Badeunfall:"Im schlimmsten Fall klammern sie sich fest"

Drowning Ertrinken DLRG Strand Pool Fluss See Baden Badeunfall retten Rettung

Ertrinken ist leiser als viele denken.

(Foto: Jean Sabeth/Unsplash)

Wie man andere und sich selbst vor dem Ertrinken rettet, erklärt DLRG-Experte Carsten Rosenberg. Und warum Kinder noch in Lebensgefahr sein können, wenn sie längst aus dem Wasser sind.

Interview von Katja Schnitzler

Als er sechs Jahre alt war, meldeten die Eltern Carsten Rosenberg bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft an, dort lernte er schwimmen - das war 1992. Heute leitet er unter anderem ehrenamtlich eine Wasserrettungsstation auf dem Darß an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns und bringt deutschlandweit anderen Ausbildern bei, wie sie am besten Rettungsschwimmer unterrichten. Mehr als 500 Menschen ertranken im vergangenen Jahr allein in Deutschland, die meisten von ihnen in Flüssen und Seen. Rosenberg weiß, weshalb Badende manchmal gar nicht mitbekommen, wenn jemand ganz in ihrer Nähe untergeht. Ein Gespräch über retten und gerettet werden.

In Filmen schreit und winkt ein Ertrinkender dramatisch, bis der Baywatch-Retter zu ihm gejoggt und geschwommen ist. Wie sieht es denn in Wirklichkeit aus, wenn jemand in Not ist?

Wer sich mit letzter Kraft über Wasser hält, kann gar nicht mehr winken oder um Hilfe schreien, sondern kämpft ums Überleben. Das bekommen selbst Leute direkt daneben nicht unbedingt mit, weil sie die Anzeichen nicht kennen: Zum Beispiel wenn jemand schnelle, hektische Schwimmbewegungen macht, aber gar nicht von der Stelle kommt. Oder den Kopf im Nacken und den Mund auf Höhe der Wasseroberfläche hat, wenn die Augen panisch aufgerissen sind und Haare vor dem Gesicht hängen.

Nun ertrinken ja nicht nur kleine Kinder, sondern auch Jugendliche und Erwachsene - also kräftige Menschen, die panisch um ihr Leben kämpfen. Wie kann ich sie retten, ohne selbst in die Tiefe gezogen zu werden?

Ganz, ganz wichtig ist: Der Eigenschutz geht immer vor, egal ob ich ausgebildeter Rettungsschwimmer bin oder Laienhelfer. Ertrinkende handeln nicht rational und versuchen voller Angst, sich an allem festzuhalten, was sie zu greifen kriegen. Wenn ich dorthin schwimme und nichts als Rettungsmittel dabei habe, klammern sie sich im schlimmsten Fall an mir fest, und dann wird es für beide sehr, sehr gefährlich. Deswegen erst den 112-Notruf absetzen und sich dann möglichst etwas suchen, das Auftrieb hat. Das muss nicht die Baywatch-Boje sein, die hat ja nicht jeder. Aber man kann eine Luftmatratze von jemandem mitnehmen, ein Schwimmbrett oder einen Beachvolleyball. Mit den Sachen schwimmt man zwar nicht ganz so schnell hin, aber ich kann sie zuwerfen, so dass sich der Ertrinkende daran festklammern kann. Man selbst hält auf jeden Fall erst mal Abstand und spricht ihn an. Sollte er dann auf einen zuschwimmen, ist das eigentlich ein ganz guter Moment: Dann schwimme ich langsam Richtung Ufer, so dass mich die Person nicht zu fassen bekommt, wir aber näher ans flache Wasser kommen.

Bei Bewusstlosen darf ich aber gleich zu Hilfe eilen?

Da muss ich erst einschätzen, ob vom Gewässer eine Gefahr für mich ausgeht - zum Beispiel im Rhein würde niemals jemand hinterherschwimmen, sondern Profis alarmieren. Treibt aber eine Person in einem Becken oder See nur wenige Meter entfernt, muss sie schnellstmöglich raus: Ich drehe den Bewusstlosen auf den Rücken und überstrecke im besten Fall beim Schleppen den Kopf. Man muss nur darauf achten, dass der dann nicht unter Wasser gerät, weil sonst Wasser in die Lunge laufen würde. Aber das Überstrecken hilft, dass vielleicht sogar wieder eine Spontanatmung einsetzt oder der Bewusstlose gar nicht erst aufhört, zu atmen.

Wie bekommt man den Bewusstlosen dann am besten nach draußen?

Da gibt es den Kopf- oder den Achselschleppgriff: Die Person liegt auf dem Rücken, ich schwimme auch auf dem Rücken und schleppe sie hinter mir her. Wenn derjenige aber bei Bewusstsein ist und sich an dem Auftriebsmittel festhält, muss er sich erst so weit beruhigen, dass ich klar mit ihm kommunizieren kann - nur dann ist an das Transportschwimmen zu denken: Das Opfer hält sich an meinen Schultern fest und ich schwimme mit ihr Richtung Ufer. Wenn die Person aber weiter panisch ist, bleibe ich da weg und warte auf Hilfe. Oder nehme etwa die Luftmatratze und schleppe sie mitsamt dem Verunglückten ab. Es bringt niemanden etwas, wenn die Retter auch in Gefahr kommen.

Und wenn ich selbst am Untergehen bin, wie kann ich mich retten?

Kräfte sparen! Im Sommer ist das Wasser verhältnismäßig warm, da kommt es nicht darauf an, möglichst schnell rauszukommen. Wenn ich also merke, dass meine Kräfte nachlassen, sollte ich mich auf den Rücken legen und mit Armen und Beine leicht den Auftrieb unterstützen. So kann ich durchatmen, mich dann wieder umdrehen, ein Stückchen schwimmen und das Ganze wiederholen. Wichtig ist auch hier: Nicht in Panik geraten. Und in Ruhe schauen, wo der beste Weg zum Ufer oder an den Beckenrand ist. Wenn jemand in der Nähe ist, versuche ich natürlich, auf mich aufmerksam zu machen.

"Ein Baggersee ist nicht sicherer"

Wie komme ich im Meer schnellstmöglich an Land?

Im Meer gilt wie in allen Gewässern: Immer mit den Strömungen schwimmen, niemals dagegen. Die Wellen drücken mich immer wieder zum Land hin, so kann ich Kräfte sparen. Jeder hat das schon mal erlebt, wenn er sich in einer hohen Welle brettsteif gemacht hat und wie ein Surfer Richtung Strand geglitten ist. Selbst wenn das Schwimmen mit der Strömung nicht der direkte Weg ans Ufer ist, kommt man eher und sicherer an, weil man nicht gegen die Wasserkraft kämpft. Genauso bei den sogenannten Rip-Strömungen, den gefährlichsten weltweit, wenn das Wasser wie in einem unsichtbaren Kanal vom Strand zurück ins Meer fließt. Sie ziehen einen durch die Brandungszone raus, aber hören dahinter wieder auf. Dort kann ich seitlich aus der Strömung rausschwimmen und dann wieder mit den Wellen zurück an den Strand, natürlich mit Abstand zur Rip-Strömung.

Riptide Rip Tide Brandungsrückströmung San Diego Warnschild retten

Anleitung in San Diego: So entkommt man aus einer Riptide.

(Foto: Von Invertzoo - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link)

Und wie schaffe ich es heil aus einem Fluss?

Erst einmal mit passivem Schwimmen: Ich bin in Rückenlage und treibe mit den Füßen voran. So sehe ich, ob Hindernisse kommen, zum Beispiel Steine, an denen ich mich abstoßen kann. Dann versuche ich gezielt, in Zonen zu schwimmen, in denen das Wasser ruhig wird. Ich wechsle also in die Bauchlage und mache mir die Strömung zunutze: Wer im 45-Grad-Winkel zur Strömung schwimmt, den drückt sie in Richtung Ufer. Dort sind aber nicht nur Strudel bei Ästen gefährlich, die ins Wasser hängen oder unter der Oberfläche sind - bei Hochwasser werden zum Beispiel auch überspülte Zäune zur Falle: Wenn man da hängenbleibt, drückt einen die Strömung nach unten weg.

Also sind wir im ruhigen Baggersee sicher?

Nein. Die meisten ertrinken zwar in Fließgewässern, aber auch Badeseen haben ihre Tücken. Gerade bei klassischen Baggerseen gibt es Abbruchkanten, da geht es plötzlich von 1,30 Meter runter auf sechs Meter. Für Ungeübte oder Nichtschwimmer ist das extrem gefährlich, weil plötzlich der Boden unter ihren Füßen weg ist. Und bei allen Seen sind im Sommer sogenannte Sprungschichten eine große Gefahr. An der Oberfläche sind schöne 22 Grad, aber in 1,50 Meter Tiefe nur noch 17 Grad. Alle kennen das beim Schwimmen, wenn es plötzlich an den Beinen kalt wird.

Was ja durchaus angenehm sein kann.

Schon, aber wer direkt nach dem Sonnenbad oder Beachvolleyballspiel erhitzt in den See springt, vielleicht von einer Badeplattform oder einem Steg aus, kommt leicht tiefer als 1,50 Meter. Der Körper wird plötzlich aus 30 Grad Umgebungsluft in 17 Grad kaltes Wasser gestoßen, das ist eine extreme Herz-Kreislauf-Belastung - für jeden. Wenn noch jemand gesundheitlich vorbelastet ist oder Alkohol getrunken hat, ist das der Klassiker für die Meldung: Die Person sprang ins Wasser und tauchte nicht wieder auf. Das kann aber auch top austrainierten Sportlern passieren. Deswegen sind die Baderegeln so wichtig: Erst abkühlen, Gliedmaßen, Bauch, Kopf. Wenn ich einmal nass bin und dann springe, ist das in Ordnung, weil sich der Körper zumindest schon an das 22 Grad kalte Wasser gewöhnen konnte.

Lebensgefahr für Kinder - auch nach der Rettung

Dann gibt es noch die andere Horror-Meldung: Kind von Ansaugöffnung im Pool unter Wasser festgehalten. Wie können Eltern da zur Sicherheit die Stärke testen?

Ein Laie sieht von oben nicht, welche Saugleistung da wirkt. Was man machen kann: Morgens prüfen, ob noch alle Gitter vor den Ansaugöffnungen fest sitzen. Das probiert man am besten vorsichtig von der Seite, nicht nur Kinder können in Not geraten. Dann wissen Eltern auch, wo das Wasser abgesaugt wird, und können dafür sorgen, dass die Kinder dort nicht spielen. Ich weiß, das im Urlaub durchzuhalten ist schwer, aber die einzige Möglichkeit, sich zu schützen.

Fotos für das Handbuch IRB, 17.07.2013; Carsten Rosenberg Ausbilder DLRG

DLRG-Ausbilder Carsten Rosenberg

(Foto: DLRG)

Wie bekommt man ein Kind frei, das doch unter Wasser festgesaugt wird?

Wenn es mit einem Arm oder Bein drinsteckt und die Pumpenleistung ist so stark, dass man es nicht rausziehen kann, ist die einzige Möglichkeit, die Pumpe abzustellen. Ich bezweifle nur, dass das schnell genug passiert.

In einem alltäglicheren Fall geht ein kleines Kind nur kurz unter, wird gerettet, alles scheint glimpflich abgelaufen zu sein. Weshalb schwebt es trotzdem noch in Lebensgefahr?

Wenn jemand, auch ein Erwachsener, vielleicht Wasser eingeatmet hat, ist das ein klassischer Ertrinkungsunfall - da muss der Arzt oder Rettungsdienst untersuchen. Oft ist Wasser in die Lunge gekommen. Im ersten Moment ist alles wieder gut, aber in den 24 Stunden danach kann es noch zu Atemproblemen kommen. Deshalb sind Ertrinkungsunfälle überwachungspflichtig und Rettungsdienste bringen die Leute ins Krankenhaus. Wenn Wasser in der Lunge steht, ist der Gasaustausch nur noch eingeschränkt möglich. Die Sauerstoffsättigung sinkt, es kann durch Lungenödeme zu Schäden kommen und Menschen könnten noch am Tag nach dem Unfall sterben. Nur wenn der Arzt sein Okay gibt, darf man davon ausgehen, dass wirklich nichts passiert ist.

Wenn also die Eltern ihr Kind selbst herausgezogen haben und es nur ein wenig Wasser spuckt: Auf welche Symptome müssen sie - und auch Erwachsene nach einem Badeunfall - achten?

Anzeichen für Sauerstoffmangel sind blaue Lippen, blaue Hautverfärbungen oder weiße Fingerspitzen, das ist schon ein Fall für den Rettungsdienst. Ansonsten muss ich meine Kinder engmaschig überwachen. Bei den leisesten Anzeichen von Sauerstoffmangel - wie auch erhöhte Atmung, häufiges Husten oder langsame Reaktionen, die auf ein beeinträchtigtes Bewusstsein hindeuten - ist es Zeit für den 112-Notruf. Da sollte man auch nicht erst selbst mit dem Auto in die Klinik fahren.

Sie sind auch Experte für die Risikoeinschätzung bei Badegewässern. Wo würden Sie selbst niemals schwimmen?

An unbewachten Badestellen! Ich will die Sicherheit haben, dass jemand Hilfe leisten kann. Das ist auch unser Tipp an Urlauber. Sie sollten zudem auf die Flaggen an den Rettungsstationen achten, die anzeigen, ob Baden gerade gefahrlos möglich ist.

Das heißt, Sie sind einer der wenigen Menschen, die nicht von einsamen Buchten träumen?

Da würde ich schon auch sehr, sehr gerne baden und mich abkühlen. Aber wenn es ums klassische Schwimmen geht - also im tieferen Wasser, wo ich nicht mehr stehen kann -, wüsste ich gerne, dass jemand da ist, der mich notfalls rettet. Meine Fünf-Kilometer-Trainingsstrecke am Morgen würde ich dort auch nicht abschwimmen. Dann habe ich übrigens meine aufblasbare Schwimmboje am Gürtel mit dabei, in die kann man auch Klamotten und Wertsachen packen: Mit der Boje bin ich gut sichtbar und könnte mich daran festhalten, wenn ich erschöpft bin. Generell würde ich mich immer über ein fremdes Gewässer informieren. Wenn die Ortskundigen vom Baden abraten, hat das Gründe.

Zur SZ-Startseite
Costa Concordia

Kreuzfahrtschiff in Seenot
:So verhalten Sie sich bei einer Havarie

Wie handeln Passagiere im Notfall am sinnvollsten? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Havarien.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: