Eisfischen:Auf den Kopf hauen!

Lesezeit: 3 min

In der Fischerei Leutasch artet das Eisangeln selbst mit kleinen Kindern nicht zur Geduldsprobe aus. Die wahre Hürde ist, dass der Fisch am Ende sterben muss.

Von Dominik Prantl

Teresa, die kleine Feinschmeckerin, hat mir einmal erklärt, ihr Lieblingsfisch sei der Rotbarsch. Neben dem Saibling und dem Lachs. Da war Teresa drei Jahre alt und ihr das Konzept des Angelns und des Tötens fremd gewesen. Der Fisch kam ja immer aus dem Kühlschrank der Eltern auf den Teller, manchmal als Filet, manchmal am Stück, nie zappelnd am Haken.

Jetzt ist Teresa vier, starrt gemeinsam mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder, meinem Patenkind Max, in ein Eisloch am Angelteich der Leutascher Fischerei bei Seefeld und beide wissen nicht so recht, was das soll. Wenn man mit Kindern rausgeht in den Schnee, noch dazu in die Tiroler Berge, schmeißt man normalerweise Schneebälle, wälzt Schneekugeln zu Männern und rast auf allen möglichen Untersätzen zu Tal, bis die Wangen glühen. Aber man stellt sich nicht mit dem Schlitten an ein Loch im Eis eines zugefrorenen Sees. Andererseits sind in dem Teich zwar keine Rotbarsche, aber jede Menge Saiblinge und Forellen. Kurz: Da unten tummelt sich das feinste Abendessen.

Max ist zwar noch etwas zu jung fürs Fischen und Schlachten, zeigt dafür aber sofort die richtige Einstellung. Den ersten Köder, eine fette Made, wirft er instinktiv ins Wasser, was Anglerprofis als Anfüttern bezeichnen. Als nach nur zwei Minuten die erste Forelle am Haken zappelt, hat er das Konzept schnell kapiert. "Ich will ihn essen." Ein kräftiger Stockschlag auf den Fischkopf, ein Stich ins Herz, Blut läuft auf das Eis. Teresa verzieht den Mund. Max rennt übers Eis zum gerade reüssierenden Fischer nebenan, verfehlt auf dem Weg zwei offene Eislöcher haarscharf, und ruft: "Auf den Kopf hauen! Auf den Kopf hauen!"

Komisches Loch im Eis: Teresa kocht nach einigen pflichtbewussten Blicken lieber imaginäre Spaghetti in den Eislöchern. Schmecken wird ihr der Fisch dennoch. (Foto: Petra Warth)

Offenbar haben das auch die Fische gehört, sie halten sich jetzt zurück. Teresa kocht deshalb Spaghetti in unseren Eislöchern, "mit Butter". Dabei wedelt sie mit dem Totschlagstock derart motiviert im Wasser herum, dass die letzten beißwilligen Saiblinge wohl ans andere Ende des Teiches flüchten und sich die Forellen wels-artig im schlammigen Grund vergraben. Max, der alte Jäger und Sammler, stolpert derweil mit seinen Ratschlägen weiter übers Eis. Als er fällt, will er heim, und zwar sofort. Die anderen Eislochfischer sehen nur kurz von ihren Löchern auf. Dabei erwecken manche von ihnen in ihren Tarnfarbenklamotten mit Munitionshalterungen an den Jacken den Anschein, als würden sie gegen Fische in den Krieg ziehen. Und weil man beim Fischen keinen Lärm machen darf, stehen sie auch still wie Soldaten. Dass keiner der Fischersoldaten etwas sagt, obwohl Max kurz zetert, ist sehr nett. Noch netter ist, dass ein offenbar schwerhöriger Saibling den Weg zu unserer Made am Haken findet. Max hat jetzt vergessen, dass er sofort heimwill. Er jubelt: "Forelle, Forelle! Ich will sie essen!"

Teresa meint: "Tun wir wenigstens einen zurück ins Wasser."

Max und Teresa gehen jetzt aber erst einmal mit ihrer Mutter eine heiße Schokolade im nur wenige Meter entfernten Café trinken, was wohl der richtige Moment ist, um in aller Ruhe etwas über dieses Gewässer der Leutascher Fischerei zu erfahren. Schon 1890 wurden hier aus einem Quellsumpf die ersten Teiche angelegt. Heute gehört das Areal Thomas Angerer, einem Tierarzt, der auf der "ganzen Welt mit Schweinen, Kühen und Pferden gearbeitet hat", wie er selbst sagt. Als Fachtierarzt für Fischkunde ist er seit 2004 Betreiber des viereinhalb Hektar großen Angelsees, von dem selbst im Winter ein kleiner Teil zugänglich ist, weil es keine Schonzeiten einzuhalten gilt. Selbständiger Fischfang ist zwar erst ab 14 Jahren erlaubt, jüngere Kinder sind in Begleitung aber ausdrücklich willkommen. Denn Angerer findet es "wichtig zu lernen, dass ein Lebensmittel auch einmal eine Kreatur war".

Zudem wird der Teich so dicht mit Fischen besetzt, dass normalerweise jeder die im Eintrittspreis von 22 Euro enthaltenen zwei Kilo an Land zieht. Man könnte sich nun lange fragen, ob es nicht paradox ist, Tiere erst in einen See zu entlassen, um sie dann wieder fangen zu können. Doch vor der Sinnfrage kommt erst einmal der Max, dem das Kakaotrinken doch zu fad war. Er tanzt über das Eis und wie von Geisterhand gelenkt an zwei Eislöchern vorbei. Dabei hatten die Saiblinge gerade so fleißig gebissen . . . da, schon wieder einer!

Max hat nicht vergessen, was zu tun ist: "Auf den Kopf hauen!" Sein Schlag ist ein nicht ganz waidmannsgerechtes Anklopfen. Tierarzt Angerer sagt schließlich auch: "Das ist ganz natürlich, dass Töten keine selbstverständliche Sache ist. Dass es am Anfang eine Hemmung gibt."

Beim Handeln dagegen gibt es keine Gewissensbisse. Nebendran steht ein etwas älterer Junge mit Rotznase und sagt: "Ich habe nur Forellen." Auf den ersten Blick könnte man meinen, er schaue ein wenig neidisch auf unsere sechs Saiblinge, aber Max und Teresa sehen natürlich, dass es in Wirklichkeit ein trauriger Blick ist. Max wird später sagen, das sei das Schönste an diesem Angelausflug gewesen: einen Saibling gegen eine Forelle zu tauschen.

SZ-Karte: Mainka (Foto: Mainka)

Die Fischerei Leutasch hat von 31.3. bis 1.11. täglich geöffnet. Im Winter ist Eisangeln witterungsabhängig von Fr. bis So. und feiertags möglich, Eintritt 22 Euro inklusive zwei Kilo Fang, jedes weitere Kilo 9 Euro. Fischverkauf und Angelverleih direkt am See. Weitere Infos unter www.gebirgsforelle.at

© SZ vom 23.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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