Fälscher und Kopisten in Peking:Lob der Lüge

Kunsthandwerk, Bücher, Gebäude, ja nicht einmal Regenwolken sind in der Hauptstadt Chinas vor Fälschung sicher: Peking, das größte Potemkinsche Dorf der Welt

Gerhard Matzig

Es muss ein herrliches Gefühl sein, China, also jenes unendliche Reich der Mitte, aus dem schon längst ein Reich der unendlichen Mittel geworden ist, einmal so richtig in die Knie zu zwingen.

Fälscher und Kopisten in Peking: Verbotene Stadt in Peking: Hauptstadt des Fälschens.

Verbotene Stadt in Peking: Hauptstadt des Fälschens.

(Foto: Foto: dpa)

Deshalb will man dieses fremde Land, in dem es mittlerweile so sehr ums Geld geht, dass man sich schon wieder so heimisch wie in Liechtenstein oder am Starnberger See fühlt, ordentlich runterhandeln. Man will es niederfeilschen und wegschachern. Man will das Geschäft seines Lebens machen.

Zu diesem Zweck wird in großer Vorfreude ein mehrstöckiger, ziemlich hässlicher Supermarkt namens "Silk Alley" besucht. Womöglich aber hätte man sich vorher darüber informieren sollen, dass die größte Nation der Produktpiraterie China heißt, weshalb das China-Staatskürzel PRC auch nicht People's Republik of China, sondern People's Republik of Cheats heißt - also Republik der Schwindler.

Und vielleicht hätte man ja auch ahnen können, dass die Hauptstadt des Fälschens Peking ist. Und dass das Silk Alley in dieser Hauptstadt wiederum das definitive Raubkopisten-, Produktpiraten-, Uhrenfälscher-, Labeltrickser und Antiquitätennachahmer-Zentrum ist. Es fungiert als Ersatz, erstaunlicherweise ohne Fälschungsabsicht, für die früheren, malerischen, natürlich illegal errichteten Marktstände gleichen Namens. Die wurden vor Jahren vom Bulldozer geplättet.

Der neue Seidenstraßensupermarkt liegt allerdings nicht an der Seidenstraße, sondern an der JianGuoMenWai-Straße - wenn die Visitenkarte vom Peking-Enten-Restaurant im Obergeschoss mal keine Fälschung ist. Dort also wird man der aufstrebenden Supermacht China die Stirn bieten.

Die netten Damen warten ja auch schon - in ihren leicht schummrigen Abteilen voller Plüsch und Plunder. Und tatsächlich ist ihre forcierte Umgänglichkeit ("Look! Mister! Look! Here!") jener aus der Hamburger Herbertstraße bekannten nicht ganz unähnlich, wenngleich das Personal in Peking einen angenehm textilen Umgang pflegt.

Im Silk Alley preisen sie einem allerlei Seidenhaftes an: Seidenpyjamas, Seidenkrawatten und Seidensakkos. Aber es gibt auch eine Rolex für 50 Euro, ein iPhone für 50 Euro oder eine Perlenkette für 50 Euro.

Und ein antikes Schachspiel, eine bezaubernde Elfenbeinarbeit in einem von edlen Messingbeschlägen, reichen Intarsien und dickem Leder verzierten Holzschächtelchen - das gibt es auch. Es ist 24 Zentimeter lang, elf Zentimeter breit und sieben Zentimeter hoch. Man kann es aufklappen. Es ist phantastisch. Liegt schwer in der Hand, muss also schwer wertvoll sein. Das findet die Verkäuferin auch: 250 Euro. Sagt sie.

Das Spiel der west-östlichen Handels-Supermächte beginnt.

Über die perfekte Handelsstrategie lesen Sie auf der nächsten Seite.

Lob der Lüge

Auf der einen Seite die, wie es immer heißt, gelbe Gefahr beziehungsweise der fauchende Drache. Auf der anderen der marode Westen, der sich nicht geschlagen geben will.

"250? Irrsinn! Auf Wiedersehen!"

"Wood. Leather. Look. 220 Euro."

"Lachhaft. Sieht aus wie Pappe."

"200. Meine Familie ist groß."

"Meine auch.

"Meine ist arm."

"Meine ärmer."

"Also 180."

"Wiedersehen."

"140."

Eine halbe Stunde später lässt man sich das Spiel für 20 Euro einpacken. Die Verkäuferin verdammt ihr Schicksal mit hübschen Gesten. Dazu das ihres Mannes, das ihres Kindes und das ihrer Tante, die allesamt im Antiquitätenschachspiel-Business sind.

Mit einem schlechten Gewissen sowie federnden Schrittes verlässt man die Neonröhren-Seidenstraße. Was für ein Handel. Von 250 auf 20! Nicht mal ein Zehntel! Und dann zeigt man das Zeugnis der eigenen ökonomischen Virilität einem Kenner. Der sagt: Riecht nach frischer Farbe. Sagt: Ist kein Elfenbein, ist Plastik. Ist auch kein Leder, ist Pappe. Ist auch nicht 20 Euro wert - sondern deren zwei. Ein Zehntel. Ist auch nicht das verhandelte Schachspiel - sondern eine Kopie, die wirklich haargenau wie das Original aussieht.

Nun könnte man mit hübschen Gesten sein touristisches Schicksal verdammen - oder sich an der gar nicht mal so üblen Plastikpappen-Kopie erfreuen. Wie auch an einem Plakat, das in Peking oft zu sehen ist, etwa beim Antiquitätenmarkt Panjiayuan mit seinen 3000 Kunsthandwerksständen: "Wir verkaufen nur gute Kopien."

Die Kunst des Reisens besteht in Peking immer auch darin, das richtige Falsche vom falschen Falschen zu unterscheiden. Adorno, der behauptet hat, es gäbe kein richtiges Leben im falschen, hat das heutige China nicht mehr erlebt.

Wie hätte er diesen Kopistensupermarkt voll glücklicher Touristen gefunden, der täglich von 20 000 Menschen besucht wird? In dem zehn Millionen Euro jährlich umgesetzt werden. Und das nur mit den üblichen Zehnteln. Wie könnte man aber auch traurig sein in einer Stadt, in der jeder zweite Laden eine Kopie der Silk Alley sein könnte.

Dies ist das größte Potemkinsche Dorf der Welt. Die deutsche Debatte über die Authentizität penibelst rekonstruierter Stadtschlösser ist so unendlich fern. Erholsam fern. Nirgendwo sonst auf der Welt wird das falsche Leben im richtigen mehr gewürdigt als in der Hauptstadt Chinas.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum nicht einmal das Wetter in China fälschungssicher ist.

Lob der Lüge

Wobei sich der Name Peking, der sich nur aus einem chinesischen Dialekt, aber nicht aus der offiziellen Sprache ableitet, durchaus eine deutsche Raubkopie von Beijing sein könnte.

Überhaupt soll man sich mal nicht so haben mit den Hinweisen auf den Untergang mindestens des Abendlandes infolge morgenländischer Imitationskunst. Ja, richtig: Allein im Jahr 2002 hat die EU 87 Millionen gefälschte Produkte beschlagnahmt. Das war bereits das annähernd Zehnfache aus dem Jahr 1998.

Seither wird nicht gerade weniger kopiert - meistens in China, gerne in Peking. Aber, Achtung: Im 19. Jahrhundert überschwemmte ein gewisses Deutschland die Briten mit billigen Kopien. Das Zeichen "Made in Germany" wurde damals, 1887, erfunden - allerdings nicht, um verkaufsfördernd auf deutsche Wertarbeit hinzuweisen, sondern um vor schlecht gemachter deutscher Produktpiraterie zu warnen. Die Nachahmung ist also keine chinesische Erfindung. Sie haben sie nur nachgeahmt.

Sogar das Wetter soll gefälscht werden

Und mehr als das: auch vollendet. Harry Potter Nummer 6 ist noch nicht verfasst in England, da kann er auch schon in China gelesen werden: als "Harry Potter und die goldene Schildkröte". Und das Weiße Haus aus Washington? Steht in Hangzhou, erbaut von einem reich gewordenen chinesischen Bauern als mehr oder weniger getreue Kopie des amerikanischen Originals.

Kein Wunder, dass die in ein paar Tagen zu eröffnenden Olympischen Spiele die Pekinger noch einmal angefeuert haben, um in ihrem Nationalsport zu punkten. Deshalb wurden schon vor Jahren manche Rasenstücke rund um die Austragungsorte kurz vor Besuch einer IOC-Inspektorentruppe grün gefärbt.

Und jetzt, wenn die Spiele im neu erbauten, nicht zufällig an ein Vogelnest erinnernden und deshalb auch "Bird's Nest" getauften Olympiastadion eröffnet werden, dann wollen die Chinesen sogar das Wetter fälschen: Mitarbeiter des "Büros für künstliches Wetter" sollen mit Hilfe von Raketen und Chemikalien heranziehende Regenwolken vertreiben, um der Welt ein strahlendes Himmelblau auch dort vorzugaukeln, wo üblicherweise gelber Smog in der Luft liegt. Dieser Plan hat etwas Grandioses.

Lesen Sie weiter, was es mit dem Tor des Himmlischen Friedens und anderen Bauwerken auf sich hat.

Lob der Lüge

Wie auch das Tor des Himmlischen Friedens. Das ist angeblich ein paar hundert Jahre alt. Es soll unter der Herrschaft des Qing-Kaisers Shunzhi unter dem Namen Tian'anmen errichtet worden sein. Ganz falsch ist das nicht.

Aber das Tor, ein ehrfurchtgebietender, 34 Meter hoher Prachtbau, der den südlichen Eingang zum Kaiserpalast markiert und die Verbindung von Himmel und Erde symbolisiert, wurde in den 1970er Jahren hinter Gerüsten versteckt und vollständig auseinandergenommen: Fundament, Säulen, Dach. Alles.

Damals hieß es, man renoviere das Tor. Heute weiß man: Es wurde einfach komplett neu erbaut - und zwar gleich mal ein bisschen schöner. Das Tor kann von Glück sagen, dass es nicht auch größer errichtet wurde. Wie beispielsweise die Altstadt von Peking, wo man die Wände erst mit Beton ummantelt hat, um dann die alten Mauertexturen wieder draufzumalen.

Eine staunenswerte Neuerfindung verbirgt sich auch hinter dem "Paulaner" im Kempinski Hotel Beijing Lufthansa Center. Dorthin flüchten nicht nur die deutschen, insbesondere die bayerischen Touristen, die mitten in Peking Sehnsucht nach bestimmten Speisekarten empfinden. Solche, die zum Beispiel darüber informieren: "The Weißwurst is served traditionally for its optimal taste with sweet mustard, salt-pretzel and Munich beer."

Weißwürste für die Haute-Volée

Die Haute-Volée, der Pekinger Jetset: Man lässt sich hier blicken - in Lederhosen und im Dirndl, wobei Stammgäste ihren Keferloher mit eingraviertem Namen und Nummer der Mitgliedschaft im "Paulaner Club" erhalten. Resi heißt die Bedienung aber nicht. Auf ihrem Schildchen steht: Monica Li.

Etwas außerhalb vom Zentrum, zwischen dem fünften und sechsten Ring, findet sich das Bauvorhaben Hot Spring Leisure City. Hier wird gerade eine Phantasie-Stadt in Windeseile zusammengetackert, samt Villen für je eine Million Euro und, wieder mal, größter Shopping Mall der Welt. Das Ganze wird rund um eine "jahrhundertealte" kaiserliche Residenz errichtet, die man auf einer künstlichen Insel dem Original nachempfunden hat.

Man hat sie kurzerhand neu erfunden, denn so lässt sich das hoheitliche Schlafgemach besser als Hotelsuite vermieten. Die 25 000 Dollar pro Übernachtung hätte sich der Vorbesitzer, ein Verwandter des Kaisers von China, auch gar nicht leisten können.

Das gilt auch für den Reisbauern, von dem es heißt, er habe all sein Geld verloren, weil man ihm falsches Saatgut angedreht hat. Da geht er in seiner Not nach Hause und will sich mit Gift umbringen. Zum Glück wirkt es nicht. Es ist gefälscht.

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