Süddeutsche Zeitung

Everglades in Florida:Überleben üben

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Im Everglades-Nationalpark kann man sich mit einem Trainer auf das Ende der Welt vorbereiten. Und muss sich mit echten Plagen herumschlagen.

Von Josefine Köhn

Man kann sich Angenehmeres vorstellen, als in der Mittagshitze Treibholz zu einem Feuerplatz zu schleppen. Aber Charley Hogwood kennt keine Gnade. "Ohne Feuer kein Essen, kein Schutz, kein Wasser. Wir proben schließlich für den Ernstfall", sagt Hogwood. Bevor getrunken werden darf, muss also erst das Wasser abgekocht werden; alternativ kann man es durch ein Baumwolltuch filtern. Zeit braucht beides. Aber die Zeit hat hier, in den Everglades, ihr eigenes Maß. "Der Sumpf ist ein großartiges Gebiet, um in die Vergangenheit zu reisen. Es gibt kaum einen Ort, an dem man sich weiter von der Zivilisation entfernen kann", hatte Hogwood schon zur Begrüßung gesagt, er, der Mann, der als Überlebenstrainer in den Sümpfen arbeitet.

Tatsächlich hat es in dem 6000 Quadratkilometer großen Nationalpark vor Millionen Jahren kaum anders ausgesehen als heute: Am Horizont scheint das wogende Sägegras in den Himmel zu wachsen. Durchbrochen wird die Wasserfläche von tief wurzelnden Mangroven, die zu kleinen Inseln zusammenwachsen, den Hammocks. Hier und da gibt es einen Sandstrand, an dem man mit dem Kajak anlegen kann. Die Wildnis hat kommerzielle Anbieter auf die Idee gebracht, Überlebenstrainings-Touren anzubieten. Vor allem bei sogenannten Preppern, Menschen, die sich auf das Ende der Zivilisation vorbereiten, gelten die Sümpfe als ideales Übungsgelände, um dem Weltuntergang gelassener entgegenzusehen.

Die Vorstellungen vom jüngsten Gericht sind vielfältig

Tewawki nennen sie die Zeit danach: The end oft he world as we know it. Und dieses "Ende der Welt, wie wir sie kennen" bedarf der Vorbereitung. In den Sümpfen gibt es alles, was dazu nötig ist - Frischwasser, Nahrung, Brennholz. Die Vorstellung, was alles zu Tewawki führen könnte, ist schier unbegrenzt: Ein Hurrikan, eine Flut, ein Weltkrieg, der Zusammenbruch des Wirtschaftssystems, eine Pandemie, ein Atomunfall, die Polarschmelze oder gleich alles zusammen. Manche Prepper glauben auch an die Landung von Außerirdischen. Geschätzt drei bis vier Millionen US-Amerikaner fühlen und handeln so: Sie lagern nicht nur Vorräte ein für den nächsten Hurrikan, sondern bereiten sich auf das Überleben in einer Welt ohne jegliche Infrastruktur vor.

Von ungefähr kommt diese Angst vor der Unberechenbarkeit der Natur nicht. In Miami gehören Wirbelstürme ebenso zum Jahresrhythmus wie Weihnachten oder Ostern. Sich darauf so gut es geht vorzubereiten, lernen Amerikaner schon früh.

Wie viele Prepper in den Everglades trainieren, wissen die Angestellten der Parkverwaltung nicht. "Die Prepper stellen sich bei uns nicht als solche vor", sagt David Hooper, Parkranger und Sprecher des National Park Services. "Aber so lange sie nicht gegen die Regeln verstoßen, Bäume fällen oder die Natur zerstören, haben wir mit ihnen kein Problem."

Die Everglades gehören seit 1979 zum Weltnaturerbe der Unesco, sind aber als gefährdet eingestuft.

Diese bedrohte Orchideenart wurde neu angesiedelt und findet sich wieder häufiger in Teilen des Nationalparks.

Störche gehören neben verschiedenen Mäusearten und Waschbären zu den bedrohten Tierarten im Nationalpark.

Wilderei und klimatische Veränderungen bedrohen immer wieder Tier- und Pflanzenwelt der Everglades.

Abwässer aus überdüngten Feldern gelangen in solchen Mengen in die Sümpfe, dass der natürliche Filtermechanismus dieses Gebiets nicht mehr funktioniert.

Damit haben auch die Prepper kein Problem. Denn beim Überlebenstraining gehe es ja gerade nicht darum, "sich die Umgebung passend zu machen, wie wir es in unserer zivilisierten Gesellschaft tun", erklärt Hogwood, der früher Kundschafter bei der Army war und schon als Kind, wie er sagt, "für Tage einfach im Wald verschwand". Überleben sei vielmehr "die Kunst, sich seiner Umgebung anzupassen".

Mit der Natur leben, nicht gegen sie - das ist es dann auch, was die Kursteilnehmer in der Prepper-Schulung lernen sollen. Und das sieht dann, etwa beim Reiskochen, so aus: Das Feuer entfacht Hogwood mit einem metallenen Feuerstahl und ein paar Spänen, wobei sich zivilisationsgeschädigte Kursteilnehmer bei ihren Versuchen ungefähr so geschickt anstellen, dass wohl jeder Homo erectus einen steinzeitlichen Lachanfall bekommen hätte. Erst kurz vor der Kapitulation klappt es mit dem Feuermachen dann doch noch.

Hogwood hat ein paar Bambus-Rohre zurechtgeschnitten, in denen der mitgebrachte Reis gekocht wird. Als Beilage gibt es Sägegras. Die Blattenden sind essbar, müssen aber erst mit der gebotenen Vorsicht vom Blattrand - seine Kanten sind scharf wie ein Taschenmesser - abgelöst werden. Auch die gelben Wasserlilien und einige Beeren sind essbar, allerdings "muss man schon genau wissen, was man pflückt", sagt Hogwood. Er selbst geht ohnehin lieber jagen, Schweine zum Beispiel. Die geben einen schmackhaften Braten, geschmort im selbstverständlich handgebauten Erdofen, und außerdem liefert das Erlegen der Tiere gute Geschichten fürs Lagerfeuer. Manche Prepper sollen schon Alligatoren zubereitet haben.

Wie lange das noch möglich sein wird, ist allerdings fraglich. Seit 1979 gehören die Everglades zum Weltnaturerbe der Unesco; sie sind jedoch als gefährdet eingestuft. Abwässer aus überdüngten Feldern gelangen in solchen Mengen in die Sümpfe, dass selbst der natürliche Filtermechanismus eines so gigantischen Gebiets nicht mehr funktioniert. Auch eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten stören das Ökosystem. Pythons etwa, die hier einst nicht heimisch waren, haben sich derart vermehrt, dass sie verschiedene Tierarten zu verdrängen drohen. Noch werden mehr als 40 Säugetier- und 350 Vogelarten in den Sümpfen gezählt, doch "verschiedene Mäusearten, Waschbären oder auch Störche sehen wir nur noch selten", sagt Parkranger David Hooper. "Die Artenvielfalt der Everglades wird durch die Riesenschlange stark gefährdet." Menschen, die sich durch die Sümpfe kämpfen, erleben indes andere Everglades-Bewohner als Plage: Es gibt hier 43 verschiedene Moskito-Arten.

Abenteurer müssen sich aber nicht nur auf Alligatoren, Pythons und Moskitos einstellen; sondern auch auf plötzliche Kälteeinbrüche. Noch dazu machen Unterströmungen das Kajakfahren zu einem gefährlichen Unternehmen. Für Ungeübte ist es reichlich schwierig, sich in der weiten, monoton wirkenden Wasserlandschaft zurechtzufinden. Hooper empfiehlt, vor jedem Ausflug in die Wildnis bei Bekannten einen Routenplan zu hinterlassen - und sich auch daran zu halten. Einmal pro Monat muss die Parkverwaltung einen Hubschrauber losschicken, um verirrte Besucher in den Everglades zu suchen. "Die meisten Abenteurer finden jedoch selbst wieder zurück, wenn auch manchmal einen Tag verspätet", sagt Hooper.

Hogwood, der Überlebenstrainer, rät daher auch jedem Everglades-Besucher, einen Rucksack mitzunehmen. Der Inhalt: Messer, Feuerzeug, wasserdichte Kleidung, Edelstahlschüssel, reißfeste Schnur, Kompass, Baumwolltuch, Stirnlampe, eine große Nadel und Isolierband. "Im Ernstfall kommt man so ganz gut über die Runden", sagt Hogwood. Wobei der Ernstfall ja nicht gleich aus Pandemie, Flutwelle oder Atomunfall bestehen muss, sondern auch so etwas Banales sein kann wie: ein verstauchter Fuß.

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SZ vom 19.03.2015
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