Süddeutsche Zeitung

Erlebnisse in Bahn, Fernbus und Flugzeug:Reisen trotz Streik

Familienfeier, Fernbeziehung, Freunde besuchen: Viele Reisende wollen sich von der GDL nicht von ihrem Wochenendtrip abhalten lassen, auch mehrere "SZ.de"-Mitarbeiter nicht. Von München nach Hamburg, von Berlin nach Münster, mit dem Flugzeug, mit dem Fernbus, mit der Bahn - Berichte von unterwegs.

SZ.de-Redakteur Tobias Dorfer will auf eine Geburtstagsparty in Köln. Die Bahntickets sind gebucht - er will sein Glück versuchen.

Sarah Schmidt, Mitarbeiterin am SZ.de-Newsdesk und im Reiseressort, will in die Heimat, nach Hamburg. Das ist schon ohne Streik eine lange Fahrt.

Ulrich Schäfer, Ressortleiter Wirtschaft, ist noch nie mit einem deutschen Fernbus gefahren. Angesichts des Bahnstreiks versucht er es zum ersten Mal. Er will am Freitagabend von Berlin nach Münster.

Gökalp Babayigit, geschäftsführender Redakteur bei SZ.de, fliegt am Freitag am sehr frühen Morgen nach Köln. Und muss dafür erst mal an den Münchner Flughafen kommen.

Sarah Kanning, Mitarbeiterin in der München/Region/Bayern-Redaktion, muss am Samstag in Frankfurt sein. Die Karten für das Konzert ihres Lieblingssängers haben sie und ihr Mann schon vor einem Jahr geschenkt bekommen.

Alle fünf schildern den Verlauf ihrer Streikwoche. Vorplanungen, das Warten am Reisetag und die Erlebnisse auf Straße, Schiene oder auf dem Weg zum Flughafen.

Sarah Schmidt, Montag, 21:00 Uhr, Couch

Vorfreude! Am Wochenende geht es hoch in die Heimat - nach Hamburg. Feiern mit insgesamt 150 runden Geburtstagsjahren stehen an. Als routinierte Bahnfahrerin mit Blick für Schnäppchen habe ich die Bahntickets schon Anfang Oktober gebucht. 36,75 Euro für die Hin- und 33,75 Euro für die Rückfahrt.

Tobias Dorfer, Montag, 22:01 Uhr, zuhause

Geburtstage haben eine schlechte Angewohnheit: Es ist ihnen egal, ob Lokführer streiken oder nicht. Sie finden einfach statt. Ein Freund feiert am Wochenende und das dummerweise in Köln. Das Ticket habe ich schon lange gebucht - zu einem Zeitpunkt, als ich noch dachte, Bahn und GDL würden sich in jedem Fall einigen. Jetzt sitze ich vor dem Fernsehr. Im Heute-Journal des ZDF versucht Moderatorin Marietta Slomka aus GDL-Chef Weselsky herauszukitzeln, wann denn nun gestreikt wird. Zum ersten Mal denke ich darüber nach, dass ich für Freitag eine Alternative brauchen könnte.

Sarah Schmidt, Dienstag, 15:04 Uhr, SZ-Redaktion

"(Eil) Lokführer kündigen viertägigen Streik an", meldet die Nachrichtenagentur dpa im Newsticker. Ich bin heute für das Süddeutsche.de-Reiseressort verantwortlich und denke: "Super!" Schließlich habe ich schon beim letzten GDL-Streik die Infos für Reisende zusammengestellt und kenne mich bestens im Thema aus. Dann lese ich weiter. Von Donnerstagfrüh bis Montagmorgen soll der Personenverkehr bestreikt werden. Das finde ich nicht mehr so super.

Tobias Dorfer, Dienstag, 15:05 Uhr, Newsdesk von SZ.de

Ich denke an den Geburtstag in Köln und frage mich: Muss ich jetzt überhaupt noch ein Geschenk besorgen?

Sarah Schmidt, Dienstag, 19:30 Uhr, Couch

"Weichen Sie auf alternative Verkehrsmittel aus", "hier finden Sie Informationen, ob Ihr Zug betroffen ist", "so bekommen Sie Ihr Ticket erstattet" - den ganzen Nachmittag habe ich mich mit dem Streik und den Auswirkungen für die Reisenden beschäftigt. Jetzt sitze ich trotzdem ratlos vor dem Computer. Für den Freitag gibt es noch keine Infos über den Ersatzfahrplan, ich rufe busliniensuche.de auf. Ich könnte über Nacht fahren oder knapp 13 Stunden am Samstag - beides habe ich schon mal gemacht. So verzweifelt bin ich noch nicht. Erst mal abwarten.

Tobias Dorfer, Dienstag, 22:36 Uhr, zuhause

Mein Freund und ich schauen auf das Geschenk, das wir vor ein paar Stunden gekauft haben. Wir versuchen es mit Köln und dem Geburtstag. Aber wie? Der Fernbus fährt so spät nicht mehr und die Lufthansa verlangt für den Abendflug München-Köln 244,09 Euro. Für eine Strecke. Wir beschließen, es mit der Bahn zu versuchen.

Tobias Dorfer, Mittwoch, 6:23 Uhr, Newsdesk von SZ.de:

Steht der Notfahrplan eigentlich schon fest? Ein Blick auf die Website der Deutschen Bahn ergibt: Für den Freitag muss ich mich noch bis 18 Uhr gedulden.

Sarah Kanning, Mittwoch, 19 Uhr, zuhause

Zwei Tage noch bis zum Wochenende und meiner Fahrt nach Frankfurt. Keine Panik. Es hatte ja immer geheißen, dass ein Drittel der Fernzüge auch im Streikfall fahre. Bei normalerweise einem Zug pro Stunde würde das höchstens drei Stunden Wartezeit bedeuten, errechne ich mir. Leider gilt dieser Richtwert nicht für Züge zwischen München und Frankfurt. Auf der Website der Bahn steht hinter jeder Verbindung ein kleines rotes Dreieck: Dieser Zug fällt aus. Also Fernbus - nur unfair, dass die Tickets jetzt das Doppelte kosten, bei ADAC sogar mehr als 70 Euro. Ich knirsche mit den Zähnen - und zücke die Kreditkarte.

Ulrich Schäfer, Donnerstag, 15 Uhr, Berlin

Du fährst mit dem Fernbus? Freunde und Kollegen fragen ungläubig. Haben sie noch nie gemacht. Ich auch nicht. Oder genauer: Ich habe es das letzte Mal vor 14 Jahren gemacht. Da bin ich mit dem Überland-Bus durch Neuseeland gereist, den Rucksack dabei, viele Träume im Kopf. Und nun: die erste Fahrt in Deutschland. Am morgigen Freitag mit Flixbus von Berlin nach Münster. Für schlappe 16 Euro.

Sarah Schmidt, Donnerstag, 16:30 Uhr, SZ-Redaktion

Es ist Zeit für eine Entscheidung. Zur Wahl stehen der ICE um 14.16 Uhr am Freitag oder ein ICE, der Samstag um 8:16 Uhr fährt. Korrigiere: fahren soll. Ich wähle die Servicenummer der Deutschen Bahn und schildere einer Kundenberaterin meinen Fall. "Das sollte kein Problem sein", sagt sie gutgelaunt und mit sächsischem Dialekt. Also gut, ich reserviere einen Platz für Freitag.

Gökalp Babayigit, Donnerstag, 19:30 Uhr, zuhause

Früh wird es werden, so früh, dass selbst ein frühdiensterprobter Mensch wie ich Probleme damit haben wird, pünktlich am Flughafen zu sein. Um 6:20 Uhr geht der Flug vom Franz Josef Strauß, und weil es nichts geworden ist mit den Stoiber'schen "zehn Minuten" aus der Innenstadt, bedeutet das: ab in die S-Bahn um halb fünf. S-Bahn? War da nicht was? Doch, da war was. Auch die Münchner S-Bahn fährt natürlich eingeschränkt während dieses Streiks. Andererseits: Eingeschränkt fahren, das macht die Münchner S-Bahn in schöner Regelmäßigkeit.

Ulrich Schäfer, Donnerstag, 20:30 Uhr, ARD-Hauptstadtstudio Berlin

Alle sind da beim ARD-Hauptstadttreff: Kanzlerin, Minister, Staatssekretäre. Alle reden über den Streik. In einer Runde mit mehreren Unionspolitikern wird über die GDL geschimpft. Und über Andrea Nahles gespottet. Leider, sagt ein ranghoher Regierungsmann, bringe deren Gesetz zur Tarifeinheit überhaupt nichts, um solche Streiks zu verhindern. Schließlich habe die Bahn etwa 1500 Tochterfirmen, auch solche, in denen die GDL die Mehrheit habe. "Dann legen die eben auf andere Weise die Republik lahm", sagt der Regierungsmann. Er will morgen früh aus Berlin flüchten, um den absehbaren Stau auf der Autobahn zu vermeiden.

Gökalp Babayigit, Freitag, 4:25 Uhr

Zugegeben, der Notbetrieb kann sich sehen lassen. Die S8 zum Flughafen fährt laut App alle 20 Minuten, die um 4:32 will ich nehmen. Ich und die drei Menschenseelen, die mit mir am Bahnsteig warten. Unsere ohnehin nicht überragende Laune - und ich glaube, ich kann dabei für uns vier sprechen - wird nicht besser, als die Durchsage kommt: "S8 zum Flughafen Abfahrt 4:32 wird voraussichtlich 10 Minuten später eintreffen."

Gökalp Babayigit, Freitag, 4:37 Uhr

Am Ende sind es nur fünf Minuten S-Bahn-Verspätung. Immerhin.

Gökalp Babayigit, Freitag, 5:45 Uhr

Einmal am Flughafen angekommen, ist das alles Business as usual. Wird wohl ein halbleerer Flieger - der Menge der wartenden Menschen nach zu urteilen. Wie immer morgens viele schweigsame Geschäftsleute - und wie immer bestellen sich am Gate vier Schweizer Touristen noch ein letztes bayerisches Bier, bevor es "Auf Wiedersehen München" heißt.

Ulrich Schäfer, Freitag, 8:15 Uhr, Checkpoint Charlie Berlin

Berlin feiert am Sonntag den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Am Checkpoint Charlie stehen bereits riesige blaue Holzkisten, die die Mauer symbolisieren sollen, und im Hotel ums Eck steht ein Amerikaner, der fragt, wie er am besten zum Zentralen Omnibus-Bahnhof unweit des Messegeländes kommt: "By metro or taxi? The strike, you know." Der Mann an der Rezeption ist überfordert. Er rät schließlich zur U-Bahn, denn mit dem Taxi stünde man ja vermutlich nur im Stau.

Sarah Schmidt, Freitag, 13:30 Uhr SZ-Redaktion

Die Kollegen schauen mit einer Mischung aus Mitleid und anerkennendem Respekt auf meinen Trolley. "Na dann gute Reise!"

Sarah Schmidt, Freitag, 14:21 Uhr, München

Der ICE nach Hamburg ist losgefahren. Nur fünf Minuten Verspätung. Das ist vielversprechend. Ich sitze im Abteil, viele andere stehen in den Gängen. Durchsage: "Bitte nehmen Sie alle Gepäckstücke von Sitzplätzen. Das gilt auch für die Erste Klasse." Selten waren 4,50 Euro so gut investiert wie in diese Platzreservierung!

Sarah Schmidt, Freitag, 14:55 Uhr, Bahnhof Ingolstadt

Nochmal eine Durchsage: "Wegen Überfüllung werden alle Reisenden mit Ziel Nürnberg gebeten, in den Regionalzug umzusteigen." Der soll jedoch erst in einer Stunde fahren, niemand rührt sich. Vier Zugbegleiter stehen auf dem Bahnsteig zusammen und beraten. Die nächste Durchsage klingt strenger: "Reisende nach Nürnberg steigen jetzt aus, wir fahren sonst nicht weiter." Bei der dritten Durchsage knickt meine Sitznachbarin ein - sie packt ihre Sachen zusammen. Mit ihr steigen ein paar weitere Leute aus, der ICE setzt sich wieder in Bewegung.

Ulrich Schäfer, Freitag, 14:58, Zentraler Omnisbus-Bahnhof Berlin

Eine SMS: "Leider hat Dein Flixbus von Berlin nach Münster ca. 60 Minuten Verspätung." Na, super. Etliche andere Busse verspäten sich auch, die Autobahnen sind bereits verstopft. Doch dann die Rettung: MeinFernbus setzt, wie eine freundliche Männerstimme über Lautsprecher verkündet, wegen des großen Andrangs in wenigen Minuten einen Extrabus nach Münster ein. Also schnell ins Büro von MeinFernbus. Die Fahrkarte nach Münster kostet, so knapp vor der Abfahrt, 49.50 Euro. Dreimal so viel wie das Ticket für den Flixbus, das ich vor zwei Tagen gebucht habe. Egal. Ist halt Marktwirtschaft. Und ich komme dafür eine Stunde früher los - das ist es mir wert.

Sarah Kanning, Freitag, 15 Uhr, Zentraler Omnibusbahnhof München

Ziemlich trubelig hier an diesem Nachmittag, überall stehen Männer und Frauen in grünen Westen. Sie haben langen Listen in der Hand und beantworten Fragen. "Wo fährt der Bus nach Frankfurt?" Heute fahren sogar zwei. Die SMS, dass ich in Bus A steigen soll, erreicht mich allerdings erst 30 Minuten nach Abfahrt.

Ulrich Schäfer, Freitag, 15:30 Uhr, Avus Berlin

Die Avus - die älteste Autobahn Deutschlands kurz hinter Berlin - ist dicht, gleich nach der Abfahrt steckt der Bus im Stau. Klar, alle wollen heim. Viele mit dem Auto. Norbert, der Fahrer, verspricht, er werde trotzdem sein "Bestes" geben, um pünktlich in drei Stunden in Hannover zu sein. Dann bittet er die männlichen Gäste, sich auf der Toilette beim Pinkeln bitte hinzusetzen.

Sarah Kanning, Freitag, 16 Uhr, hinter München

Ich sitze in Bus B, ein zugemieteter Reisebus ohne Steckdosen und Snacks. Egal, dafür sind die Sitze bequem. Kleine Umfrage unter den Fahrgästen: Die Mehrheit wäre eigentlich lieber mit der Bahn gefahren, die statt gut fünf Stunden nur dreieinviertel Stunden braucht.

Ulrich Schäfer, Freitag, 16:00 Uhr, Berliner Ring

Endlich sind wir raus aus der Stadt. Und ich bin endlich drin im Netz. Kostenloses Wlan ist man von der Bahn nicht gewöhnt. Im Fernbus ist es Standard. Es gibt sogar über jeder Sitzreihe eine Steckdose. Überall baumeln Ladekabel für Smartphones oder Tablets von der Decke. Links schaut jemand auf seinem Laptop "The Wolf of Wall Street", weiter hinten bimmelt ständig das Handy eines Anzugträgers. Er redet laut übers Geschäft und erklärt jedem Anrufer, dass er eigentlich viel lieber mit dem Zug gefahren wäre.

Sarah Schmidt, Freitag, 16:50 Uhr, kurz hinter Würzburg

Nachdem ein weiterer Schwung Zugestiegener sich ein Plätzchen gesucht hat, kehrt eine Art Normalität ein. Es scheinen vor allem die routinierten Bahnfahrer zu sein, die trotz Streik fahren. Sie lesen, pusten ihre Nackenkissen auf, streichen über ihre Tabletbildschirme und haben Kopfhörer auf den Ohren. Der Mann zwei Plätze weiter schaut sich "E.T." an - schöne Idee. Nach Hause will ich jetzt auch gerne.

Ulrich Schäfer, Freitag, 17:00 Uhr, Irgendwo bei Magdeburg

Norbert fährt mit seinem Bus runter von der Autobahn. Er will den langen Stau vor Magdeburg umgehen. Deshalb rollt er nun eine halbe Stunde über Land. Die Ankunft in Hannover, sagt Norbert, verzögere sich dadurch leider um 50 Minuten.

Tobias Dorfer, Freitag 17:11, Hauptbahnhof München, Gleis 19

Los geht's zum Geburtstag nach Köln. Viel ist nicht los am Münchner Hauptbahnhof. Die Schlange bei Yormas und McDonald's ist überschaubar, eigentlich ganz angenehm. Der ICE 512 nach Münster steht schon bereit. Planmäßige Abfahrt 17:27 Uhr, die Türen sind noch geschlossen, geduldig warten die Fahrgäste. Nimmt man den Trubel am Bahnhof als Maßstab, dürfte gerne immer Streik sein.

Sarah Schmidt, Freitag, 17:15 Uhr, Fulda

Der Managertyp an der Abteiltür bietet einer Endvierzigerin vom Gang seinen Platz an, übergangsweise: "Wenn Sie auch mal sitzen wollen, ich bin 20 Minuten weg."

Sarah Kanning, Freitag 19:25 Uhr, Marktheidenfeld

Wir stehen. An einem Tag wie diesem wäre es ein Wunder gewesen, ohne Stau zu passieren. Aber müssen es gleich 13 Kilometer sein?

Ulrich Schäfer, Freitag, 19:30 Uhr, Zentraler Omnibus-Bahnhof in Hannover

Zwischenstation in der niedersächischen Landeshauptstadt. Was sind schon 50 Minuten Verspätung? Nichts. Gar nichts. Denn vor dem Schalter von Flixbus erfahre ich, dass der Bus, mit dem ich ursprünglich von Berlin über Hannover nach Münster fahren wollte, bereits mehr als viermal so viel Verspätung hat: genau 210 Minuten. "Alles dicht auf der Autobahn", sagt der Mann in der hellblauen Flixbus-Jacke und verteilt zur Beruhigung Gutscheine an die Wartenden, die nach Münster wollen. Vielleicht, sagt er, habe ja die Konkurrenz bei MeinFernbus noch Plätze frei. Haben sie. Und so steigen alle in den grünen Bus der Konkurrenz.

Tobias Dorfer, Freitag, 19:37, ICE 512 zwischen Ulm und Stuttgart

Ich habe die Bahn schon oft verflucht, heute nehme ich alles zurück. Auf die Minute pünktlich sind wir in München gestartet. Der vollbesetzte ICE rollt leise durch Schwaben. Ein paar Fahrgäste müssen stehen, aber das wird klaglos hingenommen. Ich beglückwünsche mich innerlich, dass ich vor zwei Tagen noch eine Reservierung gebucht habe. Hinter mir redet jemand auf Spanisch, neben mir bemerkt eine sehr blonde Frau am Handy, dass sie die letzte Nacht im selben Münchner Hotel wie ihr Gesprächspartner verbrachte. Hätte man ja was unternehmen können, wäre spannender gewesen als Lesen, aber okay. Kurz vor Stuttgart dann die Durchsage: "Ihre nächsten Reisemöglichkeiten..." Schweigen. Bestimmt eine halbe Minute lang. Lachen im Waggon. Aber dann erfährt man: Selbst ab Stuttgart fahren heute noch Züge.

Sarah Kanning, Freitag 20 Uhr, Marktheidenfeld

Im Radio läuft Helene Fischer, die ersten Reihen singen mit, mit Rücksicht auf ein Baby in verhaltener Lautstärke. Der Fahrer bietet sein Bordmikrofon für die Karaoke an.

Sarah Kanning, Freitag, 20:30 Uhr, Marktheidenfeld

Nun rächt sich, dass ich im falschen Bus sitze. Die Mitfahrer und ich haben Hunger, eigentlich hätten wir ja schon in Frankfurt sein sollen. In unserem Bus fehlt die Box, in der Erdnüsse, Bifi und Co warten. Doch weil der andere Bus gleich hinter uns feststeckt, steigt einer der Fahrer aus, und verpflegt und mit ein paar Würstchen im Brot.

Sarah Schmidt, Freitag, 20:32 Uhr, Hamburg Hauptbahnhof

Es ist geschafft, Gedränge auf dem Bahnsteig, knutschende Pärchen, Gepäck und Gewusel. Aus fünf sind am Ende 35 Minuten Verspätung geworden - doch das ist mir auch ohne Bahnstreik schon häufiger passiert. Ich habe gelernt: Beim Bahnstreik fahren nur Profis.

Ulrich Schäfer, Freitag, 20:50 Uhr, kurz vor Bad Oeynhausen

Wieder ein Stau, wieder runter von der Autobahn. Die Verspätung wächst, nun sind es schon mehr als 60 Minuten. Aber das ist allemal besser als der Flixbus, der vermutlich immer noch irgendwo in Brandenburg hängt.

Sarah Kanning, Freitag, 21 Uhr, Marktheidenfeld

Aus den hinteren Reihen tönt Lachen wie auf einer Klassenfahrt. Gemeinsam im Stau zu stehen, verbindet irgendwie doch.

Sarah Kanning, Freitag, 21:30 Uhr, Marktheidenfeld

Wir rollen!

Tobias Dorfer, Freitag, 22:11 Uhr, Hauptbahnhof Köln

Sechs Minuten zu spät. Nicht viel. Und das auch nur, weil wir außerplanmäßig noch in Limburg und Montabaur gehalten haben. Der Regionalzug nach Aachen, den viele Reisende noch kriegen wollten, ist wohl schon weg, aber damit geht man im Wagen 22 erstaunlich gelassen um. Hinter mir murmelt ein Mann etwas von "entspannteste Bahnfahrt überhaupt".

Sarah Kanning, Freitag,. 22:55 Uhr, Frankfurt am Main Hauptbahnhof

Wir erreichen Frankfurt! Nach acht Stunden. Das ergibt für 400 Kilometer einen Schnitt von 50 Kilometern in der Stunde. Auch wenn es nett war mit den Fahrern, den Passagieren, der Klassenfahrtatmosphäre, muss ich sagen: Ich freue mich, dass ich für den Rückweg am Sonntag wieder die Bahn nehmen kann. Für den Montag habe ich mir vorsorglich frei genommen.

Ulrich Schäfer, Freitag, 23:10 Uhr, Münster

Endlich in Münster. Nach mehr als siebeneinhalb Stunden. Die Bahn würde es normalerweise fast doppelt so schnell schaffen. "Gute Nacht!", wünscht der Fahrer, "und vielleicht ja bis zum nächsten Mal." Ja, vielleicht. Wenn ich mal wieder ganz viel Zeit habe.

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