Ende der Reise:Alles knorke in Berlin

Spätes Bekenntnis zur Einheit: Eine neue Hauptstadt-Kampagne wirbt mit einem altbackenen Slogan, nach zweieinhalb Jahren des Nachdenkens und Hirnens - und 30 Jahre nach der Wiedervereinigung.

Von Stefan Fischer

Zu langsam, zu umständlich, zu halbherzig - abseits inhaltlicher Einwände sind das drei oft erhobene generelle Vorwürfe an die Politik. Manchmal mag daran auch etwas sein. Würde Deutschland allerdings so regiert, wie Marketingagenturen geführt werden, wäre das Land wahrscheinlich noch nicht einmal wiedervereinigt und die Post nach wie vor ein Staatsbetrieb, der seinen Kunden wie ehedem Telefone mit Wählscheiben aushändigt. Der Modus in der Werbebranche ist: Besser dreißig Meetings zu viel als eines zu wenig. Und eine Entscheidung fällt zwingend erst dann, wenn von der zugrunde liegenden Idee nichts mehr zu erkennen ist.

In Berlin nun haben sich vor geraumer Zeit Politik und Werbewirtschaft zusammengetan, um ein neues Leitbild für die Hauptstadt zu entwickeln. Eine unheilige Allianz. Aber das bisherige Motto "be Berlin" war schlichtweg nicht mehr zu halten. Viel zu viele Menschen wollten Berlin sein, was die Partyszene und überhaupt den Tourismus beflügelt hat, den tendenziell missmutigen, wenn nicht gar latent grundaggressiven Berlinern aber die Freude an ihrer Stadt verhagelt hat.

Eile war also geboten, auch wenn Corona zuletzt für eine merkliche Beruhigung der Situation gesorgt hat: Kaum zweieinhalb Jahre sind verstrichen, gibt es prompt die neue Marke mitsamt neuem Logo. Und neuem Motto: "#WirSindEinBerlin". Kurz bevor der letzte Bewohner stirbt, der sich noch daran erinnern kann, dass die Stadt einmal geteilt war, ein solch starkes Bekenntnis zur Einheit! Dafür haben sich die vielen Arbeitsgruppen allemal gelohnt.

Allerdings merkt man der neuen Kampagne den Zeitdruck an. Denn das Logo geht mit dem Motto nicht konform: Der rote Schriftzug "Berlin" links, der Schattenriss des Berliner Bären rechts, beides jeweils eingekastelt durch einen Trauerrand und also durch einen schwarzen Balken voneinander getrennt - das sieht sehr nach Mauer aus und recht wenig nach EinBerlin. Das kommt eben davon, wenn man so hudeln muss.

Für die Werbesprüche gilt Ähnliches, Anspruch und Realität klaffen auseinander. Eine neue Kampagne ist immer "modern und frisch", so die Phrase derer, die sie in Auftrag geben. Bei #WirSindEinBerlin sind die Berliner aber "Flitzpiepen" und die Dinge vor allem "knorke". Den Jargon haben schon die Figuren der Serie "Babylon Berlin" drauf, deren Handlung 1929 einsetzt. Da hilft nur eins: Das bisherige Motto "be Berlin" galt zwölf Jahre. Wenn noch in diesem Herbst erste Meetings angesetzt werden, sind bis 2032 jene Leitlinien tatsächlich ausgereift, die dann #WirSindEinBerlin ablösen werden. Die werden ganz dufte, versprochen.

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