EM-Unterkunft der Nationalmannschaft:Zimmer mit Podolski-Blick

Die Zimmer sind eingeteilt, auch der Standort der Playstations und Details der Speisekarte stehen schon fest. Seit Monaten bereitet sich das exklusive Hotel nahe Danzig auf die deutsche Fußball-Nationalmannschaft vor - und auch Kleinunternehmer in der Nachbarschaft hoffen auf ihr Geschäft.

Boris Herrmann

Wer Izabela Wilczynska mit der Frage kommt, welche berühmten Gäste sie bereits beherbergt hat, der sollte ein bisschen Zeit mitbringen. Die Geschäftsführerin des polnischen Fünfsternehotels Dwor Oliwski lässt sich dann erst einmal in ihre Fünfsternecouch zurückfallen. Sie knabbert die Ziererdbeere von ihrem Eisbecher und schließt genüsslich die Augen. "Ach, wo soll ich da anfangen?", fragt sie schließlich.

Sie fängt bei der Pop-Ikone Kylie Minogue an, "sehr nette Dame". Sie erzählt vom Besuch des Pink-Floyd-Frontmans David Gilmour, macht weiter mit Rod Stewart, der gleich zweimal vorbeikam. Und während sie sich mit ihrem Silberlöffel zu einer Kugel Vanilleeis vorarbeitet, kommt Wilczynska auf Prinzessin Anne Mountbatten-Windsor zu sprechen. Danach wird es dann politisch. Vier polnische Präsidenten hätten schon in ihrem Hotel im Hinterland von Danzig übernachtet: Alexander Kwasniewski, Lech Kaczynski, Bronislaw Komorowski und Lech Walesa. Wie man vielleicht wisse, sei das mit Walesa besonders bemerkenswert. Der ehemalige Gewerkschaftsführer besitze schließlich nur einen Spaziergang vom Dwor Oliwski entfernt ein Privatschlösschen.

Bei so viel Prominenz kann sich Wilczynska durchaus leisten, von der namentlichen Nennung aller je dagewesenen Premierminister und ihrer Gattinnen abzusehen. Man glaubt auch so verstanden zu haben: Diese Frau lässt sich nicht vom Besuch eines gewissen Joachim Löw und seiner Nationalelf aus der Ruhe bringen. Nicht so sehr jedenfalls.

Ein bisschen stolz ist sie natürlich, dass die Reisegruppe des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) während der Europameisterschaft unter ihrem Dach wohnen wird. Die Jungs von Löw haben ab 2. Juni reserviert, am 4. Juni wird ihre Ankunft erwartet. Wilczynska spürt, es könnten auch ihre Jungs werden. "Ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Fan von zwei Mannschaften bin."

Grundsätzlich hält sie selbstverständlich zu Polen, "diesmal vielleicht ein bisschen mehr zu Deutschland." Der DFB hat das Hotel bis zu vier Wochen lang exklusiv angemietet. "Wäre schon blöd, wenn die gleich nach der Vorrunde wieder auschecken müssten", sagt Wilczynska. Sie weiß natürlich: Je erfolgreicher die Gäste spielen, umso größer ist der Marketingeffekt für das Teamhotel. Deutschland ist der wichtigste Tourismusmarkt für Polen.

Heiliger Ernst bei der Quartierfrage

Bei der deutschen Nationalmannschaft wird der Quartierfrage traditionell mit heiligem Ernst begegnet. Manche ehemaligen Herbergen des DFB sind heute so berühmt wie seine Ehrenspielführer. Dazu gehört vor allem das Hotel Belvedere, in dem die WM-Helden von 1954 Bekanntschaft mit dem sogenannten Geist von Spiez machten. Zwanzig Jahre später verhalf die Weltmeisterelf um Beckenbauer und Breitner der deutlich geistloseren Sportschule Malente zu ungeahntem Ruhm. Auch das Castello di Casiglio im lombardischen Erba (1990), das Mottram Hall im englischen Prestbury (1996) sowie das Schlosshotel Grunewald (2006) sind auf ihre Weise legendär. Vom Hotel Velmore in Südafrika (2010) ist immerhin in Erinnerung geblieben, dass kurz vor Turnierbeginn ein toter Frosch im Pool lag. Beim Dwor Oliwski (zu Deutsch: Olivenhof) schwimmen die Frösche allenfalls draußen im Ententeich. Der Pool ist klinisch rein, beleuchtet und überdacht. Er befindet sich inmitten einer römisch-finnischen Wohlfühl-Landschaft.

Auch andere Verbände waren interessiert

Es ist ohnehin ein sehr exquisiter Ort, den sich der DFB da ausgesucht hat. Das Nationalteam bezieht im Danziger Stadtteil Oliwa einen stilvoll restaurierten Gutshof aus dem 17. Jahrhundert, mit Fachwerk, Reet-Dach und mit einem Haus-Bächlein vor der Tür. Es ist das Anwesen einer Künstlerin, die offenbar viel Zeit hatte, sich auszutoben. Zu viel Zeit vielleicht. Jede Fahrstuhltür, jede Zimmerkommode ist mit barocken Schnörkeln verziert. Auf dem Hof steht eine Art Playboy-Häschen-Installation. Ansonsten ist es aber schön.

Hotel Dwor Oliwski nahe Danzig

Der ehemalige Gutshof aus dem 17. Jahrhundert wurde zur Fünf-Sterne-Herberge umgebaut. Das Hotel Dwor Oliwski liegt rund zehn Kilometer von Danzig entfernt.

(Foto: dapd)

Oliwa war bis 1926 eine eigenständige Stadt, seither gehört es zu Danzig. Es ist trotzdem eine eigene Welt geblieben. Die umtriebige Dreierstadt Danzig, Gdynia und Sopot ist nur wenige Kilometer entfernt. Sie ist geprägt vom Meereswind der Danziger Bucht und vom Baulärm des Aufschwungs. Die Altstadt von Oliwa hingegen liegt zwischen sanfte Hügel gebettet in einem verschlafenen Winkel, der den schönen Namen Tal der Freude (Dolina Radosci) trägt.

Die letzten Meter zum Dwor Oliwski führen über zerfurchtes Kopfsteinpflaster direkt in die makelloseste pommersche Dorfidylle hinein. Löws Spieler werden inmitten einer Schrebergartenkolonie wohnen, umringt von kleinen Parzellen des Spießerglücks, die von schlecht gelaunten Hunden bewacht werden. Wenn man sich aber ein bisschen konzentriert und die Winde günstig stehen, dann kann man sogar Elefanten hören. Der Zoo von Oliwa ist in Rufweite.

Buchungsanfragen aus Spanien und Frankreich

Man sollte dieses Städtchen mit seinen rund 20.000 Einwohnern ohnehin nicht unterschätzen. Der Dom von Oliwa gilt als "die längste Kirche Polens". Er misst 107 Meter vom Eingangstor bis zur Apsis. Und es muss kein schlechtes Omen sein, dass er damit ziemlich genau der Standardlänge eines Fußballfeldes entspricht. Kein Wunder, dass sich auch andere Verbände für dieses Quartier interessiert haben. Izabela Wilczynska erzählt, die Nationalteams von Spanien und Frankreich hätten bei ihr ebenfalls eine Buchungsanfrage gestellt. Sie hat sich für die Deutschen entschieden. "Die haben zuerst gefragt", sagt sie.

Jetzt, da alle Verträge unterschrieben sind, geht es für Wilczynska darum, die Nachfragen aus Deutschland zu bearbeiten. "Seit sechs Monaten telefonieren wir fast jeden Tag mit dem DFB", sagt sie. Worüber? "Darüber, wo die Playstations aufgebaut werden, zum Beispiel. Und über Details der Speisekarte."

Herkömmliche Gäste wie Kylie Minogue und Lech Walesa schätzen das Oliwski gerade für seine Detailliebe in der Küche. Bevor es ein Hotel wurde, war es ein Restaurant. Das Essen gehört noch immer zu seinen größten Vorzügen. Die in Rotwein gedünsteten Rinderbäckchen, der Hammelrücken, das Chili-Eis und der Brunnenkressesalat sind schwer zu übertreffen. Die deutschen Fußballer bringen trotzdem ihren eigenen Koch mit. Der ist bestimmt auch nicht schlecht.

Wer bekommt die große Suite?

Hotel Dwor Oliwski Polen

Bis auf einige Nachbesserungen in den Zimmern und Schönheitsreparaturen im Wellness-Bereich ist das Domizil schon vor Turnierstart bereit für den prominenten Besuch.

(Foto: Dwor Oliwski)

"Eigentlich bringen die alles mit. Das wird ein entspannter Sommer für uns", sagt Wilczynska. Soviel Ironie gönnt sie sich. Grundsätzlich muss sie schon vorsichtig sein, was sie sagt. Etwa an dieser Stelle: "Die Leute vom DFB haben jedes einzelne Zimmer getestet und dann einen Belegungsplan erstellt." Da wäre es natürlich interessant, zu erfahren, welcher Spieler die große Suite bekommt. Hat der Kapitän Lahm das Erstzugriffsrecht? Erhält der lange Mertesacker qua Körpergröße ein geräumiges Apartment? Oder können Podolski und Klose hier ihren halben Heimvorteil ausspielen?

Spannend dürfte auch die Frage werden, wer in die Zimmer unter dem Dachgiebel muss, wer also statt einer Terrasse mit Ententeichblick eine Badezimmerschräge bekommt. Der junge Schmelzer? Der alte Wiese? Alle beide? Verraten wird nur, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts verraten werden darf. Wilczynska sagt, bei Rod Stewart und Princess Anne habe sie zumindest nach der Abreise die Zimmernummer veröffentlichen dürfen. Der DFB besteht auf eine Schweigepflicht. Bis ans Ende aller Tage.

Er hat im Übrigen auch auf ein Trainingsgelände in der Nachbarschaft bestanden. Und deshalb gibt es im alten Ortskern von Oliwa jetzt einen doppelt eingezäunten Sportplatz, den bislang keiner gebraucht hat und der durchaus ein wenig die Optik verschandelt. Die Leute im Ort erzählen, der DFB habe sich dieses Spielfeld eine Million Zloty (etwa 250.000 Euro) kosten lassen.

Lachse angeln und Podolski beim Training zusehen

Der glücklichste Mensch von Oliwa muss Richard Duniec sein. Ihm gehört das Haus, das zwischen dem deutschen Teamhotel und dem deutschen Trainingsplatz steht. Auf seinem Grundstück gibt es eine kleine Fischzucht. Mit diesem Wasser wird (gegen eine kleine Gebühr, versteht sich) der neue DFB-Rasen bewässert. Von dort hat man allerdings auch einen interessanten Ausblick. "Man kann hier gleichzeitig Lachse angeln und Podolski beim Training zusehen", sagt Duniec. Das ist kein Witz, das ist eine Geschäftsidee. Duniec hat vorsorglich mal seine alte Garage ausgebaut. Auf die Schnelle sind vier Fremdenzimmer entstanden, die er während des Turniers vermieten will. Noch gucken viele Kabelbüschel aus den Wänden heraus, dafür ist die Kachelofen-Attrappe schon fertig. Wie viel solch ein Zimmer kosten soll? Da hält sich Duniec noch bedeckt. "Das wird der Markt regeln", sagt er.

Dass es diesen Markt geben wird, ist längst zu spüren. Schon jetzt herrscht ein wenig Goldgräberstimmung in Oliwa. Ganz egal, mit wem man sich unterhält, spätestens nach fünf Minuten bekommt man ein Gästezimmer für die Zeit während der Euro 2012 angeboten. Im Schnitt werden 50 Euro pro Person verlangt. 60 mit Frühstück. Und 65 mit gutem Frühstück. Dass in Polen eigentlich eine Währung gilt, die sich Zloty nennt, scheint kaum noch einen zu interessieren. Man nimmt lieber das Geld, das wie das Turnier heißt.

Einzige Zufahrtstraße abgeriegelt

Das wird ein Mekka für deutsche Touristen", sagt der Danziger Fremdenführer Zygfryd Sternicki. Genau das will der DFB natürlich verhindern. Die einzige Zufahrtstraße nach Alt-Oliwa wird ab dem 2. Juni von der Polizei abgeriegelt. Hinein kommt nur, wer eine Sondergenehmigung hat. Ein Schrebergärtner, dessen Parzelle direkt ans deutsche Teamhotel grenzt, sagt, man habe ihm sogar Alkoholstichproben angekündigt. Er könne das gut verstehen. Es sei schon wichtig, dass der Lukasz (Podolski) und der Mirek (Klose) hier gut schlafen. "Manche Polen können nun einmal sehr laut werden, wenn sie betrunken sind."

Informationen:

Anreise: Flüge von Deutschland nach Danzig hin und zurück ab ca. 200 Euro. Weiter mit dem Mietwagen. Ab Juni bietet die Bahn eine direkte Zugverbindung: Knapp 7 Stunden von Berlin nach Danzig, hin und zurück ca. 100 Euro. Nächster Bahnhof: Danzig-Oliwa, 3 km. Unterkunft: Hotel Dwor Oliwski, Bytowska 4, 80-328 Gdansk (Danzig), DZ mit Frühstück ab ca. 110 Euro; Tel.: 0048/ 58/ 554 70 07; www.dworoliwski.pl Weitere Auskünfte: Danzig für Besucher: www.de.gdansk.gda.pl. Mit der S-Bahn zum Ostseebad Sopot: www.danzig.info/sopot.html

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