Süddeutsche Zeitung

Fernbus und Bahn im Vergleich:Durch die Nacht

Anbieter wie Meinfernbus.de machen der Bahn nun auch im Dunkeln Konkurrenz. Doch wie schneiden Nachtbus und Nachtzug im Direktvergleich ab? Reiseerlebnisse von der Strecke München-Berlin.

Von Michael Kuntz

Es weht ein eisiger Wind. Etwa zwei Dutzend Menschen tauchen aus dem Dunkeln auf am Bussteig 14 in München. Es ist 23.30 Uhr, ein Dienstag. Einige hatten den Warteraum von Meinfernbus mit dem Kaffeeautomaten gefunden, andere wärmten sich im ersten Stockwerk, dort, wo zwar die Läden geschlossen sind, die Passage aber noch offen ist. Sitzgelegenheiten gibt es keine, einige sitzen auf ihrem Gepäck, andere gleich auf dem Boden.

Gemütlich ist es hier nicht, alle sind froh, als der Nachtbus eintrifft, der von München über Leipzig nach Berlin fahren soll. Er kommt aus Zürich, also ist erst mal Pause, Fahrerwechsel, im Innenraum sauber machen. Statt um 23.45 Uhr geht es dann um 23.53 Uhr los, auf den um diese Zeit ziemlich leeren Mittleren Ring in Richtung Norden. In wenigen Minuten rollt der minzgrüne Setra-Doppeldecker auf die Nürnberger Autobahn. Nach Berlin sind es 580 Kilometer. Die Ankunft in Berlin ist für 7.15 Uhr geplant.

Neue Strategie: der Angriff im Dunkeln

Die Nachtlinie von Zürich über München nach Berlin ist nur eine von vielen. Sie ist Teil einer neuen Strategie, mit der die Fernbusse die Eisenbahn jetzt auch im Dunkeln angreifen. Über Nacht im Reisebus durch Deutschland, dafür sei das Land doch viel zu klein, hatte es bei der Liberalisierung des Marktes für die mindestens 50 Kilometer langen Fernfahrten noch geheißen. Davon ist jetzt keine Rede mehr.

Nachtlinien machen bei den großen Fernbus-Anbietern bereits bis zu zehn Prozent der angebotenen Linien aus, ermittelte das Iges-Institut. "Das ist ein strategisch kluger Schachzug in Zeiten, in denen die Deutsche Bahn ihre Nachtzüge auf den Prüfstand stellt", sagt der Iges-Mobilitätsexperte Christoph Gipp.

Und die Deutsche Bahn? Wie reagiert sie auf die neueste Attacke der Fernbus-Anbieter? Immerhin verfügt sie über eigene Trassen mit geregeltem Verkehr, während ein Reisebus ohne irgendwelche Sonderrechte auf der Autobahn im Strom mitschwimmen muss. Theoretisch also ist die Bahn klar im Vorteil im Vergleich zum Fernbus. Doch wie sieht es praktisch aus?

Im City Night Line lagert man in bananenförmigen Schalensitzen

Eine leuchtendrote Elektrolok der Baureihe 101 zieht die fünf Waggons des City Night Line auf Gleis 13 in den Berliner Hauptbahnhof. Es ist 21 Uhr an einem Donnerstagabend. Es gibt Schlafwagen und Liegewagen, mit einem Fernbus vergleichbar ist allerdings am ehesten der Waggon mit den Ruhesesseln. Man lagert im Großraum in bananenförmigen Schalensitzen in einer embryonalen Haltung. Manche empfinden sie als ziemlich unangenehm.

Geduld ist vor allem am Anfang der Reise gefragt. Der Nachtzug hält fast so oft wie eine S-Bahn, in Berlin-Wannsee, sieben Minuten später in Potsdam, dann Brandenburg. Kurz vor Magdeburg macht die Schaffnerin erst eine Fahrkartenkontrolle und dann das Licht aus. Die Leselampe funktioniert. Dann kommt noch Braunschweig. Jeder Zwischenhalt ist mit Gerumpel beim Fahren über Weichen und quietschenden Geräuschen verbunden. Niemand schläft.

Offensichtlich verlässt der Nachtzug von Berlin nach München die Stadt in Richtung Westen und nicht nach Süden. Interessant. Wo liegt denn der gedruckte Fahrplan? "Ach, den gibt es schon seit Jahren nicht mehr", sagt die Zugbegleiterin mit einer Fröhlichkeit, die nicht so schnell zu erschüttern ist, wie sich noch zeigen wird.

Der Nachtzug von Berlin nach München bummelt also weiter bis Hildesheim, dann ist erst mal Zigaretten- und Rangierpause. Alle Mann an Bord, es wird der Nachtzug aus Hamburg angehängt. Päng, rumms, schepper. Gute Nacht! Um 0.35 Uhr geht es weiter nach Augsburg, mancher Fahrgast mag es kaum noch glauben: nonstop, fast sieben Stunden lang. Das war dann aber bereits die gute Nachricht.

Um 6.15 Uhr kommt der Schaffner und überbringt zum Morgenkaffee eine schlechte Nachricht. Der Nachtzug hat 50 Minuten Verspätung, in einer Mail der Bahn waren es gerade sogar noch 60 Minuten. "Wir entschuldigen uns für die Verspätung."

Der Grund? "Wir haben heute ein paar Autowaggons hintendran hängen", erklärt die dauerfröhliche Zugbegleiterin. "Wegen denen wurden wir umgeleitet. Bei Tempo 200 auf der Schnellstrecke fliegen die Außenspiegel von den Autos weg." Die Frau fügt hinzu: "Und das wollen wir doch nicht." Na ja, denkt sich der Fahrgast nun, lieber eine Stunde Verspätung als 59 Minuten, denn erst ab 60 Minuten gibt es eine Entschädigung. Ein Trost, immerhin.

Doch vor Augsburg ist noch nicht München, und nun holt der Lokführer mächtig auf. Was die dauerfröhliche Zugbegleiterin etwa in Höhe des Busbahnhofes an der Hackerbrücke noch fröhlicher macht. "Wir sehen die Bahnhofeinfahrt", legt sie los. "Wir hoffen, es hat Ihnen wenigstens einigermaßen bei uns gefallen." Die Verspätung beträgt nur noch 45 Minuten, gut für die Bahn. Und noch ein Wort zum Formular für die Fahrgastrechte, für die Entschädigung bei mehr als einer Stunde Verspätung: "Das können Sie als Souvenir mitnehmen. Da wir so tolle Lokkis haben, ist das Formular jetzt nur für die Papiertonne."

Wer bisher alles humorvoll sah, der fühlt sich spätestens jetzt veralbert. Autowaggons an den Nachtzug zu hängen und damit den Fahrplan durcheinanderzubringen ist schließlich kein Naturereignis, sondern schlampige Planung. Schnellfahren, aber nicht um pünktlich anzukommen, sondern nur damit keine Entschädigung fällig wird. Prima, alles ganz prima.

Ehrliche acht Minuten Verspätung am ZOB

Zum Vergleich: Der Nachtbus hatte auch ein paar Minuten Verspätung, als er im Berliner ZOB am Bussteig 22 vorfährt. Es waren ziemlich genau die acht Minuten aus München. Es habe doch ein paar kräftige Orkanböen unterwegs gegeben, erklärt der Fahrer, und es klingt überzeugend, denn der starke Wind war oben im Doppeldecker durchaus spürbar.

Der Nachtzug hat natürlich ein paar Vorteile: Es gibt zwei Toiletten im Ruhesessel-Waggon für maximal 62 Menschen und zusätzlich zwei Waschräume. Wer nicht schläft, kann sich im Zug eher die Beine vertreten als im Bus. Auf sein Gepäck muss der Bahn-Fahrer aber selber aufpassen. Beim Fernbus wird es vor der Abfahrt im Gepäckraum verstaut und dort erst am Zielort wieder ausgegeben. Das Büfett erweist sich als ein in eine Küche umgebautes Abteil, definitiv ist das mehr Komfort als der Getränke- und Snackverkauf im Bus gegen Einwerfen des abgezählten Entgeltes in eine verschlossene Kassenbox.

Und Decken bringt auf Anfrage die dauerfröhliche Zugbegleiterin an den Sitzplatz, fast so wie die dauerlächelnde Stewardess im Flugzeug. Im Fernbus muss man sich seine Stoffdecke zum Zudecken mitbringen. Wer die Nacht am Laptop oder mit dem Mobile im Internet verbringt, braucht eher eine Steckdose. Die gibt es im Bus, im Zug nicht, aber da gibt es auch kein Wlan.

Vier bis fünf Stunden Schlaf: im Zug am Stück, im Bus in zwei Portionen

In jedem Fall ist die Nacht kurz. Sowohl im Zug wie im Bus schläft man zwischen vier und fünf Stunden. Im Zug am Stück zwischen Hildesheim und Augsburg, im Bus in zwei Portionen. Nämlich vor und nach der Pause im Autohof Münchberg auf etwa der Hälfte der Strecke. Hier trifft der Bus aus München sich mit dem Gegenbus aus Berlin, die zwei Fahrer wechseln in den jeweils anderen Doppeldecker und fahren dann wieder an ihren Ausgangsort zurück. Fahrgästen wird das erklärt, damit sie nicht bei der Rückkehr von den stationären sanitären Anlagen schlaftrunken ihrem Münchner Fahrer in den Berliner Bus folgen - und statt in Berlin wieder in München landen. Soll schon mal vorkommen, gerade in der Nacht.

Beim Nachtkampf um die Reisenden spielt die Fernbus-Branche einen Trumpf aus, der ihr schon tagsüber jede Menge Fahrgäste zutrieb: ein niedriger Preis. Die Fahrt im Fernbus von München nach Berlin kostete 28 Euro, für die Rückfahrt im Nachtzug-Ruhesessel waren 81 Euro fällig. Ohne Bahncard 50 hätte die Bummeltour über Hildesheim mindestens 152 Euro gekostet - also das Fünffache des Busses. Dafür ist man nachts im Zug etwa zehn Stunden unterwegs, mit dem Fernbus ging es dreieinhalb Stunden schneller.

Die Busse werden aber nicht so billig bleiben können, weil es sich um Kampfpreise handelt, mit denen kein Geld zu verdienen ist. Die Nummer eins in mehreren europäischen Ländern, City2City, hat bereits aufgegeben, weil den durchaus finanzstarken Investoren die Sache in Deutschland zu teuer wurde. Auch der ADAC hat zusammen mit der Post bisher nur Anlaufverluste eingefahren, nach Medienberichten bereits in Millionenhöhe. Branchenexperten erwarten eine Konsolidierungswelle, wie sie auf einem umkämpften, neuen Markt normal wäre.

Solange die Bahn in Deutschland an zwei Tagen so viele Menschen transportiert wie die Lufthansa in einem Jahr, muss sich ihr Chef Rüdiger Grube keine Sorgen machen, als wichtigstes Massenverkehrsmittel im Fernverkehr mit mehr als 130 Millionen Fahrgästen jährlich abgelöst zu werden. Schon gar nicht von den Fernbussen mit im vorigen Jahr zusammen gerade einmal 8,2 Millionen Passagieren.

Der Bedarf für Busreisen wurde lange nicht erkannt

Doch zwei Jahre Liberalisierung zeigen: Die Verkehrspolitiker haben den offensichtlich vorhandenen Bedarf für Busreisen innerhalb Deutschland lange nicht erkannt - und die Bahn erkannte ihn auch nicht. Erstmals seit mehreren Jahren verzichtete die Bahn jetzt auf ihre schon zur Gewohnheit gewordene Erhöhung der Fahrpreise. Und speziell gegen die Busunternehmen richten sich Sonderangebote auf den Internetportalen für Fernbusse.

Schnäppchen für neue Bahn-Fahrer verärgern die Stammkunden der Bahn, die sich nun fragen, ob sich der Kauf einer Bahncard für sie denn überhaupt noch rentiert. Hinzu kommen die häufigen Streiks der Lokführer - jeder Streik wirkt wie kostenlose Werbung für den Fernbus. Für die Bahn rächt sich jetzt die Strategie, das Angebot seit Jahren immer mehr auszudünnen und sich auf die lukrativen Schnellstrecken zwischen den Großstädten zu konzentrieren. Doch selbst hier entwickelte sich der Fernbus als Alternative, jedenfalls für Menschen mit wenig Geld und viel Zeit, etwa für junge Leute und Ruheständler.

Wer die Lücken kennt, kann ein intelligentes Netz gestalten

Die Bahn-Manager vernachlässigten manche mittelgroße Stadt, und hier schließt der Bus eine Lücke. Wer die Verkehrsströme kennt, kann ein intelligentes Netz gestalten. Das Know-how ist vorhanden, vor allem beim Marktführer unter den Anbietern von Fernbussen. Meinfernbus.de in Berlin bietet fast die Hälfte aller Verbindungen an. Mehr als 300 Busse sind allein für diesen Partner von derzeit über 80 mittelständischen Busunternehmen unterwegs.

Die beiden Gründer kennen die Schwächen der Bahn: Panya Putsathit hat als Unternehmensberater für die Bahn gearbeitet, sein Partner Torben Greve war bei der Bahn zeitweise zuständig für das Angebot im Fernverkehr. Der Mann hatte die Lust verloren, als nur noch gespart werden sollte, um einen politisch gewollten Börsengang vorzubereiten, den es bis heute nicht gegeben hat.

Die Bahn wird zwar seit mehr als zwei Jahrzehnten wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen geführt, dessen Anteile werden aber nach wie vor vom Staat gehalten. Und wie ein Staatsunternehmen benimmt sich die Bahn bisweilen immer noch.

Nur wenige Stunden nach der Ankunft kommt eine Mail von Meinfernbus.com: "Ihre Meinung ist uns wichtig!" - die Einladung zu einer fünfminütigen Online-Umfrage. Die Bahn verschickt keinen solchen Fragebogen. Ihre Manager werden schon wissen warum.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2014/sks
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