Ende der Reise:Die neuen In-Viertel

In Afghanistan fährt der erste Lift. Und ein Reiseveranstalter nimmt Syrien wieder ins Programm auf. Was wird denn nun aus Berlin und Barcelona?

Von Stefan Fischer

Die Welt ist ein Dorf. Daran glaubt der Tourist gerne und benimmt sich dementsprechend. Als wäre man bereits gemeinsam in den Kindergarten gegangen, sucht der Urlauber den kumpelhaften Kontakt zu den Bewohnern der globalen In-Viertel wie Barcelona, Venedig, Berlin und Dubrovnik. Zieht in ihre Wohnungen, trinkt ihre Bars leer. Die Szene-Quartiere liegen gleichsam fußläufig vor der eigenen Haustür, sind folgerichtig schnell und bequem zu erreichen für den Preis einer innerstädtischen Taxifahrt. Man gehört dazu, ist als Stuttgarter zugleich Wahlwiener und als Braunschweigerin immer auch Herzens-Mallorquinerin, im Grunde also einer von ihnen. Als Münchner sowieso.

Nun gibt es naturgemäß aber auch die Glasscherbenviertel und No-go-Areas. Nordafrika zum Beispiel, Venezuela oder Sachsen-Anhalt. Doch was auf dem Immobiliensektor funktioniert, ist mittlerweile auch im globalen Tourismus die Methode der Wahl: Gentrifizierung. An deren Anfang steht stets das Versprechen, Teil von etwas wirklich Coolem, Besonderem zu werden. Im Tourismus genügt es mitunter, unverschämt viel für beschämend wenig Geld anzubieten, damit die Leute zuhauf vorbeischauen.

In Nordafrika sind auf diese Weise Ägypten und Tunesien dabei, wieder auf dem Stadtplan des globalen Dorfes verzeichnet zu werden. In Sachsen-Anhalt wiederum vermarktet man mit Dessau als Zugpferd die bahnbrechende Bauhausidee, von der jedoch nur ein schäbiges Architekturkonzept übrig geblieben ist: als Distinktionsmerkmal für Reisende, die von sich den Eindruck kulturellen Interesses erwecken möchten. Und Venezuela wird alsbald das neue Kuba sein. Wetten, dass?

Die Touristiker bohren derweil längst schon viel dickere Bretter. Das zeigen die Meldungen aus den vergangenen Tagen: Der Virunga-Nationalpark im Ostkongo ist wieder für Touristen geöffnet. Auch wenn sich ein paar Milizen in der Gegend bekriegen. Afghanistan positioniert seine Bergwelt als Skigebiet, ein erster Lift ist in der Provinz Bamiyan in Betrieb genommen worden. Okkupiert Kim Jong-un die Gleise nicht gerade, fahren fortan Reisegruppen zugweise nach und durch Nordkorea. Und ein französischer Reiseveranstalter nimmt Syrien wieder ins Programm. Bürgerkrieg? Welcher Bürgerkrieg?

Gestählt im überfüllten Barcelona, dürften Urlauber gerüstet sein für die neuen harten Ziele.

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