Erkundungen im Grünstreifen Manhattans:Utopia für Stadtneurotiker

Die New Yorker haben ihre Parkanlagen als urbane Entspannungszone wieder entdeckt. Gehen sie in den Park, kommen sie mit einem Lächeln zurück.

Von Jonathan Fischer

Morgens um acht steckt Manhattan noch voller Träume. Vorausgesetzt, man lässt Bürotürme und Hotellobbies hinter sich, läuft vorbei an den Ausdünstungen der 24-Stunden-Delis, nickt den Butlern vor den teuren Backstein-Apartmenthäsuern zu und verschwindet im grünen Rechteck zwischen 57ster und 110ter Straße.

Central Park in New York, AP

Der Central Park - eine Oase im hektischen New York.

(Foto: Foto: AP)

Der kleine Zoo am Südostzipfel des Central Park hat offiziell noch nicht geöffnet, doch das Geschrei von Affen, Reihern und Papageien kündigt bereits einen schwülen, spannungsgeladenen Sommertag an.

Am Abluftgitter eines Tierhauses kauert ein Bündel Mensch. Es ist einer der wenigen Obdachlosen, die der law-and-order-Politik New Yorks zum Trotz im Park geblieben sind.

Ein paar hundert Meter weiter ist das menschliche Elend blühenden Sommerwiesen gewichen; vom Gedränge der Yellow-Cabs ist nur noch ein wattiges Brummen übrig geblieben. Dafür schweben Saxophonklänge wie Nebelwatte durch die Morgenluft. Ein älterer Schwarzer mit Schiebermütze bläst zum Rhythmus aus seinem mit Klebeband zusammengehaltenen Ghetto-Blaster milde Jazz-Phrasen. Bloß nichts Anstrengendes am frühen Morgen!

Doch die vorbeieilenden Gestalten in Seidenshorts und Elastikanzügen sind sowieso damit beschäftigt, ihr Kreislauftief zu bekämpfen. Vorbei an der Statue von Hans Christian Andersen, wo Flugzettel Märchenlesungen ankündigen, vorbei am Loeb Boathouse, in dem die Kellner weiße Tischdecken auftragen.

Man arbeitet sich geduckt durch das Sträucher-und-Wege-Labyrinth namens "The Ramble" und kommt dabei ein paar Rentnern, die mit Feldstechern die Vögel im Ufergezweig beobachten, in die Quere.

Kleine Verschnaufspause

258 der gut 800 Vogelarten Nordamerikas haben im Central Park zumindest ein Zwischenquartier gefunden. Spechte und Eisvögel, Reiher und Kormorane. Ein Falke kreist über dem Aussichtshügel des einer europäischen Burg nachempfundenen Belvedere Castle.

An der Brüstung zwei japanische Pärchen, die sich gegenseitig fotografieren. Kleine Verschnaufpause für den Ausblick auf den Belvedere Lake und den klassizistischen Bau des Museum of Modern Art. Dann hinunter in den Shakespeare Garden, wo sich vor dem Eingang zum Delacorte Amphitheater eine lange Menschenschlange gebildet hat.

Die vordersten sitzen auf Klappstühlen, trinken Kaffee, hacken im Schneidersitz auf ihrem Laptop herum: In einer Stunde werden die Ticket für Shakespeare im Park wie für alle Kulturveranstaltungen im Central Park kostenlos ausgegeben.

"And it's a great theatre company", versichert eine Studentin. Die Laufjünger eilen derweil auf eine andere große Theaterkulisse zu: Der 1,58 Meilen langen Rennstrecke um das Reservoir. Sandsteingelbe Wolkenkratzer spiegeln sich im Wasser.

Wer um Manhattans größten Binnensee jagt, hat alles im Blick, was diese Stadt an Gegensätzen hergibt. Die Charakterspitzen von Downtown vor sattem Weidengrün, Wasservögel unter den Kondenslinien der Jets. Dustin Hoffman hat die Runde um das Reservoir schon vor 30 Jahren in dem Film "Marathon Man" verewigt.

Überhaupt gibt es mehr als ein paar gute Gründe, New Yorks größten Park im Laufschritt zu durchqueren. Keuchend lässt sich innerhalb von nur zwei Stunden verstehen, was den Central Park zu einem weltweit einzigartigen Begegnungsort macht. 58 Meilen Spazierwege, 8968 Bänke, 26.000 Bäume.

Gleichgewicht der Bewohner

Aber wen interessieren schon solche Statistiken? Schließlich ging es Frederick Law Olmsted, der den Park 1857 zusammen mit seinem Partner Calvert Vaux entwarf, um das innere Gleichgewicht seiner Mitbürger und deren körperliche, seelische wie auch geistige Gesundheit.

Laufend, so wusste schon Proust, gewinnt das Individuum neue Kraft. Mit der Bewegung schwinden Angst, Wut und schmerzliche Erinnerungen.

Und wer durch die grünen Lungen Manhattans streift, wird alle nur denkbaren Formen körperlicher Ertüchtigung wahrnehmen: Walker, Jogger, Inline-Skater und Radrennfahrer auf den morgens, frühabends und am Wochenende für den motorisierten Durchgangsverkehr gesperrten Asphaltpisten; Boule spielende Franzosen an der Schafswiese; im Schatten ausladender Rotbuchen praktizierende Yogis; Kletterer an den naturbelassenen Felsen; Angler, die ihren Fang wiegen, messen und wieder ins Wasser werfen...

Und wo sonst als auf dem Roller Skate Rund nordöstlich der Sheep Meadow oder dem Eislaufoval im Süden des Parks kann man Rechtsanwälte und Fahrradboten, Millionärskinder und Sozialhilfeempfänger, schwarze, weiße, braune Jugendliche zum selben Disco-Beat einträchtig beieinander sehen?

Utopia für Stadtneurotiker

Frederick Law Olmsted hätte diese Form von Basisdemokratie gefallen. Der lebenslänglich unter Depressionen leidende Landschaftsarchitekt wollte den Central Park als Heilmittel und sozialen Freiraum sehen.

New York

Hektik auf den Straßen Manhattans, Ruhe im Central Park.

(Foto: Foto: New York Tourism)

Ein Gegengewicht zu den Schrecken der industrialisierten Großstadt: Damals handelte es sich noch um ein Sumpfgebiet, in dem verstreute Siedler Schweine und Ziegen züchteten - "eine Ödnis, hässlich und abstoßend".

1857 begann man, das gewaltige Landstück mit Hilfe von 3000 irischen Arbeitern, mehr als 20.000 Fass Schießpulver und zehn Millionen Pferdefuhren Erde systematisch umzupflügen.

"Auflösung von Ängsten und Besessenheiten"

Zu dieser Zeit waren Parks als Jagdgründe und Weiden der Aristokratie vorbehalten. Olmsted und Vaux aber wollten einen Volksgarten entwerfen mit lieblich geschwungenen Spazierwegen, mit Seen und Wasserläufen, die - so Olmsteds mythologische Assoziation - "Reinheit und Sorgenfreiheit, die Auflösung von Ängsten und Besessenheiten" fördern sollten.

Natürlich gab es schon damals Bedenkenträger, die davor warnten, dass ein öffentlicher Park allerlei Gesindel anziehen würde. Der Hotelbutler gibt einem auch heute mit auf den Weg, nicht weiter als bis zur 90sten Straße zu laufen, "die Gegend ist nicht sicher".

Vielleicht hat er immer noch die gewalttätigen Übergriffe von puertoricanischen Jugendlichen nach der Puerto Rican Day Parade im Jahre 2000 im Kopf. Oder die zwei 15-Jährigen, die 1997 mit einem Fremden ihr Bier teilten und ihn anschließend zerstückelten?

Dennoch gilt der Central Park polizeistatistisch als einer der sichersten Bezirke New Yorks. "Es ist wie ein Mord in einer Kathedrale", sagt Doug Blonsky, der Vorsitzende der Central Park Conservancy, einer privaten Non-profit-Organisation, die zusammen mit der Stadt den Park verwaltet. "Wenn etwas in ihrem sakrosankten Vorgarten passiert, dann fühlen sich New Yorker persönlich angegriffen".

Dabei hatte es erst besagter Privatinitiative bedurft, das Ansehen des in Verruf geratenen Parks wieder herzustellen: Immer wieder war der Auswurf der Großstadt in Olmsteds grünes Sanatorium übergeschwappt.

Etwa zur Zeit der Depression in den 30er Jahren, als Tausende entwurzelter Familien im Park lagerten und das ausgetrocknete Reservoir eine Ansammlung stinkender Schnapsbuden beherbergte.

In den 60er Jahren, als die Hippies und politischen Revolutionäre dort Marihuana rauchten und ihr Utopia suchten. Schließlich in den 70er und 80er Jahren, als der Central Park einer kahlen, Müll übersäten Brache glich.

Millionenspenden für den Park

New Yorker Privatleute, viele davon aus dem in Parknähe residierenden Geldadel, starteten in der Folge eine Initiative zur Rettung des Parks. Die Conservancy besann sich auf Olmsteds Ideale.

Dafür sammelte sie Millionenspenden und übernahm auch gleich weitgehend das Management des Parks: Das gesamte Areal, so der Plan, sollte innerhalb 15 Jahren neu begrünt, Brücken, Seen und Gebäude sollten instand gesetzt und der Park mit einer Fülle von Bildungs- und Freizeitprogrammen aufgewertet werden.

Heute präsentiert sich der Central Park gepflegter als je zuvor, strahlt sein Vorbild auch auf die restlichen Grünflächen New Yorks ab: So hat die Stadt gerade 37 Millionen Dollar für die Rehabilitation der Parks an der Südspitze Manhattans bereitgestellt.

Utopia für Stadtneurotiker

Central Park

Spazierengehen im Central Park und mit einem Lächeln zurückkehren.

(Foto: Foto: New York Tourism)

Im Juni hat der TriBeCa Park an der Avenue of the Americas wieder eröffnet, diesen Herbst wird der Tear Drop Park eingeweiht: Mit seinen Sanddünen, Teichen und im Halbkreis angeordneten Felsbrocken ist er einer natürlichen Gebirgslandschaft nachempfunden.

Unverblümt geben denn auch die Stadtplaner zu, dass die neue grüne Welle sich nicht unwesentlich dem Schock von 9/11 verdankt. "Unsere Parks verschaffen uns Erleichterung", so Madelyn Wills von der Lower Manhattan Development Coporation.

An den "Gardens of Rememberance" haben ihre Arbeiter Plaketten angebracht, die all denen gewidmet sind, die am 11. September 2001 umkamen, die überlebten, und "die kommen, um neue Hoffnung und Optimismus zu suchen".

Im benachbarten Battery Park aber geht das Leben - neben einer vom Einsturz der Twin Towers demolierten Skulptur - seinen gewohnten Gang: Touristen stehen in der Dauerbrise für die Fähre zur Freiheitsstatue an, koreanische Hobbymaler offerieren für zwei Dollar verschnörkelte Namensschilder.

Beturnschuhte weiße Studenten

Und im Mauerrund des Clinton Castle spielen täglich Weltstars - kostenlos und unter freiem Himmel. An diesem Tag ist die Soul-Legende Mavis Staples angekündigt. Ein paar ältere schwarze Damen im Sonntagsstaat haben zwischen beturnschuhten weißen Studenten auf den Klappstühlen Platz genommen.

Es sind noch etliche Plätze frei. Liegt es an dem sommerlichen Überangebot an Gratiskultur? Um sieben Uhr morgens war bereits Lionel Richie im Bryant Park aufgetreten. Am South Street Seaport singen die Delfonics, im Museo del Barrio jammt Jose Mangals Salsa-Band, und auf der Sommerbühne des Central Parks steigt ein Tanz-Festival mit den Stars des American Ballet Theater. Alles zum Nulltarif!

Vielleicht aber wird man in einer Stadt wie New York irgendwann immun für jede Form von Unterhaltung. Man möchte nur noch raus, sich bewegen, überschüssiges Adrenalin abbauen. Schließlich ist der Central Park bei Sonnenuntergang ein ganz anderes Terrain, als er es noch am Morgen war.

Schwermütige Tango-Akkorde

An einer Wegkreuzung nahe dem Duck Pond entlocken zwei schwarz gewandete Herren einem Bandoneon und einer elektrisch verstärkten Gitarre schwermütige Tango-Akkorde.

Eine Dame mit faltigem Gesicht stellt sich als Tanzlehrerin vor - und weist den stolpernden Novizen mit aller New Yorker Freundlichkeit in die Geheimnisse des Ausfallschritts ein.

Kostenlose Unterweisung findet man im übrigen an fast jeder Ecke des Parks, sei es bei einem Einführungskurs für Inline-Skater oder bei einer vogelkundlichen Wanderung durch das Ramble. Es ist ein bisschen, als ob man noch einmal Kind sein dürfte.

Anstelle des einsamen Saxofonisten dreschen nun ein Dutzend Trommler auf Kongas, Becken, Talking Drums. Eine spontane Band, in der bärtige Rastatypen, Anzugträger mit gelockertem Schlips oder auch Radfahrer mit Trillerpfeifen ihren Part spielen.

Am glücklichsten aber scheint eine zierliche Japanerin zu sein: Sie versucht etwas ungelenk, auf der Tumba den Rhythmus zu halten - und strahlt dabei über das ganze Gesicht.

Eine Stunde später haben die Mitwirkenden des Trommelorchesters längst gewechselt. Nur die Japanerin arbeitet immer noch am perfekten Beat. "Die New Yorker", sagt ihr Latino-Nachbar, "sind davon besessen, sich über alle möglichen schrecklichen Zustände aufzuregen. Doch dann gehen sie in den Park und kommen mit einem Lächeln zurück".

Informationen

Anreise: Lufthansa fliegt ab München täglich nach New York ab 590 Euro in der Economyklasse und bietet auch täglich einen reinen Businessklasse-Direktflug ab München für 2950 Euro, www.lufthansa.com.

Unterkunft: Hotel Plaza Athenée 64th Street, zwischen Madison und Park Aves., New York, N.Y. 10021 Tel. 001/212/734 91 00, Fax -772 09 58, Internet: www.plaza-athenee.com. Sehr private Atmosphäre und ruhig in der Nähe des Central Parks gelegen, ab 250 US-Dollar.

Auskünfte zu Geschichte, Naturzyklus und kostenlosen Veranstaltungen im Central Park: www.centralparkconservancy.com

New York gratis:  www.nycvisitor.com

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