Eva Menasse erklärt Wien:Gallige Liebe

"Mein innerstes Wien ist wie eine süßlich riechende alte Tante, die sich im Keller versteckt und einen zum Spaß als Monster überfällt": Ein hintersinniges Märchen-Erinnerungs-Verzauberungsbuch von Eva Menasse erklärt Österreichs Hauptstadt, ihre Kaffeehäuser und den Naschmarkt.

Cathrin Kahlweit

In der hierzulande außerordentlich unterschätzten Satire-Show "Wir sind Kaiser", einer der erfolgreichsten und skurrilsten Sendungen des österreichischen Fernsehens, hockt Robert Palfrader als Robert Heinrich I. auf einem Thron und spricht mit Menschen. Der Kaiser befragt seine Gäste über Österreich und die Welt; diese Gäste sind manchmal sehr doof (Richard Lugner) und manchmal sehr dämlich (Naddel), manchmal bemüht lustig (Heinz-Christian Strache) und manchmal aber auch von luzider Boshaftigkeit.

Kaffeehaus Wien

Der Wiener braucht sein Kaffeehaus - um über seine Stadt zu lästern.

(Foto: dpa)

Am bösesten ist der Gastgeber der Talkshow selbst, Kaiser Robert Heinrich I. Als der deutsche Schauspieler Uwe Ochsenknecht bei ihm zur Audienz weilt, lobt der Deutsche die Stadt Wien auf das Höchste und sagt: "Tolle Stadt. Aber warum bringen sich hier so viele Menschen um in dieser wunderschönen Stadt?" Worauf der Monarch antwortet: "Ja, es kommen halt wahnsinnig viele deutsche Touristen."

Nun kann man das auf vielerlei Art interpretieren. Entweder Seine Hoheit meint, die Deutschen brächten sich in Wien um, weil man das in Wien so tut oder weil sie nicht mehr weg wollen aus Wien. Oder aber der Wiener bringt sich häufig um, weil so viele (zu viele) deutsche Touristen kommen. Sei es, wie es sei, wenn diese deutschen Touristen das wunderbare Buch "Wien. Küss die Hand, Moderne" aus dem Corso-Verlag gelesen haben, werden sie die Gefahr für Leib und Leben nicht scheuen und noch zahlreicher kommen.

Diese Mischung aus Monographie und Magazin, die sich nicht entscheiden muss, ob sie Lesebuch, Bilderbuch oder Reiseführer sein will, ist eine einzige, süchtig machende Liebeserklärung an Österreichs Hauptstadt. Herausgeberin Eva Menasse, gebürtige Wienerin und Romanautorin, leitet dieses absurd komische, anheimelnd-zarte, bitter-gallige Buch mit hintersinnigen Sätzen ein: "Mein Wien hat keine helle, luftige Ausstrahlung, all seinen Kronleuchtern zum Trotz. Mein innerstes Wien ist wie eine süßlich riechende alte Tante, die sich im Keller versteckt und einen zum Spaß als Monster überfällt. Mein Wien ist der Moment, wo sie einen packt, noch ehe man sie erkennt."

Übersetzungen für Unübersetzbares

Diese süßlich riechende alte Tante kann, was Tanten können: backen, kochen, essen und verwöhnen und dazu ein Schnapserl trinken. Daher befasst sich ein großer Teil des großformatigen Buches mit Essen und Trinken in Wien, mit Kaffeehäusern und dem Naschmarkt, mit der Übersetzung für Unübersetzbares wie Lungenstrudel oder Klobasse, Blunzengeröstel und der "Eitrigen mit an Bugl".

Und wo sich das Buch zwischen seinen poetischen, schwarz-weißen Fotos nicht mit Essen und Trinken befasst, da schmuggelt es beides quasi durch die Hintertür, entlang an der Donauinsel, quer über die Ringstraße, hinauf in die Hochparterrewohnung einer Zinskaserne und wieder hinaus zum Stephansdom, erneut hinein in seine Texte.

Komplimente von Betrunkenen

Denn nach Kleinodien von Elfriede Jelinek und Thomas Glavinic, Alfred Dorfer und Michael Stavaric findet sich, ganz zum Schluss, noch eine Sammlung wunderbarster Betrachtungen und Zitate über den "besten Ort der Welt" (Mozart). Offenbar kann man, um Wien zu ertragen, nur essen und trinken. Denn Gertrude Stein findet sich hier mit ihrer Erinnerung an "Wiener Bier", und Joseph Roth schwärmt von seinem "Stammlokal". Romy Schneider war beim Heurigen, Michael Köhlmeier schwelgt in den Gewürzen vom Naschmarkt.

Und immer mittendrin ist alles voller Betrunkener, die sich mit einem Spritz zu viel gegenseitig Komplimente machen. Das klingt dann bei Dirk Stermann (Autor von "Sechs Österreicher unter den ersten fünf") so: "Weißt du, was das Problem ist?", fragt der Österreicher den Deutschen. "Auf uns liegt zu viel Last. Wir Wenigen tragen die Last eines ganzen Landes auf den Schultern. Ihr gschissenen Deutschen seid 80 Millionen und habt eine Kanzlerin, Theater, Zeitungen, Hitparaden, Bäcker, und wir sind nur acht Millionen und müssen auch Kanzler haben und Maler und Theater und Musik und Lebensmittel. Obwohl wir so wenige sind. Von mir gibt's in Deutschland zehn, und ich muss hier alles allein machen. Auch bestellen, weil du gschissenes Arschloch Wasser trinkst wie ein krankes deutsches Pferd." Und dann wird weiter gesoffen, weil es so schön ist. Gemeinsam.

Man liebt eben, was man kennt

Dieses Märchen-Erinnerungs-Verzauberungsbuch ist keine Liebeserklärung an Wien, das kann es gar nicht sein, weil die Autoren Wien eigentlich gar nicht leiden können. Aber man liebt eben doch, was man kennt, manchmal, weil man daran gewöhnt ist, oder weil man gar nicht merkt, dass man schätzt, was man hasst. Aber vielleicht ist das auch das Schicksal von Wien, dass alle schlecht darüber reden, weil man das halt so tut. Deshalb bekommt Georg Kreisler das letzte Wort: "Warum ist Wien meine Heimat? Nun, ich identifiziere mich mit dem Wiener Charakter, der zwar nicht sehr positiv zu beurteilen ist, aber dafür kann ich mich auf seine negativen Aspekte verlassen. Jeder Wiener kennt den typischen Wiener Charakter, denn er kennt seinen eigenen. Schwamm drüber!"

Eva Menasse (Hrsg): Wien. Küss die Hand, Moderne. Corso Verlag, Hamburg 2011. 150 Seiten, 24,95 Euro

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