Personenkontrollen gleichzeitig aber zu beschleunigen, ist gerade erst gescheitert: In Hamburg wurden monatelang Körperscanner getestet. Doch deren Software erwies sich als noch nicht ausgereift für einen Einsatz an deutschen Flughäfen. Noch schlägt der Scanner Alarm, wenn sich der Passagier zu sehr bewegt, einen Gürtel trägt, seine Kleidung Falten wirft. Oder wenn er schwitzt. Dabei können Schweißflecken höchstens das Wohlbefinden des direkten Sitznachbarn mindern. Gefährlich sind sie nicht.

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