Ende der Reise:Der Gletscher als Diva

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Was tun wir nicht alles, um der Natur nahe zu sein, sie anzuhimmeln und festzuhalten? Und was macht die Natur? Der ist das so was von wurscht!

Von Hans Gasser

Ja, die Natur! Wir reisen um die Welt, um ihr möglichst nahe zu sein, sie zu bewundern, sie festzuhalten für die Ewigkeit mit unseren digitalen Gerätschaften; geben Unmengen an Geld aus, nehmen Jetlags und schlechtes Essen in Kauf, um einmal im Leben am Nordkap zu stehen, einmal das Matterhorn zu sehen oder einen der letzten nicht schmelzenden Gletscher der Welt.

Und wie dankt es uns die Natur? Es ist ihr wurscht, aber so was von. Das Nordkap, für sich schon ein eher unwirtlicher, dunkler Fels über dem Meer, hüllt sich in Nebel und kalten Wind, sodass das Ende Europas wie ein weißer Filmriss aussieht, den man sich hätte sparen können. Das Matterhorn ist da zwar manchmal gnädiger, es zeigt sich ab und zu, allerdings schneit es kurz darauf so sehr, dass Tausende Naturanbeter, sprich: Touristen nicht mehr weg können aus Zermatt, wie es diesen Winter mehrmals passiert ist.

Und nun hat sich der Gletscher Perito Moreno eine unglaubliche Unverfrorenheit erlaubt. Dieser divenhafte Koloss im Süden Argentiniens ist eine der meistbesuchten Naturschönheiten des Landes. Alle paar Jahre einmal stürzt ein Teil von ihm mit großem Getöse ins Wasser. Nicht, weil ihm der Klimawandel den Garaus macht, wie fast allen anderen Gletschern. Sondern weil sein wachsendes Eis eine Engstelle des Lago Argentino verstopft. Wird der Wasserdruck zu groß, stürzen die Eismassen in sich zusammen. Weil die Tourismusverantwortlichen guten Kontakt zu den Glaziologen haben, wusste man, es wird dieser Tage passieren: Eine grandiose, blaue Eisbrücke sollte einstürzen, mehrere Tausend Touristen waren extra deshalb angereist, mit Daunenjacken und Smartphone-Zusatzakkus.

Und was macht der Gletscher, während die vielen Touristen aufgeregt schauten und mit gezücktem Gerät warteten? Nichts. Erst als der Nationalpark am Abend seine Tore schloss und also kein einziger Schaulustiger sich mehr in Gletschernähe befand, geruhte dieser mitten in der Nacht auf ganzer Front einzustürzen. Weil das mitten in der Nacht geschah, gibt es davon nicht mal Aufnahmen von fest installierten Kameras. Was nur sollen die Urlauber jetzt posten, twittern und sharen? Die teure Reise war umsonst.

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