Ende der Reise:Am Tellerrand

Edmund Hillary und Tenzing Norgay

Was sind die Enden der Welt? Viele Menschen können sich darauf einigen, dass der Gipfel des Mount Everest eines ist, den Edmund Hillary (r.) und Tenzing Norgay als Erste bestiegen haben. Für Norgay war dieses Ende zugleich Teil der Heimat.

(Foto: dpa)

Wo ein Ende ist, muss es auch einen Anfang geben. Für Reisende ist das die Heimat. Die trägt man immer mit sich. Egal, wie weit man in der Welt herumkommt.

Von Dominik Prantl

Versteht man das Ende der Welt nicht als ein apokalyptisches Szenario, wie wir es wahlweise aus der Bibel kennen oder von den bildgewaltigen Dystopien daran berauschter Filmregisseure - sondern als einen Sehnsuchtsort im Sinne eines noch unentdeckten Winkels der Welt: So ist der abenteuerlich veranlagte Reisende vorerst einmal ein richtig armer Hund. Man kann nicht mehr wie Christoph Kolumbus geradezu versehentlich neue Kontinente aufstöbern, wie Ernest Shackleton die Antarktis erforschen, ja nicht einmal mehr wie die Gratgänger Edmund Hillary und Tenzing Norgay das vertikale Ende des Planeten erschließen. Die letzten Zipfel und die höchsten Gipfel der Kontinente, selbst die kältesten Polkappen und heißesten Wüstenteile sind nicht nur erschlossen, sie haben sich häufig sogar in Ziele der Massen verwandelt. Oft sind die vermeintlich so verlockenden Enden der Welt heute Zentren des Tourismus.

Allerdings hat der Reisende immer noch den großen Vorteil, dass der eigene Horizont zwar einem großen Teller gleichen mag, die Welt aber halt doch eine Kugel ist. Das führt zu dem schönen Nebeneffekt, dass sich jeder das Ende der Welt selbst definieren kann. Die Herausforderung des heutigen Reisens besteht ja auch nicht mehr in der Überwindung von möglichst großen Distanzen, um in Thailand oder der Karibik dann doch nicht über den eigenen Tellerrand zu blicken. Es geht vielmehr darum, den Tellerrand auszuloten, um irgendwann zu wissen, wo man seine ganz persönlichen Weltenden findet.

Das müssen nicht der Amazonas, die Wüste Gobi oder der Mount Everest sein, und erst recht nicht Orte wie World's End oder Finisterre. Es darf sich vielmehr auch um eine einsame Bucht am Walchensee, eine entlegene Pension in Südtirol oder den letzten Kletterfelsen in einer provenzalischen Schlucht handeln. Einen solchen Platz zu kennen und ihn sich vertraut zu machen, ist die eine große Kunst des Reisens.

Und noch eine Kunst wird immer wichtiger: Sofern einem das Ende der Welt nicht gerade so viel Spaß bereitet wie dem Regisseur Lars von Trier in der Weltuntergangshymne "Melancholia", geht es bei der Suche nach den Enden der Welt vor allem darum, nach jeder Reise an den Tellerrand weiterhin zu wissen, wo jene Mitte liegt, die Heimat heißt.

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