Erwachsenen-Skikurs:Keine Angst vor dem Abgrund

Aller Anfang muss gar nicht so schwer sein: Wer sich einmal überwunden hat, lernt auch als Erwachsener relativ leicht das Skifahren.

Claudia Wessel

Sie reden davon. Bei jeder Party. Am Arbeitsplatz. Im Café. Spätestens Ende November geht es los, und dann ist man bis April ihren Lobeshymnen ausgesetzt. Wie super es wieder war, wie genial, die Sonne, der Jagertee, der Neuschnee. Und die Frage der Fragen kommt immer, früher oder später: "Fährst du Ski?" Nein, sagt der verzweifelte Abstinenzler, ich fahre nicht Ski. Meine Eltern waren keine Wintersportler, meine Klasse fuhr an die Nordsee, und Urlaube führten in die Türkei oder nach Teneriffa.

Skikurse für Erwachsene, iStock

Aller Anfang - muss gar nicht so schwer sein und kann sogar Spaß machen!

(Foto: Foto: iStock)

Pech gehabt, drücken dann die Blicke der Wintersportler aus, ihre drahtigen Muskeln blitzen unter den Ärmeln, eine leichte Bräune hat schon wieder ihre Gesichtshaut überzogen. Sie werfen sich Infos über Schneehöhen und Kunstschnee zu und planen die nächsten drei Wochenenden. Ohne dich.

Wer mehrere Jahre im Süden der Republik, sprich in Bayern oder gar in München verbringt, muss sich entscheiden. Entweder für die Version: "Ist doch langweilig, immer rauf und runter. Ewig am Lift anstehen und dann in zwei Minuten runterfahren." Oder dafür, endlich zu erfahren, wovon die Rede ist.

Wer noch vor einem Jahrzehnt jenseits des Kinder- oder allerhöchstens Jugendalters letztere Ambitionen gehabt hätte, wäre belächelt worden. Doch heute ist das anders. "Neuer Schwung im Leben" heißt etwa eine Kampagne des Deutschen Skilehrerverbands. Sie richtet sich gezielt an Erwachsene, sogar an Senioren, und wird von den ewigen Ski-Profis Rosi Mittermaier und Christian Neureuther unterstützt.

"Jeder, der einen Fuß vor den anderen setzen kann, kann noch Skifahren lernen", behauptet Peter Hennekes, Geschäftsführer des Skilehrerverbands, dessen ältester Anfängerschüler 71 Jahre alt war. "Wenn man durch die Stadt geht, macht man es im Grunde auch nicht anders als auf der Skipiste. Wenn man nach links abbiegen will, dreht man den Oberkörper zuerst, und die Beine folgen. Es ist das, was man jeden Tag tut, nur jetzt hat man eben Skier an den Füßen."

Also gut. Da kommt ein Angebot gerade recht. Es nennt sich "Ski in two days" und wird von Kurt Hieber angeboten, der in München eine Skischule betreibt. Vor drei Jahren organisierte er ein Anfängerwochenende und hatte Erfolg. Inzwischen nehmen pro Saison rund 2000 Menschen an seinen Kursen teil. Zehn Prozent von ihnen sind Erwachsene. "In der Vergangenheit haben wir festgestellt, dass Erwachsene nicht mehr vier bis fünf Tage für einen Skikurs verplanen wollen", sagt Hieber. "Ein Wochenende ist vom Aufwand her wesentlich überschaubarer."

Also los.

Lesen Sie weiter, welche Abgründe sich an einem Babyhang auftun können.

Keine Angst vor dem Abgrund

"Super! Bravo! Exzellent!", ruft Skilehrer Marcus, während wir, eine Gruppe Anfänger zwischen 30 und 50 Jahren, im Skigebiet Wilder Kaiser hinter ihm den Babyhang herunterfahren. Doch was heißt Babyhang? Wir, die wir noch niemals den festen Untergrund gegen glatten Schnee getauscht haben, können daran nichts Babyhaftes finden.

Eine unberechenbare Geschwindigkeit lässt völlig ungewohnte Kräfte auf den Körper wirken. Die Befürchtung, bei der nächsten Kurve einfach schnurstracks ins Tal zu sausen, bewahrheitet sich allerdings nicht. Es funktioniert tatsächlich, was Marcus uns über die Technik eintrichtert: "Gewicht auf den Talski, dann kann bei der Kurve nichts schiefgehen!"

Wow, schon eine halbe Stunde nach der Ankunft im Skigebiet die erste kleine Abfahrt genommen! Gleich nach den ersten Rutschversuchen erkennen die Skilehrer, was man wem zumuten kann. Dann wird in den Gruppen getauscht, bis nur noch Gleichstarke beieinander sind.

Sehr wichtig ist bei erwachsenen Anfängern auch die intensive Betreuung - vor allem gegen die Angst. Denn was bei den versierten Skifahrern in ihren wundervollen Geschichten so einfach und anregend klingt, kann in der Realität ein ziemlicher Schock sein.

Intensive Betreuung gegen die Angst

Zum ersten Mal in voller Montur mit der Gondel hoch hinausfahren, die Weite des Blicks und die tausend Möglichkeiten, ungebremst in den Abgrund zu rasen - das kann die Motivation zum Lernen stark einschränken. Deswegen gibt es höchstens vier Teilnehmer pro Gruppe beim Wochenendkurs. Der Skilehrer kann die Mimik seiner Schüler bestens lesen und schnell mit lobenden Worten zu Hilfe eilen. Notfalls gibt es auch einige Stunden Einzelbetreuung.

Um die Angst vor den sperrigen Dingern namens Skier zu mildern, hat Hieber außerdem das Lernen mit aufsteigenden Skilängen zum Prinzip gemacht. Ganz besonders wichtig nimmt er auch die Auswahl des Geländes. "Es darf auf keinen Fall zu schwierig sein." Er weiß: Die Angst vor dem Abgrund ist das Schlimmste. Und die Definition von "Abgrund" ist bei erwachsenen Anfängern durchaus relativ.

Am zweiten Tag wird es dann richtig aufregend. Eine Gondelauffahrt bis in Bergeshöhe, glitzernder Schnee, Sonne und der Wilde Kaiser als Kulisse. Und Marcus, der mir nichts, dir nichts voranfährt, den steilen Abhang hinunter - und wir hinterher. Seine Stimme hat einen aufmunternden Tonfall: "Und jetzt mit einem Lächeln runterfahren. Talski belasten. Locker bleiben!"

Beim Unterricht für Erwachsene dürfe man nie zu viel auf einmal verlangen, sagt Peter Hennekes vom Skilehrerverband. Sowohl die Anforderungen als auch das Gelände müssten so einfach wie möglich gehalten sein, um die Angst zu reduzieren. "Die Furcht ist bei Erwachsenen natürlich viel größer als bei Kindern", sagt Hennekes. Ein wenig Angst müsse aber sogar sein, findet er. "Es gibt einen natürlichen Respekt vor der Anforderung, und das ist auch gut so."

Lesen Sie weiter, was beim erwachsenen Anfänger wichtiger ist als sportliche Höchstleistungen.

Keine Angst vor dem Abgrund

Hennekes ist seit 26 Jahren als Skilehrer tätig und betreibt in Lenggries eine Skischule. Mit Geduld könne man jedem die Angst nehmen, ist er überzeugt. "Ich habe in meiner langen Karriere noch keinen erlebt, der es nicht gelernt hat." Man müsse bloß weg vom Super-Sportler-Image des Skifahrers. "Gesundheit, Fitness und soziale Kontakte sind wichtiger als Höchstleistungen."

Entwickelt wurde die Erwachsenen-Kampagne jedoch auch "aus einer ökonomischen Analyse heraus", sagt Hennekes. "65 Prozent der Kunden in Skischulen sind Kinder. Da es jedoch in Zukunft immer weniger Kinder geben wird, werden wir weniger Kunden haben, wenn wir nicht ein neues Potential erschließen." In seiner Skischule hat Hennekes in dieser Hinsicht schon viel erreicht: "Vor drei Jahren hatten wir noch sechs Prozent über 45-Jährige, jetzt sind es schon zwölf Prozent."

Endlich mitreden beim Ski-Smalltalk

Am Abend des zweiten Tages können wir kaum glauben, was wir alles getan haben: Wir sind auf einem Bein gefahren, im Schuss in den (okay, nur 30 Zentimeter hohen) Tiefschnee gesaust, rückwärts geglitten, wir haben während der Abfahrt gesungen, bei ziemlich hoher Geschwindigkeit die Arme ausgestreckt und einen imaginären Hund spazieren geführt, haben einen unsichtbaren Kasten Bier und ebenso einen schweren Koffer und ein Tablett mit Cappuccino balanciert - und vielleicht sogar manchmal beim Abfahren gelächelt. Zumindest innerlich.

Nun kann man mitreden. Über das hilflose Gefühl, auf der Piste zu liegen, beide Skier in verschiedene Richtungen gekreuzt. Über die Schwierigkeit, aus einem Lift auszusteigen. Und darüber, überhaupt wieder aufstehen zu können, ohne heimlich einen Ski, am besten den Bergski, abzuschnallen. Aber natürlich auch über die Riesenerleichterung an einem schlechten Tag, wenn es endlich kurz vor 16 Uhr ist, die Lifte schließen und der Jagertee serviert wird.

Oder, an einem guten Tag, über das Hochgefühl, den sonnenbeschienenen Babyhang hinabzugleiten. Ins Detail muss man dabei ja nicht gehen, wenn man beim nächsten Mal gefragt wird: "Fährst du Ski?" Ein simples Ja genügt doch wohl!

Informationen über die Kampagne "Neuer Schwung im Leben" sowie das aktuelle Angebot aller angeschlossenen Skischulen gibt es unter www.skilehrerverband.de. Termine für die "Ski in two days"-Kurse von Ski&Board Giesing (210 Euro, Anfahrt von München inbegriffen) unter www.skigiesing.de.

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