Süddeutsche Zeitung

Erlebnisse einer Stewardess:"Dann stelle ich mir den Passagier nackt vor"

Chefstewardess Kathrin Leineweber arbeitet seit 23 Jahren über den Wolken. Im Interview erzählt sie, wie sie bei aufsässigen Passagieren die Ruhe bewahrt, wie sie ihre Flugangst loswurde - und warum sie gerne Roberto Blanco an Bord hat.

Von Katja Schnitzler

Chefstewardess Kathrin Leineweber arbeitet seit 23 Jahren als Flugbegleiterin bei einer deutschen Airline und hat dabei nach eigener Schätzung 28 Paar Schuhe verschlissen und 7920 Liter Tomatensaft ausgeschenkt. Über ihre Erlebnisse an Bord schrieb sie bereits mehrere Bücher, das neueste heißt "Tür zu, es zieht - Aus dem Leben einer Stewardess" (Piper Verlag).

SZ.de: Frau Leineweber, welchen Flug werden Sie nie vergessen?

Kathrin Leineweber: Der hatte mit meiner Arbeit gar nichts zu tun. Damals war ich noch Hotelfachfrau, als ich von Rio nach Hause flog. Wir gerieten in furchtbare Turbulenzen, das Gepäck fiel aus den Fächern, die Leute schrien: "Wir wollen nicht sterben!" Und das sechs Stunden lang.

Wie konnten Sie nach diesem Erlebnis noch Flugbegleiterin werden?

Ich war jung und unerfahren, der katastrophale Flug hat mir noch nicht so viel ausgemacht. Damals war ich Single. Heute habe ich eine Familie. Da schießt in so einer Situation sofort der Gedanke durch den Kopf: Was, wenn ich nicht mehr nach Hause komme?

Mussten Sie denn noch mal einen ähnlich heftigen Flug durchstehen?

Vor drei Jahren auf dem Rückflug von Kuba. Ich schwor mir, wenn ich das heil überstehe, renne ich in den Dom von Münster und zünde eine Kerze an. Dann hatte ich erst einmal Flugangst, sodass mein Mann meinte, wenn ich nur noch mit schweißnassen Händen arbeiten kann, solle ich lieber am Boden bleiben.

Aber Sie fliegen noch.

Ja, denn es ist und bleibt mein Traumberuf. Also musste ich meine Angst überwinden. Im Internet ersteigerte ich ein Autogramm und ein Buch der Flugpionierin Elly Beinhorn. Darin entdeckte ich vier vierblättrige Kleeblätter und weil ich etwas abergläubisch bin, sah ich das als gutes Omen für mich an. Jetzt habe ich immer das Autogramm beim Fliegen in der Tasche und denke mir: Wenn es diese Frau geschafft hat, allein in einer klapperigen Maschine die Welt zu umrunden, werde ich es ja wohl schaffen, in einem hochmodernen Airbus zu fliegen!

Es gibt nicht nur Flüge, die man nie mehr vergisst, sondern auch Passagiere. An wen erinnern Sie sich besonders gut?

Es gibt zwei Typen von Prominenten, die mit uns fliegen: Einige, die weder höflich noch freundlich sind. Und bekannte Gesichter, die trotz ihrer Berühmtheit sehr nett sind. Zu diesen gehört Roberto Blanco. Auch wenn sein Musikstil nicht mein Geschmack ist, er selbst hat ein unglaubliches Panorama-Lächeln und unterhielt uns einen ganzen Überseeflug lang mit seinem Charme.

Welche Gäste sind Ihnen sonst am liebsten, wenn Roberto Blanco gerade nicht an Bord ist?

Alle, die ihre Erziehung beim Einchecken nicht abgegeben haben und noch Höflichkeitsfloskeln wie Guten Tag, Danke und Bitte gebrauchen. Und am besten in vollständigen Sätzen sprechen und nicht nur "Tomate!" knurren.

Wie können Sie da freundlich und geduldig bleiben?

Es gibt ja die bekannten psychologischen Tricks, zum Beispiel sich jemanden, der einem dumm kommt, nackt vorzustellen - dann kann man innerlich schon wieder über die Situation lachen. Zur Not drehe ich mich einfach um und gehe. Alles muss ich mir nicht anhören. Oft mischen sich aber auch Mitreisende ein, wenn jemand völlig aus der Rolle fällt und sogar handgreiflich ist. Wird jemand beleidigend, haben wir ganz offizielle "gelbe Karten", nämlich schriftliche Verwarnungen. Die muss der Passagier unterschreiben. Weigert er sich, kommt die rote Karte. Dann wartet die Polizei schon am Flughafen. Randalierer müssen damit rechnen, dass der Pilot wegen ihnen zwischenlandet. Das wird dann richtig teuer.

Sie sind auch für die Sicherheit der Passagiere in Notsituationen zuständig. Haben Sie diese bislang nur im Training erlebt?

Leider nicht, im vergangenen Jahr hatten wir direkt nach dem Start Feuer an Bord, eine Leselampe brannte. Wir haben sie sofort gelöscht, aber da weiß keiner, ob es hinter der Verkleidung weiterbrennt. Also hat der Pilot sofort zur Notlandung angesetzt. Wir hatten nur sehr wenig Zeit, um die Passagiere darauf vorzubereiten.

Was werden sie auch nach 23 Jahren im Job nie verstehen?

Wenn Leute aufspringen, sobald die Reifen den Boden berührt haben. Als ob sie vor dem Flugzeug ankommen könnten. Und diese Handy-Manie nervt. Kaum sind sie unten, ziehen viele Passagiere das Handy heraus und melden: Ich bin gelandet. Dann gibt es noch diejenigen, die meinen, das Gepäckfach über ihrem Sitz gehöre ihnen allein. Und die sich wundern, dass ihr riesiger Schrankkoffer dort nicht hineinpasst. Wenn der dann in den Frachtraum soll, meinen sie: "Den können Sie doch auch in die Toilette räumen."

Abschließend können Sie noch eine Bitte an künftige Fluggäste richten: Was sollen diese bitte niemals wieder tun?

Eher andersrum, sie sollen etwas tun, nämlich sich auf den Flug vorbereiten. Dazu gehört, dass sie nicht zu viel Handgepäck mitnehmen, weil der Platz ja sehr begrenzt ist. Und dazu gehört, sich bewusst zu machen, dass man nicht alleine reist. Knoblauch essen am Tag vorher sollte man sich wirklich verkneifen. Und dieser Streit um Arm- und Rückenlehne, das muss doch nicht sein. Jeder Flug geht vorbei, da kann man sich eine Zeit lang arrangieren. Andererseits verstehe ich die Passagiere. Es nervt mich auch, wenn sich jemand auf dem Gang zur Toilette an jeder Rückenlehne festhält und alle durchrüttelt. Würde mehr Rücksicht genommen, wäre die Stimmung an Bord oft nicht so aggressiv. Aber irgendwann ist die Schmerzgrenze von jedem erreicht. Deshalb bin ich manchmal sogar froh, wenn ich arbeiten darf und nicht in den Reihen sitzen muss.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1569317
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/cag/bavo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.