Höhlensystem unter Nottingham:Spuk im Bierkeller

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Das englische Nottingham ist von einem rätselhaften Höhlensystem durchzogen. Hinein kommt man durch die Gasträume von uralten Pubs.

Von Oliver Abraham

Das Geheimnis um Rosie. Um ihrer Geschichte auf die Spur zu kommen, muss man hinabsteigen in die Unterwelt von Nottingham. Jason Weston öffnet eine unscheinbare Tür in der Wandverkleidung seines uralten Gasthauses. Ein geheimer Gang. Die Stufen führen immer weiter hinunter. Tief unter das Pub. In eine andere Zeit.

Das "Ye Olde Salutation Inn" am Maid-Marian-Way gehört zu den wohl ältesten Public Houses Englands, erstmals erwähnt wurde es um 1240. Das Auge gewöhnt sich rasch an das Zwielicht unter dem Pub. Der Lärm der Stadt und die Gesprächskulisse in der Gaststube sind längst verstummt. Fünf, vielleicht sechs Meter unter der Kneipe sind wir erst - und doch schon in einer anderen Welt.

Der Weg teilt sich: Geradeaus endet er in einem Loch. "Das war die Booby Trap, eine Falle, drei Meter tief", sagt Jason Weston und leuchtet mit seiner Taschenlampe hinein. Weston, ein Mann mit grauem Bart, Brille und dem Talent, Geschichten zu erzählen, ist der Pächter des Pubs. "Hier unten waren auch Verstecke; wenn Verfolger die Treppe hinunterrannten, stürzten sie meist in dieses Loch." Der weiterführende Weg biegt scharf nach links ab. Der Fels ist sanft gerundet und fleckig vom Ruß der Fackeln und Funzeln vieler Jahrhunderte.

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Die Höhlen unterhalb von Nottingham wurden von Menschen gegraben. An der Decke sind Kratzspuren zu erkennen. "Die Leute haben damals Hacken, Hämmer, ja sogar Messer benutzt", sagt Weston. Der Sandstein unter der Stadt ist weich, deshalb ist es einfach, hier zu buddeln. Die meisten Höhlen seien nur ein paar Jahrhunderte alt, sagt Weston, "aber unsere Höhlen unter dem Pub wurden schon im vierten Jahrhundert gegraben, und man hat sie im achten Jahrhundert erweitert". Der Tunnel weitet sich zu einer kleinen Kammer, der Entry Hall; hier stehen auf einem Sims drei Puppen. Ein wenig schmutzig, mit blondem Zopf und rotem Kleidchen, eine mit merkwürdigem Grinsen. Was haben Puppen hier verloren?

Es ist die traurige Geschichte von Rosie. "Sie war ein Blumenmädchen in viktorianischer Zeit, vier, fünf Jahre alt", erzählt Weston. "Eines Tages wurde Rosie von einer Kutsche angefahren und schwer verletzt. Die Leute brachten das Mädchen hier herunter in die Höhle, wo es kühl und still ist. Sie warteten auf den Arzt - doch als der kam, war Rosie schon tot!" Seitdem soll sie hier herumgeistern.

Ohnehin sei dies ein ziemlich verhextes Haus, sagt Weston: "Wir haben bis zu 89 Geister. Die Zahl der aufgespürten Erscheinungen variiert mit dem Medium - je nachdem, wer sie spürt." Tatsächlich ist es nicht allzu eng oder beängstigend hier unten. Plätschern von Wasser ist zu hören, draußen regnet es offenbar.

Weston könnte noch mehr Geistergeschichten erzählen, berichtet aber nun davon, was hier wirklich los war: Diese Höhlen seien zum Beispiel Lagerplatz für Bier gewesen. Hier sei es mit nahezu konstanten zwölf bis 14 Grad kühl genug dafür. "Natürlich wurden auch Schmuggelwaren versteckt und man traf sich zu verbotenem Glücksspiel. Die Höhlen waren sozialer Treffpunkt und Ort zum Gebet." Weston zeigt alte Feuerstellen und einen Rauchabzug. Als Werkstätten hätten die Höhlen auch gedient und im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker. "Die Kammer ganz am Ende ist gut zehn Meter lang und war ein Schlafplatz für Kinder."

Damit scheint das Höhlensystem zu Ende zu sein. Gibt oder gab es sogar eine komplett vernetzte, unterirdische Infrastruktur unterhalb von Nottingham, eine Stadt unter der Stadt? Legenden darüber existieren viele. "Wir waren einst über einen Tunnel mit der Burg verbunden, aber dieser Gang wurde 1958 beim Bau der großen Straße direkt vor unserer Tür mit Beton verfüllt", erzählt Weston. Unter der nahen St. James's Street verbuchten frühe Stadtschreiber tatsächlich ein Netz an Höhlen. Weston zeigt auf Ziegelsteinmauern. Untersuchungen ließen weitere Tunnel hier unten vermuten: "Wir glauben, dass es der Bishops Tunnel ist und dass er von der St. Nicholas Church hierher führt."

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(Foto: Ezekial Bone)

Ade Andrews führt als Robin Hood verkleidet Gäste durch Nottingham.

Es geht unter anderem in das Pub "Ye Olde Trip to Jerusalem". Von hier aus gibt es einen Zugang in die Höhlen unter der Burg. Die Gaststuben sind teils in den Fels gebaut.

Wieder oben, im grauen Tageslicht von Nottingham, steht Ade Andrews im Robin-Hood-Kostüm. Er ist Stadtführer und erzählt seinen Gästen die Geschichte des Helden, der im Sherwood Forest eine Stunde nördlich von Nottingham den Reichen genommen und den Armen gegeben haben soll. Deshalb wurde er vom Sheriff der Stadt gejagt. Andrews erzählt das, während er seine Gäste in die Galleries of Justice hinunterführt, die heute ein Museum sind. Hier, tief unten in der Shire Hall, war das Verlies, in das der schlaue Hood aber niemals kam. Im vierten Untergeschoss, eingehauen in den Fels, zeigt Andrews das Oubliette: eine Zelle, eher ein Loch - ein Ort, um vergessen zu werden.

Erfreulichere Atmosphäre herrscht im "Malt Cross", wohin Andrews nun die Gäste führt. Einst ein viktorianisches Varieté-Theater, eine Music-Hall, heute ein authentischer, stilvoller Pub. Auch hier liegt die älteste Geschichte zuunterst: Über die St. James's Street geht es ins Nachbargebäude. Andrews öffnet eine schwere Tür ohne Klinke, dahinter liegt ein Gang mit weißen Wänden, die von Ziegelsteinen und dann von natürlichem Fels abgelöst werden. Der Gang führt vorbei an verrosteten Klappen, die mal Tresore waren. Die Höhlen hier waren vor allem Lager für Bier sowie Versteck für Wertvolles und Verbotenes. Heute klingen hier wieder ab und zu die Gläser beim Anstoßen; in den Höhlen unter dem Malt Cross gibt es zum Beispiel Gin-Verkostungen.

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Von SZ-Autoren

Es geht mit Robin Hood oberirdisch weiter, auch wenn wahrscheinlich noch unentdeckte Höhlen zur Burg führen und zum Gasthaus "Ye Olde Trip to Jerusalem", nach eigenem Bekunden das älteste Pub Englands. Ein gemütliches, verwinkeltes Haus mit niedrigen Decken und einigen Hundert Jahren Geschichte. Es liegt am Fuß des Burgbergs. Vorne ist es eine normale Bar, ein paar Schritte nur, und man steht bereits in Stuben, die aus dem Fels gehauen wurden. Der Übergang vom Haus zur Höhle ist unmerklich.

Im Berg der Burg sind Höhlen, von der Bar kommt man hinein; bis weiter in die Stadt sollen sie einst geführt haben und nach oben in die Burg sowieso. Nebenan spielen ein paar Leute "Ringing the Bull" in einer dieser höhlenhaften Stuben; ein Band mit Ring daran hängt an der Decke, man muss es pendeln lassen, um das Ziel zu treffen: die "Ochsenschnauze", einen hölzernen Stift. Illegales Glückspiel wurde hier viel betrieben, zum Beispiel Hahnenkampf.

Tief in den Katakomben hinter der Bar befindet sich ein Loch in der Wand. Das sei ein Sprachrohr gewesen, erklärt Andrews, um mit den Bewohnern der Burg oben zu sprechen. Wozu, um Bier zu bestellen? Andrews lacht, denn er weiß es selbst nicht. Nur eines ist gewiss: In und vor allem unter Nottingham liegen viele Geheimnisse verborgen.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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