Entspannte Städtereisen:Schluss mit der Abhakeritis

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Paris-Touristen haben meist ein Ziel: Die Liste abzuarbeiten. (Foto: Sladjana Karvounis/Unsplash; Illustration Jessy Asmus)

Zu viele Reisende tauschen die To-do-Liste aus dem Alltag gegen die To-see-Liste im Urlaub ein - und verpassen damit nicht nur, ihrem Ziel wirklich näherzukommen. Sondern auch sich selbst.

Von Katja Schnitzler

Beginnen wir mit einem kleinen Test, nur ganz kurz, keine Sorge: Was ist Ihnen von den Städten, die Sie bisher bereist haben, in guter Erinnerung geblieben? Zum Beispiel der Besuch des Eiffelturms, für den Sie zwei Stunden anstanden - um später zu erfahren, dass man vom Arc de Triomphe einen noch schöneren Blick auf die Stadt hat (mit Eiffelturm)? Das Rotlichtviertel in Amsterdam, das nicht nur tagsüber Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Berühmtheit weckt und dennoch als "Must-see" gilt?

Oder war es doch eher ein schöner Aussichtspunkt über dem historischen Zentrum, auf den Sie nach ein paar falschen Abzweigungen stießen, nur weil Sie das Smartphone zum Stromsparen ausgeschaltet hatten? Oder der unscheinbare Park, der in keinem Reiseführer erwähnt war, in dem sich aber abends Einheimische zum Picknick treffen und Fremde spontan einladen?

Reisen ist die ideale Gelegenheit, Zeit mit sich selbst zu verbringen und sich so wieder ein wenig näherzukommen. Das muss kein Aufenthalt an einem mehr oder weniger esoterischen Rückzugsort am Ende der Welt sein. Es kann und sollte auch auf Städtereisen möglich sein, zu sich selbst zu finden, indem man sich eine Auszeit gönnt. Eigentlich. Würde nicht ein höchst ansteckendes, gesellschaftlich weit verbreitetes Virus grassieren: die Abhakeritis.

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Kein noch so schöner Ort kann seinen Zauber offenbaren, weder sein Lebensgefühl vermitteln noch Begegnungen der zwischenmenschlichen Art ermöglichen, wenn der Besucher von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten hetzt. Nicht weniger gestresst als im Alltag.

Statt schöne Momente zuzulassen, die zu ebenso schönen Erinnerungen werden können, eilt er im (Selfie-)Wahn durch die Stadt, die zur Kulisse für die Selbstbespiegelung wird. Doch wer nur von außen auf sich blickt, erkennt sich nicht. Ebenso wenig die fremde Stadt, die Kultur, die Menschen.

In der Heimatstadt würde man an einem freien Tag doch niemals kostbare freie Zeit damit verbringen, von hier nach da zu hetzen, nur um eine Liste der sehenswerten Dinge und Orte abzuarbeiten (dieses Wort zeigt schon, wie anstrengend das ist). Warum sollte man? Man sucht sich vielleicht einen Höhepunkt heraus oder zwei, stets bereit, bei einer schönen Ablenkung den eigenen Plan über den Haufen zu werfen - so frei darf man schon sein.

Doch auf Städtereise verhalten sich viele wie Hamster, die im Rad rennen, ohne wirklich weiterzukommen: Wie viel Stadt schaffe ich in möglichst kurzer Zeit? Es muss reichen, das berühmte Museum nur von außen zu sehen, und auch die 378 Stufen des Aussichtsturms zu erklimmen würde zu viel Zeit kosten, schnell weiter, immer weiter! In diesem Rennmodus wird jede Stadt austauschbar: Der rasende Reisende spürt weder ihren ganz eigenen Rhythmus, noch ist er offen für das Neue, das sie für ihn bieten könnte. Er sieht weder das große Ganze noch Details: etwa den Reiz kleiner Gässchen, in die er spontan einbiegen könnte und die ihn zu einem winzigen Altstadt-Markt führen würden, auf dem er an einem Imbiss-Stand die regionale Küche tatsächlich kennengelernt hätte. Und: Auch die großen Sehenswürdigkeiten wären es wert, sie nicht im Schnelldurchlauf abzufertigen.

Denn natürlich muss man keinen weiten Bogen um alle Sehenswürdigkeiten machen, um eine Städtereise genießen zu können. Aber nur wer sich selbst und auch dem berühmten Objekt oder Ort genug Raum gibt, hat langfristig etwas davon. Sogar diejenigen, die immer laut "Achtsamkeit!" rufen, versäumen ausgerechnet im Urlaub, auf sich selbst zu achten: auf das, was einem wirklich gut tut - nicht nur auf Reisen.

Stattdessen hastet der Reisende mit zu vielen anderen durch den Louvre und versucht, der berühmten Mona Lisa trotz der Menschenmenge möglichst nahe zu kommen. Stattdessen könnte er in die hintersten Ecken des Museums schlendern, das mit mehr als 60 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche genug Möglichkeiten bietet, sich von der Masse abzusetzen und trotzdem kulturell Wertvolles zu sehen.

Loses Vorausplanen, ohne eine To-see-Liste anzulegen, entspannt. Und das Wissen, dass man an diesen Plänen nicht krampfhaft festhalten muss: Sie haben Urlaub, tun Sie nur, worauf Sie Lust haben! Wenn draußen alle in der Sonne sitzen, müssen Sie kein Pflichtfoto von Mona Lisas Lächeln machen, das sowieso jeder kennt. Sie können stattdessen den Bistrostuhl zurechtrücken, das Gesicht in die Wärme drehen und genießen, bis Sie selbst milde lächeln.

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Sie müssen sich auch nicht von Ihrem Platz losreißen, weil als nächstes eine Sightseeing-Schiffahrt auf der Liste steht - um dann festzustellen, dass Sie sich diese hätte sparen können: Ufer in der Innenstadt sind oft so verbaut, dass man die verschiedenen Bröckelstadien der Quai-Mauern, aber nicht die Stadt studieren kann. Das hätte einem der Bistro-Wirt bestimmt verraten, wenn man mit ihm über das wirklich Sehenswerte in seiner Stadt gesprochen hätte. Und darüber, wo er seine freie Zeit am liebsten verbringt.

Studien besagen, dass bei vielen Urlaubern erst nach zwei Wochen die Erholung einsetzt - vielleicht weil dann endlich alle, wirklich alle vorher aufgelisteten Sehenswürdigkeiten am Reiseziel abgehakt sind.

Und ist ein Trend-"Hotspot" wirklich so wundervoll, warum bleibt man nicht einfach da, statt zum nächsten weiter zu hetzen? Es ist schließlich Ihre Lebenszeit, um die es hier geht: Wenn Sie also sagen wollen, verweile doch, oh Augenblick, du bist so schön, sollten Sie ihm auch eine Chance geben.

Was Sie sich auf einer Städtereise sparen können und wie die Stadt in der Fremde tickt, erfahren Sie hier auf unserer Themenseite.

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