Fledermauskolonie in Austin:Aus den Fugen

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Wenn die Sonne untergeht in Austin, schwärmen sie aus: Unter einer Brücke mitten in der Stadt lebt die größte urbane Fledermauspopulation der Welt. Früher haben die Texaner die Tiere bekämpft, heute vermarkten sie sie mit Vampir-Cocktails, "Bats"-Angeboten und Stofftieren als Touristenattraktion.

Steve Przybilla

So langsam zwickt es im Nacken. Wer zehn Minuten am Stück in die Höhe schaut, tut seinem Genick keinen Gefallen. Und doch tun es alle. Wie gebannt. Der junge Mann in Reihe fünf hat wohl geahnt, dass es eine Weile dauern wird, bis die Show losgeht. Vorsorglich hat er ein Sixpack Dosenbier mit aufs Boot gebracht, das nun schon seine zweite Runde auf dem Lady Bird Lake unter der Congress Avenue Bridge dreht. Architektonisch ist diese Betonbrücke nun wirklich kein Meisterwerk, von unten schon gar nicht. Trotzdem strömen immer mehr Menschen zum Ufer, je tiefer die Sonne am Horizont versinkt. Auf dem Wasser schippert inzwischen das dritte Ausflugsboot, macht aber auch noch einmal kehrt. "Schauen wir uns lieber Austins zauberhafte Skyline an", sagt Captain Chris, ein 21-jähriger Informatikstudent, der das Elektroboot an diesem Abend steuert. "Sonst seid ihr hinterher noch frustriert, wenn ihr zu lange wartet."

Etwas Geduld gehört dazu. Wer sehen will, wie Tausende Fledermäuse gleichzeitig unter der Congress Avenue Bridge hervorflattern, muss bis zum Sonnenuntergang warten. (Foto: AFP)

Geduld muss haben, wer das Spektakel in der schwül-warmen Dämmerungszeit erleben will. Und kein zu großes Vertrauen in Youtube. Dort ist einer die Filme mit den 1,5 Millionen Fledermäusen, die plötzlich aus den Fugen der Congress Avenue Bridge schießen, mehr als 100 000-mal angeklickt worden. Ein riesiger, schwarzer Schwarm, der majestätisch über den Köpfen der Zuschauer flattert, mehrere Runden über der Brücke dreht und schließlich zur Futtersuche aufs texanische Land strömt. Ein Wahnsinnsanblick, den sich Captain Chris und seine Passagiere nicht entgehen lassen wollen. Wenn er denn kommt.

Am Ufer steht zur selben Zeit ein Mann, der mit seinem Anzug und der Krawatte nicht ganz zu den Mittzwanzigern passt, die in T-Shirts und Shorts auf die Fledermäuse warten. Für James Eggers ist die Sache mit den Tieren etwas Ernstes, das soll auch seine Kleidung symbolisieren. "Wenn man in Texas als Umweltschützer auftritt, muss man an solche Dinge denken", sagt Eggers. Als Mitglied von Bat Conservation International, einer der weltweit größten Schutzorganisationen für Fledermäuse, setzt er sich seit Jahren für die kleinen Säuger ein - auch wenn das in Austin eigentlich gar nicht mehr nötig ist.

Längst hat die Stadt erkannt, dass viele der jährlich 20 Millionen Besucher wegen der weltweit größten urbanen Fledermauskolonie kommen. Auf jeder zweiten Postkarte sind die Nachtschwärmer zu sehen, bei Starbucks hängen sie riesengroß in Form eines Wandgemäldes. Selbst ein eigenes "Bat Festival" hat die Stadt zu Ehren der Brückenbewohner ins Leben gerufen. Die Fledermäuse passen gut ins Image von Austin, der trendigen, alternativen, ökologisch angehauchten Studentenmetropole, die sich mit Herzblut und Live-Musik vom ländlich-konservativen Texas abhebt.

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Wenn Umweltschützer Eggers von den Fledermäusen redet, macht er keine Pause. "Gerade haben wir eine neue Technik entwickelt, um die genaue Population zu zählen", sagt er und beschreibt ein Gerät, das Infrarot- und Radartechnik kombiniert. "Viele Tiere werden nur deshalb unter Schutz gestellt, weil die Menschen sie süß finden", sagt Eggers, "Fledermäuse haben diesen Bonus nicht. Deshalb ist es umso wichtiger, eine starke Lobby zu bilden." Im Gespräch mit Politikern greift Eggers jedoch lieber auf andere Argumente zurück: "Da erzähle ich, wie viele Millionen Dollar in der Landwirtschaft eingespart werden, weil die Fledermäuse natürlichen Dünger produzieren." Das komme besser an in einem Bundesstaat, in dem Republikaner den Ton angeben, die mit staatlicher Regulierung nichts am Hut haben - und mit Umweltschützern schon gar nichts.

Die Fledermäuse nisten im Zentrum der Hauptstadt von Texas. (Foto: SZ-Karte)

"Das Wichtigste, wofür wir uns heute einsetzen, ist die Ruhe der Tiere." In Austin ist das kein Problem. Der Autolärm scheint die Tiere nicht zu beeindrucken, ebenso wenig die Foto-Blitze der Schaulustigen. Ohnehin sind die Dehnungsfugen der Brücken-Unterseite viel zu hoch, als dass jemand heraufklettern und die Tiere berühren könnte. "Auf dem Land ist das leider nicht immer so", sagt Eggers. "Da haben manche einfach zu oft 'Dracula' gesehen." Mehr als einmal sei es schon vorgekommen, dass jemand mit einer Schrotflinte in Fledermaus-Höhlen geballert habe.

Oft ist es die Unwissenheit der Menschen, die den Fledermäusen zum Verhängnis wird. In den 1980er Jahren, als die riesige Kolonie in der Congress Avenue Bridge erstmals ihr Nistquartier bezog, geriet Austin regelrecht in Aufruhr. Der Austin American Statesman, eine durchaus seriöse Tageszeitung, sprach von einer "Invasion", gefolgt von ausführlichen Berichten über mögliche Tollwut-Ausbrüche. "Da herrschte Panik", erinnert sich Mark Bloschock, der indirekt für den Fledermaus-Hype verantwortlich ist. Als Ingenieur war Bloschock 1978 für die Renovierung der baufälligen Brücke zuständig - und schuf, ohne es zu wissen, ideale Lebensbedingungen für die Tiere. "Die Zwischenräume unter der Fahrbahn sind dazu gedacht, dass sich das Material bei Hitze ausdehnen und wieder zusammenziehen kann", sagt der 56-Jährige. Gefüllt seien die Fugen mit Schaum, aber eben nur zum Teil. "Da sich das Bauwerk nie komplett ausdehnt, bleibt diesen kleinen Wesen genug Platz, um es sich gemütlich zu machen."

Rücksicht auf die Belange der Fledermäuse

Anders als die meisten Zeitgenossen freute sich der Ingenieur über die neuen Untermieter seiner Brücke. "Ich habe der Stadt geraten, sie nicht auszurotten, obwohl das bei der damaligen Hysterie viele gefordert haben." Die Wende brachte schließlich das Engagement der Umweltschützer von Bat Conservation International. Deren Gründer, Merlin Tuttle, verlegte sogar seinen Wohnsitz nach Austin, um vor Ort für die Fledermäuse zu kämpfen. Er redete mit Politikern, ging in Schulen und gab ein Interview nach dem anderen. "Dadurch hat sich das Bewusstsein nachhaltig geändert", sagt Brücken-Ingenieur Bloschock. Bei neuen Bauwerken werde heute von vornherein Rücksicht auf die Belange der Fledermäuse genommen.

In bewohnten Gebieten wie Austin stehen zudem Zäune und Warnschilder, die allzu neugierige Leute vor sich selbst schützen sollen. Ganz unbegründet ist die Tollwut-Gefahr nämlich nicht - allerdings nur bei kranken Tieren, die am Boden liegen. Aber auch die werden von vermeintlichen Tierliebhabern eben gerne mal angefasst.

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Inzwischen ist die Sonne untergegangen. Im Radisson-Hotel, das am anderen Ende der Congress Avenue Bridge liegt, versammeln sich die Gäste auf der Aussichtsterrasse. Mit einem Bier in der einen und einer Digitalkamera in der anderen Hand warten sie auf den großen Moment. Auch die Tourismusbranche hat Gefallen an den Fledermäusen gefunden und befeuert mit Vampir-Cocktails, Fledermaus-T-Shirts und anderen Gimmicks die Attraktion. Wer im Radisson das "Bats Special" bucht, bekommt gleich beim Einchecken eine Stoff-Fledermaus überreicht. "Außerdem werben wir damit, dass unsere Stadt nahezu insektenfrei ist", sagt Hotel-Managerin Jennifer Spradling, deren Visitenkarte - was sonst - eine Fledermaus ziert.

Wie viele Mücken die hungrigen Nachtschwärmer genau vertilgen, ist ungewiss. Fest steht aber, dass es gigantische Mengen sein müssen: Schließlich päppeln die Säuger ihren Nachwuchs in Austin heran und tragen gleichzeitig dazu bei, dass die Menschen länger durch die insektenfreie Nacht spazieren können - ganz zur Freude der Kneipenbesitzer. "Weil die Attraktion an sich kostenlos ist, bestellen die Leute gerne ein Bier mehr", sagt Spradling. Die einstigen Tollwut-Bringer haben sich zur heiß geliebten Geldquelle gewandelt.

Zurück auf dem Wasser: "Schaut mal genau hin!", ruft Captain Chris und erhellt mit dem roten Lichtstrahl seiner Taschenlampe den Beton. Rot, weil diese Farbe die Fledermäuse am wenigsten stört. Der junge Mann aus Reihe fünf stellt gespannt seine dritte Bierdose ab, die chinesische Touristengruppe erhebt sich von ihren Plastikstühlen. Aus dem leichten Zwicken im Nacken ist mittlerweile ein Stechen geworden. Und dann, nach 45 Minuten Wartezeit, sind endlich die ersten schwarzen Punkte zu sehen.

Spektakel mit Jungtieren

Nun kommen sie aus allen Enden und Ecken, so schnell, dass Captain Chris Mühe hat, mit seiner roten Taschenlampe nachzuleuchten. Viel zu sehen gibt es trotzdem nicht, weil es inzwischen komplett dunkel ist. Ein Schwarm - keine Frage. Aber wo ist diese riesige, lebendige Wolke, die sich auf Youtube durch die Luft schlängelt? Die sei zu sehen, wenn die Jungtiere geboren sind, erklärt Captain Chris, "dann erleben wir ein richtiges Spektakel". Dennoch ist die Euphorie auf dem Boot ungebrochen. Schwer zu sagen, was lauter ist: das Gezwitscher der Fledermäuse oder der Applaus der Zuschauer, die sich dicht an dicht auf der Congress Avenue Bridge drängen. "Batman!", ruft ein kleines Kind im Boot, während nebenan ein Einheimischer im Kajak vorbeipaddelt. "Willkommen, Touristen", ruft er fröhlich hinüber, doch dafür hat in diesem Moment kaum jemand Ohren.

Am Ufer schlendert Umweltschützer James Eggers jetzt zum offiziellen Beobachtungspunkt, an dem Dutzende junger Leute picknicken. Auch nach der langen Wartezeit in Austins schwüler Abendhitze sitzt die Krawatte noch immer perfekt. "Raten Sie mal, wer die Aussichtsplattform gesponsert hat?", fragt Eggers grinsend. Es war der Verleger des Austin American Statesman. Wenn es gut fürs eigene Image ist, können selbst Invasoren manchmal zu Freunden werden.

Informationen:

Anreise: Zum Beispiel ab Frankfurt mit Lufthansa oder Delta, hin und zurück ab 660 Euro. Im Zentrum von Austin sind die meisten Ziele gut zu Fuß zu erreichen. Unterkunft: Radisson Austin Downtown, DZ mit Blick auf die Fledermausbrücke ab 150 Euro, www.radisson.com; Am Interstate Highway 35 liegen günstige Motels, DZ ab 40 Euro. Weitere Auskünfte: Die Ausflugsschiffe von Lone Star Riverboat und Capital Cruises starten von März bis Oktober eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang zur Fledermaustour. Kosten: Erwachsene acht Euro, Kinder und Senioren ermäßigt, www.lonestarriverboat.com; www.capitalcruises.com. Kostenlose Broschüren gibt es beim Austin Visitor Cener, 209 E. Sixth Street, www.austintexas.org

© SZ vom 23.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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