Eismarathon in Kärnten:Exodus auf Kufen

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James Bond war schon hier. Dass aber Tausende niederländische Eisläufer zum Kärntner Weissensee kommen, hat andere Gründe.

Dominik Prantl

Zugegeben, der Schnee hier am Weissensee ist auch nicht so schlecht. Fast meterdick ruht er auf den Dächern der Häuser, Loipen ziehen sich durch makelloses Weiß, was alleine aber noch keinen der angereisten Niederländer aus dem Wohnmobil hervorlockt.

Der Eis-Marathon am Weißensee (Foto: Foto: dpa)

Und auch wenn eine derart winterliche Bilderbuchidylle im Tourismus als unbezahlbar gilt, mag es Arno Kronhofer am liebsten, wenn der Schnee erst nach einer Kältephase einsetzt, dann, wenn der See bereits von einer schönen Eisschicht überzogen ist. Denn hier gelten besondere Gesetze. Kronhofer, Büroleiter der Weissensee Information, sagt: "In unserem touristischen Angebot macht das Eis etwa 50 Prozent aus. Es ist unser Kapital."

Die Gemeinde wirbt mit der "größten präparierten Natureisfläche der Welt", und genau deswegen kommen die Niederländer seit 20 Jahren nach Kärnten, in Scharen. Am vergangenen Wochenende ist die "Alternative holländische Elf-Städte-Tour" zu Ende gegangen, eine zweiwöchige Veranstaltung mit mehreren Volksläufen über 50, 100 und 200 Kilometer und verschiedenen Eisschnelllaufwettbewerben, darunter einem prestigeträchtigen Profiwettbewerb der weltbesten Marathoneisschnellläufer über 200 Kilometer.

Man spricht niederländisch

Die Rekordzeit liegt hier bei fünf Stunden und elf Minuten. Allein beim letzten Volkslauf des diesjährigen Turnus' nahmen mehr als 1000 Schlittschuhläufer teil, insgesamt kamen fast 5000 Gäste aus dem Ausland. Sämtliche Lautsprecher-Durchsagen sind auf Niederländisch, die mit täglich 620.000 Exemplaren auflagenstärkste Zeitung der Niederlande, De Telegraaf, druckte am Freitag zwei Bilder vom Profirennen auf der ersten Seite, und wenn wie tags darauf der Königlich-Niederländische Eisläufer-Bund (KNSB) zu den offenen niederländischen Meisterschaften anrückt, "haben wir erst einmal gar nichts mehr zu melden", sagt Kronhofer, immerhin auch Chef des Organisationsteams.

Denn auf ihre Eislauftradition sind die Niederländer stolz, sogar noch viel mehr als die Engländer auf ihre Fußballkultur. Eisläufer auf Grachten malte im 16. Jahrhundert schon Pieter Brueghel, und vor genau hundert Jahren wurde in der niederländischen Provinz Friesland die erste Elf-Städte-Tour gestartet, ein 200-Kilometer-Marathon über Kanäle und Seen von Leeuwarden nach Dokkum und zurück.

Zuletzt froren die Grachten jedoch immer seltener zu, und weil das Eis nicht mehr zu ihnen kam, mussten die reisefreudigen Niederländer eben zum Eis. Die "Elf-Städte-Tour" wurde nach Österreich ausgelagert, wobei der Kärntner Norbert Jank Wert auf die Tatsache legt: "Die sind auf uns zugekommen."

Wie James Bond die Region veränderte, lesen Sie auf der folgenden Seite.

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Norbert Jank ist so etwas wie der Hüter des glatten Kapitals, und in den Niederlanden angeblich mindestens ebenso bekannt wie die Königin oder wenigstens wie Henk Angenent. Angenent avancierte spätestens seit seinem Sieg bei der letzten in den Niederlanden abgehaltenen "Elf-Städte-Tour" im Jahr 1997 zum Helden in der Heimat, "ungefähr so wie bei euch der Ballack", sagt Kronhofer.

Nun ist Jank zwar weder Monarch noch gekrönter Eisläufer, aber dafür jener Mann, der das alternative Volksvergnügen der Niederländer im Exil seit 1989 sicherstellt. Er zuckelte schon vor mehr als 40 Jahren - der Wintertourismus setzte gerade erst ein - mit dem Pferdeschlitten über den gefrorenen Weissensee, weil die winterlichen Straßen schwer zu befahren waren. Irgendwann entwickelte er ein Gefühl für das Eis. Dann kam James Bond und machte ihn unsterblich.

1987 suchten die Macher des Films "Der Hauch des Todes" eine Verfolgungsjagd-taugliche Eisfläche, nicht zu klein, aber tragfähig. Der auf 930 Meter gelegene, sechseinhalb Quadratkilometer große See war durch eine geographische Besonderheit prädestiniert: Wegen der geringen Wassertiefe im Westteil von höchstens fünf Metern kühlt er dort relativ schnell aus. So hat er zwar an etwa 100 Tagen im Jahr mehr als 24 Grad Celsius, ist aber an ebenso vielen Tagen mit Eis bedeckt. Außerdem gab es am Weissensee den Eismeister Jank: "Außer mir hat sich ja keiner ausgekannt."

Nach Bond dauert es nur zwei weitere Jahre, bis die vom Eislaufentzug bedrohte "Stichting Wintersporten" am See gastierte. Die Stiftung organisiert den Volkslauf gemeinsam mit der Gemeinde. "Im ersten Jahr hatten wir richtig schönes Spiegeleis - ohne Schnee drauf", sagt Jank, der sein Wissen seitdem stetig vertieft.

10.000 Kilometer legt er pro Jahr auf dem Eis zurück, führt dort einen ständigen Kampf gegen Niederschläge aller Art - und gewinnt ihn seit 20 Jahren zuverlässig. Im Team oder alleine räumt er Schnee, schneidet bei Regen mit der Motorsäge Abflusslöcher ins Eis oder flutet die Schneedecke darauf, auf dass der Matsch wieder gefriere.

Deshalb ist das Eis heuer auch nicht blank und glänzend, sondern etwas rissig und matt. Auch war zuletzt der weit größere Ostteil gesperrt, weshalb die Bahnen kürzer sind und eng gestaffelt. Dennoch könnte Jank bei einer Eisdicke von etwa einem halben Meter im Westteil des Sees die Räumarbeiten sogar mit einem fünf Tonnen schweren Traktor vornehmen. Noch nie sei auf dem See etwas passiert, wenn er die Fläche freigegeben habe. Gleichzeitig amtiert der 62-Jährige als Maskottchen und Botschafter in Personalunion, der Journalisten mit Sätzen wie "Autos habe ich schon zwei im See versenkt" oder "Man muss mit der Witterung arbeiten" füttert. In den Niederlanden gab es sogar schon im Sommer Interviewanfragen. Thema des Gesprächs: Was macht ein Eismeister im Sommer?

Längst wissen auch Kärntens Touristiker, was sie an Jank haben. Zum Volkslauf am vergangenen Freitag, wo manche der Läufer schon einmal eine längere Mittagspause zwischen zwei Einheiten einlegen, kam auch Landeshauptmann Gerhard Dörfler. Kronhofer spricht von 300.00Übernachtungen, die innerhalb der 14 Veranstaltungstage in der 750-Einwohner-Gemeinde gezählt werden.

Das entspricht etwa einem Drittel des gesamten Wintergeschäfts. Die Stichting Wintersporten kassiere zwar das Startgeld und neun Prozent der Übernachtungserlöse. Doch mit der vorübergehenden Kolonialisierung hat Kronhofer kein Problem, schließlich sei neben den Einnahmen auch der Imageeffekt enorm: "In den Niederlanden ist die Marke Weissensee besser bekannt als Tirol."

Jank sägt, flutet und räumt weiterhin, egal wer kommt. Mitte Februar findet ein Golfturnier statt, bereits von diesem Freitag an wird ein Gäste-Eislaufmarathon über 50 Kilometer ausgetragen und die Europameisterschaft im Eisstockweitschießen. Der Rekord liegt bei 566,53Metern. Theoretisch ist er stark ausbaufähig: Der See hat eine Länge von 11,6 Kilometern.

© SZ vom 05.02.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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