Extrem-Bergsteigen: Himalaya:"Die Leute haben mich ausgelacht"

Er ist der einzige noch lebende Erstbesteiger von zwei Achttausendern. Himalaya-Veteran Kurt Diemberger über Ruhm, Risikobereitschaft und Neid unter Bergsteigern.

Dominik Prantl

Kurt Diemberger ist ein Bergsteiger der alten Schule - und noch immer ein gefragter Mann. Immerhin ist er der einzige noch lebende Erstbesteiger von zwei Achttausendern. Gerade kommt er aus Lugano, wo er einen Vortrag über den "älteren Alpinismus" hielt, wie er das nennt. Demnächst möchte der 79-Jährige den 6550 Meter hohen Vulkan Tupungato an der Grenze zwischen Chile und Argentinien besteigen und irgendwann auf seiner Schreibmaschine seine Memoiren verfassen, "weil ich noch lange nicht alles erzählt habe".

Mount Everest Nepal Himalaya

Blick auf den Mount Everest vom Basislager aus

(Foto: AFP)

SZ: Herr Diemberger, verfolgen Sie die aktuellen Geschehnisse im Himalaya?

Diemberger: Zuletzt habe ich das nicht getan, aber über die allgemeine Entwicklung bin ich natürlich informiert.

SZ: Nur drei Meldungen aus den vergangenen Tagen: Ein Amerikaner traversiert innerhalb von 24 Stunden über Lhotse und Everest, ein Sherpa steht zum 21.Mal auf dem Everest, von dem allein die Südseite mittlerweile mehr als 3000 Mal erfolgreich bestiegen wurde.

Diemberger: Als ich 1978 auf dem Everest als Erster in dieser Höhe einen Tonfilm drehte, waren genau zwei Expeditionen am Berg. Da kannte man jeden im Basislager mit Namen, wir haben teilweise untereinander Seilschaften gebildet. Diese Konzentration der Massen, die gab es nicht. Ganz allgemein sind heute zu viele Menschen auf den Normalwegen der Achttausender unterwegs.

SZ: Was suchen die Menschen dort oben? Das Gefühl, als Erster anzukommen, kann es ja nicht sein.

Diemberger: Bei manchen Bergen kann die Freude, einfach nur oben zu stehen, genau so groß sein wie bei einer Erstbegehung, was übrigens ein unbeschreibliches Gefühl ist. Gerade auf dem Normalweg über den Everest kann ich mir das heutzutage allerdings nicht vorstellen. Da ist Prestige die Ursache, man will sich damit schmücken. Die Folge ist ein Massenauftrieb, mit Menschen, die dafür gar nicht alle geeignet sind. Und in dieser Höhe ist fraglich, ob einer dem anderen helfen kann.

Herausforderung und Genugtuung

SZ: Manche sammeln Achttausender wie andere Briefmarken. Können Sie das nachvollziehen?

Diemberger: Ich kann mir schon vorstellen, dass es eine gewisse Herausforderung und Genugtuung ist, alle Achttausender zu besteigen. Aber eigentlich gehe ich auf einen Berg, weil mir dieser Berg etwas sagt, weil ich eine Beziehung zu ihm aufbaue. Dies bei 14 Achttausendern zu schaffen, bezweifle ich. Eine der wenigen, der ich das abnehme, ist Gerlinde Kaltenbrunner.

SZ: Hatten Sie zu Ihren Achttausendern immer eine Beziehung?

Diemberger: Gehen wir sie durch: Der Broad Peak war mein erstes Erlebnis an einem Achttausender überhaupt. Danach hatte ich vorerst kein Interesse, einen weiteren zu besteigen. Ich habe zwar den K2 gesehen und gedacht "Mensch, ist der riesig", aber er zog mich noch nicht an. Mein Zweiter, der Dhaulagiri, war reizvoll, weil er ein wunderbar weißer Berg ist und sieben Expeditionen zuvor gescheitert waren.

SZ: Also ging es doch irgendwie auch ums Prestige.

Diemberger: Natürlich freut man sich, wenn man zwei Achttausender erstbestiegen hat. Aber deshalb hab' ich es nicht gemacht! Von Everest und Makalu schließlich wollte ich als Kameramann den ersten Tonfilm herunterbringen. Dann der Gasherbrum II. In diesem Fall war tatsächlich die Verlockung groß, einfach auf meinem fünften Achttausender zu stehen. Mit 150 Trägern waren wir unterwegs, oben fragte ich mich, was das für einen Sinn ergibt. Denn das unbekannte Shaksgam-Tal lockte mich viel mehr.

SZ: Der K2, an dem Sie es mehrmals versuchten ...

Diemberger: ... wurde zu meinem absoluten Traumberg, nachdem ich ein Buch über die unbekannte Nordseite gelesen hatte. Das nahm erst 1986 mit der großen Tragödie ein Ende, als meine Seilpartnerin Julie Tullis beim Abstieg im Sturm ums Leben kam.

SZ: Hegen Sie keinen Groll gegenüber dem K2?

Diemberger: In keiner Weise. Am Wetter trägt der Berg schließlich keine Schuld. Ich kann noch immer verstehen, warum das unser Traumberg war. Wenn ich den K2 sehe, denke ich natürlich an meine Seilgefährtin. Aber ich denke vor allem daran, was er uns gemeinsam bedeutet hat.

"Berge machen keine Vorschriften"

SZ: Können Sie nachvollziehen, warum sich die österreichische Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner demnächst zum vierten Mal am K2 versucht, obwohl vergangenes Jahr ein Kollege vor ihren Augen abgestürzt ist?

Diemberger: Ich kann das nachvollziehen. Ich bekomme aber jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass Gerlinde in dieser Eisrinne namens Flaschenhals steckt. Inzwischen ist er durch die globale Erwärmung noch wesentlich gefährlicher geworden. Als Julie und ich da rauf sind, kam kein Brösel runter. Und trotz aller Technik kann heute kein Mensch wissen, ob morgen nicht eine Scheibe von dem Eisbalkon über dem Flaschenhals abbricht.

SZ: Sie haben einmal geschrieben, dass Bergsteiger heute weltoffener sind als je zuvor.

Diemberger: Jedenfalls ist das Bergsteigen vielseitiger geworden. Die große Masse der Leute geht nicht mehr nur in den Himalaya, sondern nach Grönland, Südamerika oder in die Wüste, zum Trekken und Klettern. Der Gipfel ist manchen heute nicht mehr so wichtig. Andererseits fehlt vielen auch die Lust am Entdecken.

SZ: Einige versuchen wiederum, besonders schnell zu sein.

Diemberger: Ich kann die Freude an der Schnelligkeit durchaus verstehen. Auch ich habe sie empfunden, und einer wie der Schweizer Ueli Steck hat sie als Antrieb genutzt, um sein Technik zu perfektionieren. Der Unsinn beginnt, wenn Schnelligkeit in Konkurrenzdenken übergeht. Aber letztlich sind die Menschen ja frei. Berge machen keine Vorschriften.

SZ: Beneiden Sie die heutige Generation?

Diemberger: Ich beneide sie insofern, dass sie leichter dorthin kommt, wo auch ich gerne wäre.

SZ: War das Bergsteigen früher denn rigoroser?

Diemberger: Man musste mehr Risikobereitschaft mitbringen. Es gab Seillängen, auf denen man bis zum nächsten Stand keine Zwischensicherungen hatte.

Neid und Zwistigkeiten

SZ: In Ihrer Anfangszeit gab es nicht einmal Steinschlaghelme.

Diemberger: Ich gehörte zu den Ersten, die überhaupt einen verwendeten. Die Leute haben mich sogar ausgelacht dafür.

SZ: Neid und Streit scheinen seit jeher Teil des Bergsteigens zu sein, vor allem bei Expeditionen. Sie selbst erlebten Zwistigkeiten, beispielsweise bei der Erstbesteigung des Broad Peak 1957.

Diemberger: Hinter den Kulissen passierten einige Dinge, die mit dem sogenannten bergsteigerischen Anstand nicht viel zu tun hatten. Aber es ist wohl ganz natürlich, dass Menschen, die über lange Zeit in einer solch unvorstellbaren Einsamkeit Wochen oder gar Monate aufeinander kleben, entweder zu großen Freunden werden oder sich nicht leiden mögen. Am Broad Peak konnte das nicht gutgehen, nachdem sich der Alleingänger Hermann Buhl und Expeditionsleiter Marcus Schmuck schon vor der Expedition gerangelt hatten. Nur so lange der Gipfel noch nicht erreicht war, hat das Ziel geeint. Eigentlich ist das ein Fall für einen Soziologen.

SZ: Frühere Expeditionen werden heute gerne als streng hierarchische Systeme beschrieben.

Diemberger: Ich weiß, dass die Expeditionen von Karl Herrligkoffer streng hierarchisch organisiert waren, aber bei meinen eigenen kann ich das nicht bestätigen. Interessant war, wie es eine US-amerikanische Expedition 1981 bei der Besteigung der Kangshung-Wand (Ostwand des Everest, d. Red.) mit einem demokratischen System versuchte. Da wurde immer abgestimmt, wie es weitergehen soll. Einer ist dann einfach auf die andere Seite gewechselt, um den Everest über den Normalweg zu besteigen. Aber bis zuletzt wollten einige die damals unversuchte Kangshung-Wand packen.

SZ: Und?

Diemberger: Das untere Drittel, ein extrem schwieriger, tausend Meter hoher Pfeiler, haben wir noch bewältigt. Es fehlten dennoch 2000 Höhenmeter, als die Herbststürme das Unternehmen beendeten. Zwei Jahre später wurde der Pfeiler überlistet, indem man eine Art Rakete mit einem Faden daran hinaufschoss und eine Seilbahn einrichtete. Eine Besteigung "by fair means" kann man das allerdings nicht nennen.

SZ: Wird heute mehr Wert auf eine "faire" Besteigung, auf das "Wie" gelegt?

Diemberger: Auf das Wie wurde schon immer Wert gelegt. Aber wer bestimmt dieses Wie? Lässt sich sagen, dass eine Besteigung mit Steigeisen heute nicht gilt, weil man einst nur Nagelschuhe hatte?

SZ: Gehen Sie immer noch gerne in die Berge?

Diemberger: Wegen der Erfrierungen an meiner Hand kann ich nur als Seilzweiter im vierten Grad klettern. Aber Herz und Lunge funktionieren noch. Und die Freude am Entdecken ist nicht geringer geworden, nur die Ziele sind etwas kleiner. Ich bin zuversichtlich, dass ich während meiner Reise nach Südamerika auf den Vulkanen Tupungato und San José stehen werde.

SZ: Und der K2, ihr Traumberg? Sieht der Sie noch einmal?

Diemberger: Nördlich des K2 steht seit 1999 ein Fass unter einer Moräne versteckt. Das findet keiner außer mir. Zur Person:

Kurt Diemberger, 1932 in Villach geboren, stand 1957 als erster Mensch auf dem Broad Peak (8051 Meter) und drei Jahre später auf dem Dhaulagiri (8167 Meter). Mit Julie Tullis bildete er in den Achtzigern das "höchste Filmteam der Welt". Er erlebte mit, wie Hermann Buhl und Tullis an seiner Seite in den Bergen ums Leben kamen, worüber Diemberger noch immer sehr reserviert spricht. Der Autor mehrerer Bücher, darunter "K2 - Traum und Schicksal", "Aufbruch ins Ungewisse", "Seiltanz" und das bislang nur auf Italienisch erschienenen "Enigma Himalaya" (mit Roberto Mantovani), lebt in Bologna und Salzburg. Seit Mai ist er Ehrenpräsident der Naturschutzorganisation Mountain Wilderness International.

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