Expeditions-Kreuzfahrt: Antarktis:Sturm im Eismeer

Auf einer Fahrt zwischen den Eisbergen vor der Antarktis muss man auf alles gefasst sein. Und allzeit bereit, sich aus dem Staub zu machen.

Birgit Lutz-Temsch

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Die MS Fram muss umdrehen. Kapitän Rune Andreassen hat entschieden. Dabei liegt das Weddell-Meer still da. Keine Welle trübt die Reflektionen der blauen Eisberge auf der Wasseroberfläche. In wenigen Metern Entfernung passiert die Fram Eisberge, die höher sind als das Schiff. An den Fenstern des obersten Beobachtungsdecks ziehen Eiswände vorbei. Knisternd schmelzen sie vor sich hin.

So ähnlich muss vor genau 100 Jahren auch der deutsche Polarforscher Wilhelm Filchner diese Eiswelt gesehen haben, und auch er musste früher umkehren, als er geplant hatte.

Wilhelm Filchner, 1911

Quelle: SCHERL

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Filchner leitete 1911 die zweite deutsche Antarktis-Expedition und wagte sich mit seinem Schiff, der Deutschland, tief in das Weddell-Meer hinein. Eine aufregende Zeit war es, in der Filchner unterwegs war: Soeben hatte der Amerikaner Robert Peary erstmals den Nordpol erreicht, weswegen der Norweger Roald Amundsen seine diesbezüglichen Ambitionen aufgab und sich kurzerhand dem Südpol zuwendete. Sein dortiger Konkurrenzkampf mit dem Briten Robert Falcon Scott um den Südpol, der in reichlich fragwürdiger Weise derzeit im ZDF reproduziert wird, näherte sich gerade seinem Höhepunkt. Und die antarktische Landkarte wies zu dieser Zeit noch riesige Löcher auf. Filchners Ziel war deshalb nicht der Südpol: Er wollte Entscheidendes zum geografischen Wissen über die Antarktis beitragen und herausfinden, ob Weddell- und Ross-Meer den antarktischen Kontinent in Wahrheit in zwei Hälften teilen.

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Filchner war voll entbrannt für die Idee, diese Frage zu klären; er begeisterte sich so für sein Projekt, dass er sich sogar mit Scott und dem schwedischen Polarfahrer Otto Nordenskjöld beriet - ein durchaus unübliches Vorgehen, weil Expeditionen vor allem auch der Mehrung des Ruhms der einzelnen Nationen dienen sollten, und die Polarforscher untereinander eifersüchtig darüber wachten, wer mit welchem Geld wohin aufbrach.

Filchner fuhr weiter in das Weddell-Meer hinein als irgendjemand vor ihm, bis über den 77. südlichen Breitengrad hinaus. Der Kapitän der Fram ist 100 Jahre später deutlich vorsichtiger. Doch so lange die See ruhig ist, ist es wohl eine der wunderbarsten Aufgaben, die man als Kapitän erfüllen kann - das Schiff sicher durch dieses Eislabyrinth zu bringen, das so voller Leben ist.

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Expeditionsleiterin Anja Erdmann kommt kaum hinterher mit ihren Durchsagen. Den ganzen Tag über kündigt sie durch Lautsprecher an, was sie und ihr Team, das mit Ferngläsern auf der Brücke steht, entdecken. Robben räkeln sich auf Eisschollen. Die vorbeischleichende Fram stört sie nicht im Geringsten, die meisten heben gerade mal kurz den Kopf, nur um sich schnell wieder in den Schnee fallenzulassen.

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Von manchen Eisschollen hopsen Pinguine. Immer wieder begleiten Wale das Schiff. Gegen Mittag passiert die Fram einen schlafenden Buckelwal, der mit seinem Atemloch an der Wasseroberfläche dahintreibt. Alles ist ruhig.

Aber in wenigen Stunden wird es hier anders aussehen. Wenn das Sturmtief, das der Kapitän der Wettervorhersage entnimmt, die Weddell-See erreicht, werden sich die Eisschollen und -berge in Bewegung setzen. Wellen, Wind und hochproduktive Eisschelfe sind eine gefährliche Kombination, die in der langen Entdeckungsgeschichte der Antarktis schon vielen Expeditionsschiffen zum Verhängnis geworden ist. Andreassen will nicht riskieren, dass sich das Eis hinter der Fram schließt und das Schiff im Weddell-Meer festsitzt.

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Die Passagiere der Fram erleben durch diese Entscheidung, was es heißt, auf einer Expeditions-Kreuzfahrt zu sein. Anja Erdmann drückt das so aus: "Wir haben für jeden Tag einen Plan A. Bei dem wird es aber selten bleiben. Deswegen müssen Team und Passagiere flexibel sein." Erdmann wird recht behalten. An einem der folgenden Tage geht das Plan-Alphabet bis zum Buchstaben H. Erzwingen lässt sich nichts. "Wir müssen uns immer den Gegebenheiten der Natur unterordnen", sagt Erdmann, "hier entscheiden nicht wir."

Allerdings ist man auf der heutigen Fram, benannt nach dem robusten Schiff, mit dem Amundsen ins Eis aufgebrochen ist, wesentlich komfortabler unterwegs. Auch müssen die Passagiere keinen Pemmikan essen, jenes gewöhnungsbedürftige Fett-Dörrfleisch-Gemisch, das einst die Hauptnahrung auf Expeditionen war.

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Und während die Passagiere der Fram im Jahr 2011 bei den Landgängen teils stundenlang auf dem kalten Boden sitzen, Pinguine beobachten und fotografieren, hatte Filchners Mannschaft auf der Deutschland einen pragmatischeren Zugang zur Tierwelt. Für sie waren die Kreaturen, die ihnen begegneten, entweder Nahrung oder Brennstoff. In den Bauch der Deutschland war, wie damals auf Expeditionsschiffen üblich, ein Kessel eingebaut, der nicht nur mit Kohle zu beheizen war, sondern auch mit in Streifen geschnittenem Wal- und Robbenfett. Und mit Pinguinen, bei denen man sich die Mühe der Zerkleinerung erst gar nicht machte. Die Tiere wurden einfach als Ganzes verfeuert - ein heute unvorstellbarer Eingriff in die Fauna der Antarktis.

Um so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen, dürfen nach den 1994 verabschiedeten Regeln der International Association of Antarctica Tour Operators (IAATO) heute nicht mehr als 100 Passagiere gleichzeitig an Land gehen. Deren Kleidung und Rucksäcke werden vor und nach den Besuchen außerdem penibel gereinigt, um keine Pflanzen oder Viren auf den Kontinent einzuschleppen, die das natürliche Gleichgewicht stören könnten.

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Die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten dieser Fahrten um die Antarktische Halbinsel sind aber denen auf historischen Expeditionsschiffen noch immer zumindest ähnlich: Wetter und Eis bestimmen den Verlauf, Pläne müssen ständig geändert und Entscheidungen schnell, aber umsichtig getroffen werden. Und dann gibt es immer einen Kapitän und einen Expeditionsleiter - wie auf den historischen Fahrten, bei denen der Expeditionsleiter selten gleichzeitig der Kapitän des Schiffes war. Dies führte oft zu fatalen Kompetenzstreitigkeiten.

Filchner zum Beispiel war sich überhaupt nicht grün mit seinem Kapitän Richard Vahsel, über den Historiker später schrieben, er habe die Ziele der Unternehmung geradezu sabotiert. 117 Mitglieder umfasste die Expedition: 33 Mann, 75 Hunde, acht Ponys und eine Katze; die Finanzierung hatte der bayerische Prinzregent Luitpold übernommen. Mit seiner Mannschaft bewegte sich Filchner durch das eisreiche Meer nach Süden, und beim Auswählen eines geeigneten Überwinterungsplatzes im Februar 1912 eskalierte der Streit zwischen ihm und Vahsel.

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Vahsel weigerte sich, Filchner seine Seeleute zu überlassen, um an Land eine Hütte zu bauen, und zwang Filchner, die Hütte auf einem Eisberg zu errichten. Keine gute Idee. Der Eisberg brach kurz nach der Fertigstellung der Hütte in Stücke. Zwar konnten die in der Hütte schlafenden Männer gerettet werden, aber Vahsel hatte genug vom Eis. Mitten in den Vorbereitungen Filchners für Erkundungsfahrten mit dem Schlitten über Land gab er das Kommando, die Antarktis zu verlassen - und wollte dabei sogar zwei Männer an Land zurücklassen, die mit Material bereits dorthin gebracht worden waren. Der Grund für Vahsels Eile war vermutlich sein schlechter Gesundheitszustand - er wollte zurück in die Zivilisation und zu einem Arzt. Das schaffte Vahsel jedoch nicht, er starb auf dem Rückweg, vermutlich an Syphilis.

An Bord der Fram gibt es keine solchen Streitereien. Auf dem Weg in die Sicherheit an der Westküste der Antarktischen Halbinsel gerät das Schiff zwar in starken Wind, und auf die Außendecks fällt so viel Schnee, dass bald ein Schneemann an der Reling steht.

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Aber nur ein Ausläufer des Sturmtiefs im Weddell-Meer hat das Schiff erwischt - gerade so viel, dass Kapitän Andreassen einen Beweis hat, dass seine Entscheidung richtig war. "Jetzt möchten wir nicht mehr zwischen den Eisbergen unterwegs sein", sagt er ruhig. Elf Landungen auf vorgelagerten Inseln gelingen in den nächsten Tagen, zweimal können die Passagiere antarktisches Festland betreten, eine Rekordzahl. Der südlichste Punkt, den die Fram erreicht, ist die Petermann-Insel am 65. Breitengrad, nach der spektakulären Fahrt durch den engen Lemaire-Kanal.

Filchner bekam keinen solchen Ausgleich für seinen verlorenen Traum der endgültigen Kartierung des antarktischen Festlands. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland brach mitten in den Plänen zu einer neuen Expedition der Erste Weltkrieg aus. Als Soldat kam Filchner nach Norwegen, wo er sich mit Fridtjof Nansen und Amundsen anfreundete, der ihn sogar zu einer neuen Antarktis-Expedition einlud.

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Aber die zunehmende Feindschaft zwischen den Nationen verhinderte auch dieses Projekt. Filchner reiste nie mehr in die Antarktis, und obwohl er während seiner Expedition einige Landvermessungen anstellte, die von Nordenskjöld und Amundsen höchst gelobt wurden, verbrachte er den Rest seines Lebens fast in Armut und wurde in Deutschland bald vergessen.

Mit derlei Widrigkeiten müssen sich die Passagiere der Fram nicht herumschlagen. Auch sie können zwar nicht zu einer langen Wanderung an Land aufbrechen, aber eher aus einem schönen Grund: Auf der Paulet-Insel haben sich mehr als 300.000 Pinguine in einer Kolonie versammelt. Sie sind mit der Aufzucht ihrer Jungen beschäftigt und versperren die Wanderroute, es ist kein Durchkommen möglich. Aber trotzdem landet kein Pinguin im Kessel der Fram. Diese Zeiten sind vorbei.

Antarktis Grafik

Quelle: SZ-Grafik

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Informationen

Reisearrangement: Hurtigruten bietet eine 17-tägige "Expedition Weddell-Meer" an; mit Flügen von Deutschland über Buenos Aires nach Ushuaia und zurück, Übernachtungen in Buenos Aires und Schiffsreise mit Vollpension, je nach Kabinenkategorie ab 8040 Euro pro Person: Nächster Reisetermin: 21. Januar bis 5. Februar 2012.

Am 14. Dezember 2011 wird an Bord der Fram das Amundsen-Jubiläum gefeiert, auf der Reise "Chilenische Fjorde und Antarktis", pro Person ab 7690 Euro. Tel.: 040/37 69 30, www.hurtigruten.de

© SZ vom 17.3.2011/kaeb
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