Auf dem Bildschirm läuft ein aktueller Spielfilm. Oder hausgemachte Unterhaltung: Das Navigationsprogramm des Reisebusses zeigt, wo er gerade seinem Ziel entgegenrollt, ob die Richtung stimmt und wie lange es noch dauern wird. In jeder Reihe stehen nur drei Sitze. Der Fahrgast kann wählen, ob er dicht neben einem Nachbarn zu zweit oder allein reisen will auf dem Einzelsitz jenseits des Ganges.
Wer derart komfortables Reisen im Luxusbus erleben will, wird vorerst weiterhin nach Amerika fliegen müssen. Die Strategie der neuen deutschen Fernbus-Unternehmer ist es nicht unbedingt, ihre Fahrgäste übermäßig zu verwöhnen. Denn dann müssten sie auch die entsprechenden Preise dafür nehmen.
Der niedrige Preis jedoch ist zurzeit das entscheidende Verkaufsargument. Billiger als die Bahn muss es sein. Für neun Euro von München nach Stuttgart, das ist so ein Knaller. Die Bahn nimmt dafür normal 51 Euro. Flixbus bietet Tickets schon für einen Euro. Es ist Reisesaison für Schnäppchenjäger. Im Umkehrschluss heißt die Strategie der neuen Straßen-Transporte: Mit dem Fernbus reist durch Deutschland, wer sich die Bahnfahrkarte nicht leisten kann. Etwa Studenten und Rentner.
Rennstrecken und Verbindungen "um die Ecke"
Und wer Zeit hat. Denn auf den meisten Strecken ist die Bahn einfach schneller. Der Blick aus dem Bus auf den Autobahnen parallel zu Trassen, auf denen Züge mit doppelter Geschwindigkeit vorbeirauschen, dürfte Fernbusreisende frustrieren. Aber sie können sich zumindest damit trösten, dass ihre Fahrkarte nicht einmal die Hälfte vom Bahnpreis gekostet hat. Irgendwie ist es konsequent, dass auch die Reise-Tochter des Discounters Aldi vom kommenden Donnerstag an Fahrscheine für Fernbusse verkaufen will.
Seit Anfang des Jahres ist der Markt für Busverbindungen in Deutschland mit einer Länge von mindestens fünfzig Kilometern beziehungsweise mehr als einer Stunde Fahrzeit liberalisiert. Seitdem bewegt sich einiges. Auf der Landkarte entstand bereits ein dichtes Netz von Fernbuslinien - und es kommen ständig neue hinzu. Ihre Hoffnungen fokussieren die Busbetreiber dabei offenbar auf Rennstrecken zwischen Ballungsräumen. Also Rhein-Ruhr und Rhein-Main zum Beispiel. Interessant für Fernbusse scheinen auch Verbindungen "um die Ecke" zu sein, die mit der Bahn nur durch Umsteigen oder mit Ausdauer erreichbar sind. So dürften Freiburg und Friedrichshafen, aber auch Dresden auf die Landkarte der Ziele geraten sein.
Größter Busunternehmer war bisher die Bahn und sie ist es wohl noch eine Weile. Mit ihren Berlin-Linienbussen rollt sie bereits seit Jahrzehnten durch das einst geteilte Land, als Quasi-Monopolist unter dem Schutz eines Gesetzes aus dem Dritten Reich, das die staatliche Eisenbahn gegen Konkurrenz abschirmen sollte. Damit ist es vorbei und die Bahn macht außer mit überfüllten Zügen auch von sich reden mit einem rollenden doppelstöckigen Business-Bus von Berlin über Dresden nach Prag. Die Bahn erweitert ihr Angebot nur behutsam. Sie will die Entwicklung erst beobachten, so wie andere Player auch.
Nur ein Nischenangebot für Menschen mit wenig Geld?
Bislang spielten Fernbusse keine Rolle. Mit ihnen fuhren jährlich zwei Millionen Menschen gegenüber 125 Millionen Fahrgästen in Fernzügen. Dieses Verhältnis könnte sich ändern. Die Ansichten gehen allerdings stark auseinander, ob hier gerade ein Milliardenmarkt entsteht oder nur ein Nischenangebot für Menschen, die auf jeden Euro achten müssen.
Ein alter Spieler ist die Deutsche Touring, die früher mal zur Deutschen Bahn gehörte und - anders als der Name vermuten lässt - von ihr vor Jahren an eine Gruppe spanischer Fernbus-Spezialisten verkauft worden ist. Unter der Marke Eurolines betreibt die Touring - wie der Name zu Recht vermuten lässt - internationale Verbindungen quer durch den Kontinent. Schon aus geografischen Gründen führten etliche davon schon immer durch Deutschland.
Bei der Liberalisierung des hiesigen Marktes war nun die Idee der Touring, einfach ihre internationalen Linien auch für Fahrgäste zu öffnen, die nur im Inland reisen wollten. Kabotage nennt man so etwas, klingt wie Sabotage, und so ähnlich empfand man die Überraschung: Die deutschen Liberalisierungs-Juristen hatten trotz ihrer perfekten Vorsorge die Kabotage schlicht nicht geregelt und bestanden nun auf Genehmigungen für jede Strecke einzeln. Die hat die Touring schon, aber noch nicht für alle Routen, und so besteht ihr Angebot zum erheblichen Teil aus Fernbus-Linien, die "in Kürze" buchbar sind.
Einen raffinierten Schachzug unternahm die National Express, bevor sie den ersten Bus in Deutschland auf die Fernreisen schickt. Sie engagierte Roderick Donker van Heel. Der Niederländer kennt sich als früherer Chef der Deutschen Touring mit dem diffizilen Fernbus-Geschäft aus wie kaum ein zweiter Reisemanager. Der bringt nun den Marktführer in Großbritannien und Spanien mit zwei Milliarden Euro Jahresumsatz nach Deutschland und investiert in eine Flotte von 21 eigenen Fahrzeugen, mit viel Beinfreiheit. Es gibt Freifahrten für Vielreisende bei einem Bonusprogramm, wie Bahn und Airlines es anbieten.
Außerdem kooperiert National mit mittelständischen Busunternehmern. Denen besorgen die Briten mit ihrem Marketing für "city2city" die Fahrgäste. Das ist auch das Geschäftsmodell verschiedener Unternehmensgründer. Man bucht bei diversen Start-ups online und steigt dann in einen mit der entsprechenden Marke beklebten Reisebus eines örtlichen Busbetriebes ("operated by . . .").
Mehr oder weniger alle Fernbus-Unternehmensgründer zittern vor der groß angekündigten Kooperation der beiden Riesen ADAC und Deutsche Post. Sie will dem Land noch dieses Jahr zur Weihnachtszeit ein dichtes Fernbusnetz bescheren. Vielleicht geht das Zittern aber auch nur so lange, bis die starken Partner die Details für ihre Rückfahrt zur Uralt-Idee vom Postbus bekannt gegeben haben. Die sind bislang geheim. Angeblich sollen 500 Busse alle 50 Städte mit mehr als 150.000 Einwohnern verbinden. Abwarten. Es wäre nicht das erste vom Autoclub mit 17 Millionen Mitgliedern verkündete Großprojekt, das sich dann irgendwann als doch nicht ganz so groß herausstellte.
Großes Bahnhofskino
Doch es sind nicht nur Omnibusse, die ein funktionierendes Fernbus-Netz ausmachen. Die Busfahrer können ja ihre Fahrgäste nicht einfach an einer Straßenecke aufnehmen. Dafür gibt es Omnibusbahnhöfe. Aber kaum eine Stadt verfügt über einen so modernen wie München. Der ist gut zu erreichen und einigermaßen attraktiv, inzwischen jedenfalls.
Vom S-Bahnhof gelangt der Busreisende zu Fuß über die Hackerbrücke ins Obergeschoss eines Neubaus, wo ihn noch vor nicht allzu langer Zeit eine große Leere angähnte. Das ist nicht mehr so und man findet neben Supermarkt und Apotheke, Handyläden und Imbissbuden auch einen Grill mit ökologisch korrekten Hermannsdorfer Würsten und einer beängstigend großen Auswahl an Senfsorten. Die lassen sich dann verzehren auf einer Terrasse mit einem Blick über das Vorfeld des Münchner Hauptbahnhofes. Großes Bahnhofskino für Busreisende.
Hier ist einiges los. Allerdings nicht wegen der vielen Busreisenden, sondern eher wegen mehrerer prosperierender Firmen mit schickem Bürovolk. Das Tui-Reisecenter im Busbahnhof stellt mit einem Hinweis in sieben Sprachen klar: "Wir verkaufen keine Bustickets." Unten zu ebener Erde bei den Omnibussen dominieren kurz vor einem Wochenende die Beförderungsfälle nach Polen, Russland oder in diverse Ecken Südosteuropas. Freilich stehen an diesem Freitagmittag zwischen den Fernbussen auch ein paar knallig lackierte Fernbusse für Menschen bereit, die schon immer mal nach Friedrichshafen oder Erlangen wollten.
Infrastruktur fehlt
Weniger Glück als im Wohlfühl-München hat ein Fernbusreisender, der seine Reise in Berlin beginnt. Hier existiert zwar auch ein Zentraler Omnibusbahnhof, günstig gelegen direkt unter dem Funkturm an Messe und Congresszentrum, doch er steht dort seit Jahrzehnten und das sieht man ihm an. Richtig Pech aber hat, wer in Frankfurt startet. Da halten die Busse südlich vom Hauptbahnhof und teilweise haben sie keine festen Haltestellen. Nicht einmal eine Wartehalle gibt es. Von chaotischen Verhältnissen dort wird berichtet. Der Platz dort ist knapp.
Für den Erfolg der Fernbuslinien sind also auch die passenden Bahnhöfe entscheidend. Die Liberalisierung des Marktes kann deshalb nur ein erster Schritt sein, beklagen sich Busanbieter. Politiker müssen nun in vielen Städten für eine entsprechende Infrastruktur sorgen, wenn der Fernbus dauerhaft eine Chance haben soll gegen die Bahn.
Angesichts der Billigpreis-Strategie befürchten Gewerkschaften, dass sich bei den Fernbussen eine neue Billiglohn-Branche entwickeln könnte. Wohl schon deshalb eher nicht, weil die guten Busfahrer bereits jetzt langsam knapp werden, entgegnet ein Manager mit Verweis auf das freie Spiel von Angebot und Nachfrage.
Wenn alles prima läuft, wenn die Billigtickets genügend Geld in die Kassen der Fernbus-Firmen spülen, dann könnten mexikanische Verhältnisse auch nach Deutschland kommen: Luxusbusse für jene Fernpendler, denen derzeit die Deutsche Bahn hemmungslos Tickets für überfüllte Züge verkauft, und die dann im Berufsverkehr selbst in der ersten Wagenklasse von Frankfurt bis Nürnberg stehen dürfen. Stehplätze gibt es in Fernbussen nicht. Das wenigstens ist so wie im Flugzeug.