Erste Erlebnisse auf Reisen:"Ein Eis Erdbeer, bitte!"

Das Kind am Strand, das nicht mal auf Deutsch das Eis richtig bestellen konnte. Das Kanu, das weiter aufs Meer hinaustrug als gedacht. Und die letzte Italien-Reise der Eltern.

an besondere Ferien

Gruß vom Esel

In den siebziger Jahren, als Eltern noch nicht täglich Erziehungsratgeber lasen und manchmal auch an ihr eigenes Glück dachten, taten meine Eltern genau das: Sie dachten, dass es todschick wäre, drei Wochen lang durch Marokko zu reisen, und zwar ohne mich. Mich gaben sie bei meiner Saarbrücker Omi ab. Ich war fünf. Meine Omi stellte mich zur Begrüßung auf die Waage und verkündete, dass ich nun jede Woche ein Kilo schwerer werden würde, ein Ziel, das sie nur knapp verfehlte. Es war ein tadelloser Urlaub. Ich ging in den Saarbrücker Zoo, spielte mit meinen Saarbrücker Freunden und aß alle meine Lieblingsgerichte. Aber in der dritten Woche fing ich an, meine Eltern, die ein einziges Mal angerufen hatten, schrecklich zu vermissen.

Am 18. Tag kam eine Postkarte. Aus Marokko! Absender waren leider nicht meine Eltern, sondern es schrieb mir: ein Esel. Er hause am Fuß einer marokkanischen Düne und müsse manchmal Touristen durch die Wüste schleppen, dabei habe er auch die Eltern der kleinen Tanja getroffen, es gehe ihnen bestens, Gruß, Esel. Ich heulte Rotz und Wasser. Drei Tage später standen meine braungebrannten Eltern vor der Tür, mit Geschenken bepackt, und alles war gut. Das Verhältnis zwischen meiner Saarbrücker Omi und ihrem Schwiegersohn, dem alten Esel, ist danach allerdings nicht mehr dasselbe gewesen.

Tanja Rest

Heimweh auf der Alm

Ob ich zum Hüterbub taugte? Eher nicht. Die Eltern fanden aber, der Bub sollte mal auf die Alm. Da traf es sich gut, dass mein bester Freund, der Gustl, mit seinem Vater den ganzen Sommer auf der Seiser Alm verbrachte - in einer Hütte ohne Strom. Gut, dachte ich, der Gustl, die Kühe, da werd' ich schon kein Heimweh kriegen wie sonst immer. Als Gastgeschenk hatte ich eine große Wassermelone dabei. Auf dem steilen Weg zur Almhütte kam uns die Melone aus und explodierte an einem spitzen Stein.

Die Hütte war gemütlich, roch nach Milchfett und Mist. Abends hatte ich, klar, Heimweh, wofür ich mich schämte. Untertags aber liefen wir den Kälbern hinterher, drehten deutschen Touristen selbst gemachtes Arnikaöl an, übten uns im Messerwerfen an der Stadeltür. Vor allem aber gingen wir sehr oft runter in den Ort, um beim Sohn des Almbauern unter anderem die Fernsehserie "Bezaubernde Jeannie" zu schauen. Abends in der Kammer hätte ich mich gern, wie Jeannie, mit einem Augenzwinkern nach Hause gebeamt.

Hans Gasser

Der große Fang

Bis dato waren es Buntbarsche, ostafrikanische, die mein Aquarium bevölkerten. Oder entvölkerten, wie man es nimmt. Bist du schwach, bist du tot - so ist das im Malawisee. Wie anders waren da diese zierlichen, weißgepunkteten Garnelen, die zwischen den Wellenbrechern vor Cattolica durch das Wasser glitten. Auf den scharfkantigen Steinen verbrachte ich Stunden, Rücken zur Sonne, Kescher im Wasser. Schließlich lenkten die Eltern ein, wenngleich mit Bedenken. "Meinst du wirklich, dass du die Tiere heil nach Hause bekommst?"

Alles eine Frage der Organisation! Eimer, Plastiktüten, Kühlbox, Sauerstofftabletten - im nächsten Urlaub hatten wir dabei, was man so braucht für eine achtstündige Autofahrt mit Garnelen, Anemonen und Fischen im Gepäck. Ein Jahr lang haben die Garnelen überlebt, dann hat der Heizstab versagt. Ausgerechnet im Pfingsturlaub. Heute, am Strand von Ravenna, gibt es keine Wellenbrecher, nur Krebse, die in die Zehen zwicken. Garnelen lassen sich trotzdem finden, am Hafen, gegrillt oder frittiert.

Monika Maier-Albang

Besser als China

Bei uns im Dorf galt es als Lebensweisheit, dass man, wenn weder Vater noch Großvater noch sonst wer je in China gewesen war, selbst ebenfalls nicht unbedingt dorthin müsse. In der Umkehrung hieß das natürlich, dass man Orte, die schon die Ahnen besucht hatten, durchaus auch selbst aufsuchen könne, der Tradition halber vielleicht sogar müsse. Raitenhaslach war so ein Ort. Die ehemalige Zisterzienserabtei liegt bei Burghausen, in einem lieblichen, zur Salzach abfallenden Tal. 1803 wurde das einst mächtige Kloster ein Opfer der Säkularisation, die überwältigend barockisierte Kirche ist jedoch heute noch jede Reise wert.

Von unserem Dorf Kirchweidach aus sind es nach Raitenhaslach beiläufig 15 Kilometer - meine erste Fernreise. Ich jedenfalls empfand es so, erstens weil 15 Kilometer für einen Achtjährigen eine unabsehbare Strecke darstellen, zweitens weil ich noch zu klein war, um mit meinem Hintern den Sattel des für eine erwachsene Frau hergerichteten Rads zu erreichen. Also fuhr ich die zweimal 15 Kilometer im Stehen. Danach war ich zwar fix und fertig, aber auch, für kurze Zeit wenigstens, der Stolz der Familie.

In Raitenhaslach bin ich oft, nach China habe ich's bis heute nicht geschafft.

Hermann Unterstöger

Sommerhaus, früher

Was soll schon schiefgehen, wenn man neun Jahre alt ist und Ferien in einem Land macht, in dem Kinder Lapsi heißen und in das einen eine Lossi, eine Fähre, bringt? Gut, unser finnisches Sommerhaus hatte nur ein Plumpsklo, und wir mussten es mit einer Mäusefamilie teilen, dafür war es bullerbürot und lag direkt am See. Wir waren vier kleine, mückenzerfressene Mädchen und beschlossen, dass dieser See einen Sommer lang uns gehören sollte. Also bastelten wir uns Kronen aus Schachtelhalmen, gaben den Enten Namen und enterten das Ruderboot, denn Jettchen, unsere älteste Schwester, war schon zehn und wusste, wie man es steuert; im Zickzack kreiselten wir über das Wasser und in die Seerosen, aus denen unser Vater uns befreien musste. Es war ja eh schon mittags, und zum Nachtisch rannten wir nackt bis auf die Gummistiefel in den Wald und schlugen uns die Bäuche voll mit Blaubeeren. Unsere Zungen wurden lila und die Finger auch, aber was macht das, wenn es Juni ist in Finnland, Saarijärvi, und abends ein Lagerfeuer brennt? Wir durften aufbleiben und sehen, wie es Nacht wurde, immer später, und die Sonne trotzdem nicht unterging.

Charlotte Frank

Freiheit für die Füße

Wenn man fünf Jahre alt ist und schon die Welt innerhalb des Gartenzauns genügend Abenteuer bereit hält, hat man von Freiheit keine Ahnung. Selbst dann nicht, wenn man in West-Berlin aufwächst, wo dieser Begriff Anfang der siebziger Jahre ähnlich strapaziert wurde wie heute von FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Und dann dieser Moment: 800 Kilometer hat sich Opas Kadett nach Süden gequält, Vopos und Franken hinter sich gelassen, Österreichs Grenze passiert. Auf einer Kiesauffahrt hält er an, die Enkelin darf von der Rückbank krabbeln. Und sieht fünf Kinder vor einer Pension stehen, alle barfuß. "Oma, ich muss die Sandalen ausziehen!", ruft die Enkelin und tut's.

Die ersten zwei, drei Schritte pieksen noch, danach ist es der Himmel. So fühlt sich Freiheit an! Nur die Haare dürfen nicht in Freiheit bleiben, sie müssen in Zöpfe, wie bei Lisbeth, der Tochter der Wirtsleute, mit der barfuß Wiesen und Kuhställe erobert werden.

Erst Jahre später dämmert es dem Mädchen, dass für Lisbeth und ihre Brüder Freiheit etwas anderes gewesen sein muss: das Gefühl, wenn alle Sommergäste abgereist waren, und sie aus dem Keller in ihre Zimmer zurückziehen durften.

Alexandra Borchardt

Volltreffer

Einmal in meinem Kinderleben sind wir in den Süden gereist. An die Adria, wo die Nächte so warm sind wie das Meer und wo elektrische Mückenvernichter knistern, wenn es dunkel wird. Wir waren zu sechst, Vater, Mutter, vier Kinder. Papa hatte den alten Ford Transit umgebaut, statt der letzten Sitzbank gab es eine Liegefläche für die Jüngsten, und darunter Platz für den zu schmuggelnden Wein. Alles war vorbereitet. Bis München ging es gut, dann war er da, der Stau. Es war heiß. Die Kinder kriegten sich in die Haare. Bis der Vater tat, was Männer in großer Verzweiflung tun: Er trat das Gaspedal durch. Der Seitenstreifen, das Kornfeld, Staub, hart schlug der Stoßdämpfer an seine Grenze, Jahre später noch fanden wir Ähren im Kühler.

Neben der Landstraße war ein Teich, 30 Meter vom einen Ufer bis zur Halbinsel. "Da kann ich rüberwerfen", sagte ich zu meinem Bruder. Schaffst du nicht, sagte der. Ein Stein, gut in der Hand gewogen, Anlauf, Wurf. In diesem Moment tauchte Martin auf, der Kleine. Ich war 13, er sechs Jahre alt. Nie in meinem Leben habe ich noch einmal so genau getroffen. Blut spritzte, wir mussten schnell zum Notarzt. Nicht so schlimm, sagte der, drei Stiche, das genügt.

Um zehn wurde es dunkel, wir hielten in Bozen. Helfen Sie uns, sagten zwei sehr müde Eltern. Und fanden Betten. Für Martin war es der beste aller Urlaube: Blond war er, mit großen, blaugrünen Augen und einem großen Pflaster auf dem Kopf. Die Italiener liebten ihn. Das half auch dem Ältesten, nach einer Woche Höllengedanken schöne Ferien zu haben, mit Meer und weichen Abenden mit verglühenden Mücken. Schade eigentlich, dass die Eltern nie mehr nach Italien wollten.

Matthias Drobinski

Kurs auf Afrika

Die Mahnung der Eltern, "Fahr nicht so weit hinaus!", bekommt einen völlig unverbindlichen Klang, wenn man als Zehnjähriger in einem Gummi-Kanu sitzt. Es war knallrot mit grünem Boden, windschnittig schmal und wellengängig, und an seinem Rumpf stand in großen Buchstaben "Missouri". Das Wort konnte ich nicht deuten, und doch ließ es mich ahnen, dass es geheimnisvolle Orte auf dieser Welt geben musste, die der Entdeckung harrten. Hier war der Strand von Bibione, irgendwo hinterm Horizont lag Afrika (meine Geographie-Kenntnisse reichten nicht viel weiter als mein Englisch), und davon trennte mich nur noch die Adria. Also los!

Nach fünf Minuten hörte ich die Rufe der Eltern nicht mehr. Nach 20 Minuten verließen mich die Kräfte. Und schon war ich so weit abgetrieben, dass ich nicht mehr erkennen konnte, wo genau ich eigentlich in See gestochen war. Das war wohl genau jener Moment, den man als Erwachsener auf Reisen heute noch spürt: Das Fremde und das Vertraute ziehen gleich stark an einem, man bleibt kurz in der Schwebe, und dann entscheidet man sich für eine Seite.

In diesem Fall nahm mir die Strömung die Sache ab. Die Eroberung Afrikas endete an einer Mole, an der mich mein Vater schimpfend herauszog. Aber die Neugier blieb.

Jochen Temsch

Haltlos in Frankreich

Im Jahr 1978 fuhr ich mit meinen Eltern nach Südfrankreich. Es war das Jahr, in dem Prinzessin Caroline von Monaco den Makler Philippe Junot geheiratet hatte, und irgendwie wussten damals alle schon, dass das nichts werden würde mit den beiden. Ich kümmerte mich nicht so sehr um diese perspektivarme Verbindung, sondern lernte am Strand einen dicken Jungen aus Baden-Württemberg kennen, der zu doof war, bei den Franzosen am Strand ein Eis zu bestellen. Er sagte immer "Ein Eis Erdbeer", wobei er das Erdbeer wie "Attbeer" aussprach. Die Eisverkäuferin, eine Sadistin, wollte ihm beibringen, "Glace à la fraise" zu sagen, aber mein Freund konnte nur "Attbeer".

Ich tauschte ihn bald gegen einen anderen aus, der nicht so bräsig war, mit dem ich aber sehr bald das Gefühl bekam, auf Abwege zu geraten. Wir zerrten Seeigel von den Steinen, killten sie und sprühten sie mit Haarspray ein, damit sie Halt bekamen, wie es auf der Flasche versprochen wurde. Ein paar ältere Leute nannten uns "Boches", ein Wort, dessen deutsche Bedeutung ich bei meiner Mutter erfragte, die empört war, dass die Franzosen die Deutschen immer noch so nannten. Allerdings war der Krieg auch erst 33 Jahre vorbei, da konnte man noch nicht so viel verlangen.

Den Attbeer-Schwaben habe ich nicht mehr wiedergesehen. Philippe Junot und Caroline ließen sich bald scheiden, meine Eltern auch, und die Seeigel begannen zu stinken. Sie verloren übrigens auch an Halt.

Hilmar Klute

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