Nachhaltiger Urlaub:Auf Reisen die Welt verbessern

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Einfach mal ausspannen, mit viel Sonne und Strand. Alles andere ist vielen Urlaubern egal. Geht das auch nachhaltiger?

Von Jochen Temsch

Im schmuddeligen Winterwetter sehen Werbeplakate für Urlaubsreisen besonders verlockend aus: Sonne, Strand und türkisfarbenes Wasser, glückliche Paare, lachende Kinder huckepack. Eine genaue Verortung dieser Szenen ist nicht notwendig; das sehnsüchtige Wohlgefühl setzt auch im Ungefähren sofort ein. Beim Betrachten eines Karibik- oder Tropen-Motivs wird im menschlichen Gehirn ein Reflex ausgelöst. "Die freigesetzten Glückshormone ähneln einem leichten Drogenrausch", sagt der Psychologe Alfred Gebert. Derart verzückend, inspirieren Strand-Bilder wie kein anderes Sujet zur Buchung einer Reise. Dieser Reflex sagt nicht nur etwas über die Austauschbarkeit von Urlaubsträumen aus, hier beginnt auch ein moralisches Dilemma.

Gute Reise

Wie wir Urlaub machen wollen: Jedes Jahr sind etwa eine Milliarde Touristen unterwegs. Das bietet riesige Chancen für die besuchten Länder. Und einige Probleme

SZ-Serie - Teil 1

Zwei, drei Wochen lang alle Probleme vergessen, das wird als Bürgerrecht erachtet

Ferienplakate hängen oft an den tristen Schauplätzen der Berufspendelei: An S-Bahnhöfen und Bushaltestellen werben sie mit der Aussicht auf Abflug aus dem Alltag. Das "Paradies" ist dann auch nur noch einen Werbeslogan weit entfernt. Viele Urlauber nehmen die Metapher wörtlich. "Paradeisos", im Griechischen der umgrenzte Garten, bei Goethe dort, wo "im dunklen Laub die Goldorangen glühn" - in so einer geschützten Schreberanlage sind die Urlauber dann mental, wenn sie mal nichts wie weg sind. Weg von der Arbeit. Weg von der Verantwortung. Weg von allem, womit sie sich den Rest des Jahres über herumschlagen müssen. Erst kommt der Anspruch aufs Abschalten und Erholen - in Deutschland ist er sogar gesetzlich gesichert -, und dann kommt für viele nichts mehr. Zwei, drei Wochen lang einmal alle Probleme vergessen, die jenseits des Gartenzauns liegen, das wird als eine Art Bürgerrecht erachtet.

Aber darf man das tatsächlich? Einfach mal an sich selbst denken? Nicht an den Dreck, den man bei der Anreise in die Atmosphäre geblasen hat? Nicht daran, ob das Zimmermädchen mit seinem Lohn sein Kind ernähren kann? Wenn der Urlaub nur so klar vom restlichen Leben zu trennen wäre. Schon die Grundannahme des Wegseins hinterm Gartenzaun ist falsch.

Urlauber sind allein aufgrund ihrer schieren Masse nie weg von allem und jedem, sondern im Gegenteil alle gemeinsam auf Achse, um den Garten Eden gehörig umzupflügen. Laut der Weltorganisation für Tourismus UNWTO waren im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Touristen unterwegs, 50 Millionen mehr als im Jahr 2014. Allein die Deutschen unternahmen 70 Millionen Urlaubsreisen mit mindestens fünf Tagen Dauer und gaben dafür 66 Milliarden Euro aus. "Der Tourismus in Deutschland trägt mehr zur Wertschöpfung bei als etwa die Fahrzeugindustrie", meldet der Deutsche Reiseverband (DRV). Daran ändert auch die Terrorgefahr nichts, wie die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) in ihrer aktuellen Reiseanalyse feststellt. Ausschlaggebend für die Lust oder Unlust auf Urlaub ist demnach nicht primär die weltpolitische Lage, sondern die wirtschaftliche Situation der Reisenden. Und die ist in Deutschland sehr gut. Man arbeitet hart das ganze Jahr über. Man hat sich den Urlaub verdient.

"Wie schadet der Tourismus dem Terrorismus?"

Weltweit ist der Tourismus eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen. In vielen Ländern hängt ein Großteil der Arbeitsplätze daran. Urlauber bringen im Idealfall Wohlstand und Infrastruktur. Im idealistischen Fall leisten sie einen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis, ja zum Frieden. Martin Lohmann, Professor für Psychologie und Tourismusforschung und einer der Autoren der Reiseanalyse, sagt: "Die Frage darf nicht nur lauten: Wie schadet der Terrorismus dem Tourismus? Sondern: Wie schadet der Tourismus dem Terrorismus?"

Im schlechten Fall jedoch bringen Urlauber Umweltschäden, die Störung des Zusammenlebens und soziale Ungerechtigkeit, weil nicht alle gleichermaßen von den Einnahmen durch die Gäste profitieren. Deshalb lauten die Fragen auch: Kann man eine Reise gut meinen und trotzdem falsch angehen? Wie stelle ich sicher, dass möglichst viel von meinem Geld im Urlaubsland bleibt? Soll ich lieber individuell oder als Pauschaltourist verreisen? Darf ich - oder soll ich sogar, um die Lage der Einheimischen zu verbessern -, in einer Diktatur Urlaub machen? Letzteres fragen sich heutzutage zumindest mehr Myanmar- oder Iran-Urlauber als es Badetouristen in den Sechzigerjahren taten, die massenhaft und ohne Bedenken ins faschistische Spanien unter Diktator Franco reisten.

Fest steht: Der alte Globetrotter-Kalenderspruch "Hinterlasse nichts außer deinen Fußspuren und nimm nichts mit außer deinen Eindrücken" wirkt heute etwas naiv. Informierten Travellern ist es kaum mehr möglich, bei Fußspuren an romantisch flüchtige Fährten im Sand zu denken. Die Assoziation ist vielmehr der CO₂-Abdruck: Laut UNWTO fallen pro Reise im internationalen Mittel etwa 0,25 Tonnen Kohlendioxid an. Damit tragen die Touristen nach Angaben der Umweltorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) mit fünf Prozent aller Treibhausgasemissionen zur globalen Erderwärmung bei. Tendenz steigend.

Nachhaltigkeit, der in diesem Zusammenhang viel strapazierte und oft falsch verwendete Begriff, bedeutet jedoch nicht nur Umwelt-, sondern auch Menschenfreundlichkeit. Die globalen Probleme werden nicht etwa dadurch gelöst, dass die Urlauber zu Hause bleiben. Die Frage ist nicht, ob man reisen soll - sondern wie man es am besten anstellt. Jemand, der Bioprodukte befürwortet, will auch nicht das Essen an sich abschaffen. Die Einschätzung, dass sich mit bewusstem Konsum die Welt verbessern lässt, gehört zum gesellschaftlichen Konsens - wenn auch mit krassen Widersprüchen. Denn mit guten Vorsätzen reisen wollen viele Deutsche. Aber nicht einmal ein Prozent bucht tatsächlich nach Kriterien der Nachhaltigkeit.

Das hat die jüngste Untersuchung des grünen Gewissens im Jahr 2014 im Auftrag des Bundesumweltministeriums gezeigt: Rund ein Drittel der Deutschen gab an, dass ihm die ökologische Verträglichkeit seines Urlaubs wichtig ist, sogar 38 Prozent wollten sozialverträglich reisen. Und 42 Prozent fanden es wichtig, dass sich Reiseveranstalter für Nachhaltigkeit engagieren. Die Vereinten Nationen haben den Begriff der Nachhaltigkeit im Tourismus schon in den Neunzigerjahren definiert, als Entwicklungsprozess, "langfristig, das heißt in Bezug auf heutige wie auf zukünftige Generationen, ethisch und sozial gerecht und kulturell angepasst, ökologisch tragfähig sowie wirtschaftlich sinnvoll und ergiebig".

Nachhaltigkeit ist keine Preisfrage

Ökonomisch, ökologisch und kulturell gut - dazu würde beispielsweise zählen, das bei einem Flug angefallene CO₂ durch eine Extra-Zahlung an eine Klimaschutzorganisation wie Atmosfair zu kompensieren. Oder in Hotels abzusteigen, in denen die Angestellten faire Löhne erhalten. Das Angebot für solche Reisen ist da. Es gibt Dutzende Programme und Zertifikate, die - ähnlich wie bei den Bioprodukten im Supermarkt - als Qualitätssiegel auf nachhaltige Reisen hinweisen.

"Schlechtes Gewissen kann längerfristig doch zum Handeln motivieren"

Besonders effektvoll sind die Öko-Maßnahmen von Konzernen wie der Tui, weil sie Millionen Urlauber betreffen. Besonders konsequent sind die kleinen Anbieter, zum Beispiel die rund 100 Veranstalter, die sich im Forum Anders Reisen zusammengeschlossen haben. Zu ihren Grundsätzen zählen neben der Kompensation die gründliche Information des Gastes über die Kultur des Landes, Mindestaufenthaltsdauern bei Fernreisen, Begegnungen mit Einheimischen auf Augenhöhe in kleinen Reisegruppen und Zivilcourage am Urlaubsort zu zeigen, etwa bei sexueller Ausbeutung von Kindern.

Mangelnde Information über nachhaltige Reiseangebote mag ein Grund sein für die geringe Nachfrage. Höhere Kosten ein anderer. Wer sein Steak beim Bio-Metzger kauft, bezahlt auch mehr, isst dafür aber vielleicht weniger und bewusster. Entsprechend könnten Urlauber die Zahl ihrer Fernreisen reduzieren. Durch manch nachhaltige Entscheidungen können Urlauber sogar sparen, etwa in lokalen Unterkünften. So oder so ist Nachhaltigkeit in erster Linie keine Preisfrage, sie ist eine Frage der Einstellung. Ulf Sonntag von der FUR gewinnt dem paradoxen Verhalten der Urlauber zumindest ein Positives ab: "Latentes schlechtes Gewissen kann längerfristig doch zum Handeln motivieren."

Es gibt nun mal nur eine Welt. Und kaputt will sie im Tourismus niemand haben, kein Urlauber, kein Reiseveranstalter und kein Werbeplakatgestalter.

Dies ist der erste Teil der neuen SZ-Serie "Gute Reise - Wie wir Urlaub machen wollen". In den folgenden Wochen widmen wir uns ethischen Fragen des Reisens. Dürfen Touristen in Diktaturen fahren? Wer profitiert wirklich von günstigen Angeboten? Kann man da Urlaub machen, wo am Strand Flüchtlinge ankommen - oder sollte man sogar dorthin reisen?

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