Längst hat der gesellschaftliche Optimierungswahn den Urlaub erreicht. Trekking durch Südkasachstan, Weltreise mit 15 Zwischenstopps oder Ayurverda-Retreat auf Sri Lanka - wer nicht das Maximum rausholt aus seinen freien Tagen, muss damit rechnen, dass die Kollegen und Bekannten mitleidig schauen und "Dann trotzdem viel Spaß..." wünschen.
Dabei sind gerade die unterschätzten Urlaubsformen oft die schönsten. Allein schon, weil sie nicht mit Erwartungen überfrachtet werden. Eine Ehrenrettung:
All-Inclusive-Pauschalurlaub
Was die anderen denken
Zwei Wochen in einer seelenlosen Bettenburg mit Animationsprogramm und Plastikarmbändchen? Für mich wäre das ja Horror.
Was dran sein könnte
Der "Ich bin ja ach so individuell"-Reisende wird hier natürlich nicht glücklich. Und von Land und Leuten bekommen Pauschalurlauber sicher nicht besonders viel mit, wenn sie zwischen Hotelzimmer, Speisesaal und Pool-Liege pendeln.
Warum es trotzdem super wird
Weil man sich um nichts, aber auch gar nichts kümmern muss! Ferien bei den Mainzelmännchen quasi: Regelmäßig türmen sich Essensberge auf den Buffettischen, das Bett macht sich wie von selbst, frische Handtücher und ein geputztes Bad, ohne auch nur einen Finger zu krümmen. Gerade für Menschen, die sich daheim den lieben langen Tag um nichts anderes kümmern als sich zu kümmern, gleicht ein Pauschalurlaub dem Paradies.
Und auch das Hirn kann dank Inklusiv-Paket einmal ganz heruntergefahren werden. Weder ans Portemonnaie noch an den Stadtplan muss man mehr denken, keine fremdsprachigen Speisekarten entziffern, keine Fahrpläne studieren.
Besonders schön ist es ...
... sich im Urlaub einfach mal nur auf eines zu konzentrieren: die Erholung. Frei von Sorgen und Pflichten in den Tag hineinzuleben - das ist pures Prinzessinnen-Gefühl. Sollen die Individual-Urlauber doch ihren schweren Rucksack durch abgelegene Ortschaften schleppen. Sollen sie doch auf der Suche nach einem garantiert traditionellen Restaurant hungern (oder dann doch wieder bei McDonalds landen). Sollen sie sich doch zoffen, wer die schrammelige Airbnb-Unterkunft ausgesucht hat und wer sich ("einfach der Nase nach") im staubigen Nirgendwo verirrt hat. Spätestens am Flughafen sieht man sich dann wieder - und wer dann entspannter zurückkommt, ist ja wohl klar.
Sarah Schmidt
Was die anderen denken
Zuhause sind wir doch immer. Hierbleiben, während die ganze Welt auf uns wartet? Niemals!
Was dran sein könnte
Zugegeben, wer im Urlaub daheim bleibt, fällt diese Entscheidung oft nicht ganz freiwillig. Freie Tage hat irgendwann jeder, aber wenn das Geld zum Reisen fehlt, ist die Vorfreude getrübt. Vor allem, wenn man sich permanent von Freunden und Kollegen Geschichten über deren natürlich absolut großartige Touren durch die Welt anhören muss.
Warum es trotzdem super wird
Weil endlich mal Ruhe ist! Und Zeit bleibt, ungestört von Arbeit und sonstigen Verpflichtungen das zu machen, was sonst immer zu kurz kommt. Die anderen dürfen sich gerne in endlosen Autobahnstaus, an zweitklassigen Frühstücksbüffets und überfüllten Urlaubsorten drängeln. Zuhause sind Parks, Biergärten, Museen, Bars und der ganze Rest nie entspannter zu genießen als zur Ferienzeit. Ebenfalls daheim gebliebene Freunde freuen sich über gemeinsame Freizeit. Zudem ist das Phänomen bekannt, dass sich viele in der Heimat bei Sehenswürdigkeiten viel schlechter auskennen als an so manchem Reiseziel. Der perfekte Zeitpunkt, das zu ändern - auf eigene Faust, oder inkognito bei Touristenführungen in der eigenen Stadt.
Besonders schön ist es ...
... das eigene Zuhause zu genießen, während die anderen sich gerade mal wieder eine Beule an der absurden Hotelzimmereinrichtung stoßen oder fassungslos aus fremden Fenstern auf die nicht vorhandene Aussicht starren. Eindrucksvolle Beispiele solcher Überraschungen finden sich hier. Wer bekommt da nicht Lust, es sich daheim schön zu machen?
Irene Helmes
Was die anderen denken
Ein Urlaub am See, mitten im Wald, kilometerweit weg von der Zivilisation - geht man da nicht ein vor Eintönigkeit? Und eklig ist es auch, so ganz ohne Dusche und ordentliche Toilette.
Was dran sein könnte
Natürlich freut man sich nach der Rückkehr wieder auf die Errungenschaften der modernen Welt. Also auf all jene Dinge, die im Urlaub gar nicht oder nur selten zum Einsatz kamen, weil sie Elektrizität benötigen. Außerdem ist es sehr angenehm, Supermarkt, Post oder Bankfiliale direkt um die Ecke zu Fuß zu erreichen und nicht erst 20 Kilometer mit dem Auto fahren zu müssen. Und einzuschlafen, ohne am nächsten Morgen mit unzähligen Mückenstichen aufzuwachen.
Warum es trotzdem super wird
Diese Ruhe, die Abgeschiedenheit, die vom Menschen weitgehend sich selbst überlassene Natur - etwa an der finnisch-russischen Grenze: Es gibt kaum etwas Besseres, um zu sich selbst zu finden. Und zu seinen Urlaubsbegleitern, mit denen man sich deutlich intensiver austauscht als im oftmals hektischen Alltag.
Besonders schön ist es ...
...tagsüber mit Motorsäge und Hacke für das Holz zu sorgen, das man später im Saunaofen verfeuert. Und das allabendliche Ritual: Von der heißen Sauna in den kalten See und wieder zurück. Herrlich!
Thomas Harloff
Was die anderen denken
Länger als zwei Tage mit der Verwandtschaft unter einem Dach? Das ist nicht Urlaub, das ist Horror. Wer auch immer so etwas freiwillig macht, es kann sich nur um verwöhnte Muttersöhnchen/Papas Lieblinge handeln, die ihren Auszug immer noch bereuen.
Was dran sein könnte
Das Konfliktpotenzial ist in dieser Urlaubsform tatsächlich überdurchschnittlich hoch - besteht doch immer die Gefahr, in alte Rollenmuster zurückzufallen. Verwöhnen lassen ist in Ordnung - sich nur bedienen lassen nicht. Schließlich sind wir nun alle erwachsen. Und die Eltern sollen kein schlechtes Gewissen bekommen, weil sie sich so sehr freuen, wenn wir wieder abreisen.
Warum es trotzdem super wird
Weihnachten ist überfrachtet mit Erwartungen an ein friedvolles Familienfest, zu dem bitte alle gut gelaunt zu erscheinen haben. Das kann so anstrengend sein, dass erst recht alte Konflikte aufbrechen. Wer aber plant, frei von Feiertagsverpflichtungen eine kürzere oder längere Urlaubszeit bei der Familie zu verbringen, hat die Chance, wirklich mehr über das Leben der Liebsten zu erfahren. Und vielleicht sogar neue Seiten an Mutter, Vater, Schwester, Onkel zu entdecken.
Die wichtigste Voraussetzung, damit das klappt: ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz. Es ist wunderbar, gemeinsam etwas zu unternehmen - aber jeder darf sich auch mal absetzen, ohne dass die anderen beleidigt sind.
Besonders schön ist es ...
... wenn Enkelkinder da sind, die die Extra-Zeiteinheit mit den Großeltern genießen: Diese stehen auch nach einer halben Stunde noch fröhlich im Zoo vor dem Gehege mit den Affen, welche das Enkelchen so süß findet - denn die Großeltern haben nur Augen für den Nachwuchs ihrer Kinder. Die Eltern hingegen genießen währenddessen mal Zeit zu zweit, ohne allzu pünktlich einen Babysitter ablösen zu müssen. Ach ja, unschlagbar günstig ist es natürlich auch.
Katja Schnitzler
Was die anderen denken
Dass es wirklich Leute gibt, die sich an den Strand legen und einfach nichts tun! Wie langweilig. Wie oberflächlich. Muss man ja schön doof sein. Da wird doch jeder normale Mensch verrückt.
Was dran sein könnte
Wer einen längeren Strandurlaub ohne Wenn und Aber durchzieht, hat wohl ein gewisses Talent dafür, Neugier und Tatendrang im Zaum zu halten. Ja, es gibt originellere Arten, Tage oder gar Wochen zu füllen.
Warum es trotzdem super wird
Gibt es Orte, an denen sich Menschen freier fühlen können als am Strand? Der Druck, die Zeit unbedingt mit nützlichen und sozial erwünschten Aktivitäten zu füllen, verfliegt beim Anblick von Wellen unter strahlender Sonne. Aber Strandurlaub deshalb mit sinnlosem Hautverbrutzeln gleichzusetzen: ein großes Missverständnis.
Tipps für Fotos am Strand:Was für ein Licht!
Am Strand fotografiert der Urlauber Wellen, Surfer und die Mitreisenden. Doch auf den Bildern ist das Meer nicht mehr durchsichtig, die riesige Sandburg wirkt winzig und die Motive sind eintönig. Wie werden die Bilder so schön wie das Original - oder noch schöner? Tipps zum Fotografieren am Strand.
Kenner wissen Schatten und die Siesta während der Mittagshitze zu schätzen und sammeln genau so viel Licht und Wärme, dass sie während der dunkleren Monate davon zehren können. Außerdem: Seit wann sind Bücher keine wunderbare Beschäftigung? Allein die Auswahl der richtigen Lektüre für den Nichtstuer-Urlaub ist eine Kunst für sich - ganz zu schweigen vom eigentlichen Lesen, unterbrochen nur von kleinen Abstechern ins Wasser oder an die Strandbar.
Besonders schön ist es ...
... den Zustand absoluter Gelassenheit zu finden. Andere üben sich jahrelang in Meditation, um das Glücksgefühl zu erleben, das begabte Strandgänger binnen Tagen erreichen. Sich im Rhythmus von Appetit und Durst, Reden und Schweigen, Wach-Sein und Vor-Sich-Hindämmern durch die Tage treiben zu lassen - jeder, der den idealen Strandurlaub schon erlebt hat, weiß, dass Langeweile hier überhaupt keine Rolle spielt.
Irene Helmes
Was die anderen denken
Ins Familienhotel? Allein bei der Vorstellung bekomme ich einen Hörsturz.
Was dran sein könnte
Tatsächlich ist es in einem Familienhotel nie so leise wie in einem Adults-only-luxury-Wellness-Retreat. Zu ertragen sind etwa Lachen, Singen und Freudenjuchzer. Und ja, manchmal auch lautes Weinen - dann ist es wohl Zeit fürs Bett.
Warum es trotzdem super wird
Zum Beispiel wegen der Lautstärke: Diese ist nicht ohrenbetäubend, weil nicht immer ALLE Kinder gleichzeitig im Restaurant, Schwimmbad oder Spielebereich sind. Trotzdem ist der Geräuschpegel hoch genug, dass die Schallwellen des eigenen Kindes nicht unangenehm auffallen. Selbst der wohlerzogenste Sprößling kann als einziges Kind in einem Restaurant zum Störenfried werden, in dem das Herabfallen eines Reiskorns zu hören ist.
Aber nicht nur deswegen dürfen Eltern beim Essen im Familienhotel entspannen: Auch dass die Kinder nicht sitzenbleiben müssen, bis auch die Erwachsenen eeeeeendlich aufgegessen haben - und dann doch noch einen Espresso bestellen. Hier aber schlingen die Kleinen ihre Nudeln mit Soße in neuer Rekordgeschwindigkeit hinunter und sausen dann in den Spielebereich, in dem idealerweise Betreuung bis nach dem Abendessen angeboten wird.
Besonders schön ist es ...
... endlich Zeit für die Kinder zu haben, ohne Hausaufgabenstress und Freizeittermindruck. Hier kann die Familie gemeinsam etwas unternehmen. Und: Endlich haben die Eltern wieder Zeit für die Partnerschaft. Denn nach dem gemeinsamen Ausflug wollen die Kinder auch von den Eltern wieder etwas Ruhe haben - und verabschieden sich in ihr Spieleparadies, aus dem sie erst wieder der Hunger auf ein nachmittägliches Eis vertreibt.
Katja Schnitzler
Was die anderen denken
Laaaangweilig! Es gibt auf dieser Welt mehr lohnende Urlaubsziele, als man in einem Menschenleben jemals besuchen könnte - und ihr Spießer fahrt immer wieder an die Nordsee/in den Harz/nach Sardinien...
Was dran sein könnte
Wer möglichst viele Fähnchen in die Weltkarte pieken will, kommt mit dieser Art des Urlaubs nicht weit. Und natürlich kennt man am Lieblingsziel irgendwann auch den dritten Stein von rechts persönlich.
Warum es trotzdem super wird
Weil es auch beim letzten, beim vorletzten und beim vorvorletzten Mal super war. Wer einmal das perfekte Urlaubsziel für sich entdeckt hat, wäre schön blöd, woanders hin zu fahren und einen Ferienflop zu riskieren.
Schon mit der Anreise wird der Schalter im Kopf von Alltagsstress auf Urlaub umgelegt - fällt doch die Phase der Akklimatisierung und Orientierung an unbekannten Orten weg. Der Wiederholungsurlauber weiß bereits, wo die schönste Badebucht, die beste Eisdiele, die ideale Jogging-Strecke ist.
Wer immer wieder an einen Ort zurückkommt, hat außerdem die Möglichkeit, ganz anders in Beziehung zu den Einheimischen zu treten, also: Freundschaften zu schließen. Wer wirklich Land und Leute kennenlernen will, muss doch mindestens ein zweites Mal hinfahren.
Besonders schön ist es ...
... wenn sich Reise für Reise die Urlaubserinnerungen übereinanderschichten und zu einem einzigen herrlichen Gefühl von Sonne, Ferien und Glück verschmelzen. Und mit der Abreise beginnt bereits die Vorfreude aufs nächste Mal - und übernächste Mal.
Sarah Schmidt