Wer auf Reisen ist, will oft am liebsten gar nicht mehr zurück. Zu sonnig, zu entspannt, zu lecker, zu aufregend ist es vor Ort. Aber wie fühlt sich ein Traumziel an, wenn man wirklich dort lebt? In unserer neuen Serie erzählen Einheimische, was sie an ihrer Stadt glücklich macht und was sie zur Weißglut bringt, wovon sie Gästen abraten und was für sie unverzichtbar ist. Insidertipps der etwas anderen Art also, zur Nachahmung beziehungsweise Vermeidung empfohlen. Diesmal: Kopenhagen.
Jens Frahm-Rasmussen, 47, Gründer der Beratungsagentur Work & Life Denmark für Ausländer, die nach Dänemark ziehen oder reisen
+ + + Ich liebe den freundlichen, manchmal etwas verrückten Unternehmergeist von Kopenhagen. Zum Beispiel, wenn ich in ein Café komme, für das arbeitslose Architekten eine Erdgeschosswohnung mit Ästen und Baumstämmen so umdekoriert haben, dass man sich wie im Urwald fühlt (Kaffe Istedgade). Wenn ein Lehrer aus Begeisterung für Bier das beste dänische Craft-Beer-Imperium aufbaut - samt Filialen im Ausland und einem Team, das sich zum Laufen und Biertrinken trifft (Mikkeler). Oder wenn der diskrete Hippie, der die "Flying Tiger"-Shops gegründet hat, einen beträchtlichen Teil seines Geldes nimmt, um eine ehemalige Kirche in ein Gemeindezentrum zu verwandeln und darin Aktivitäten wie Schwangerenyoga oder günstige Dinnerabende für Hunderte Leute zu veranstalten.
Ich glaube, all das kommt davon, dass wir in einem relativ reichen Wohlfahrtsstaat leben, in dem es weniger ums Geldmachen geht als um persönliche Interessen und Leidenschaften. Das unmittelbare Vertrauen, das man als Kopenhagener den anderen entgegenbringt, kann einen dazu bringen, Dinge zu tun, die auf den ersten Blick womöglich schräg wirken - aber tatsächlich viel Spaß und Gutes für alle bringen. + + +
- - - Was ich nicht mag: Nachdem Dänemark 400 Jahre lang Kriege und Territorien verloren hat, ist es ein sehr kleines und homogenes Land geworden. Das ist erst einmal gut, wenn es um Vertrauen geht, etwa wenn man im Sozialstaat hohe Steuern zahlt für Menschen, die man gar nicht kennt. Aber es bedeutet auch, dass wir nicht besonders gut im Umgang mit Fremden sind. Ja, wir sind grundsätzlich schon offen für andere Kulturen. Aber wenn wir das Gefühl haben, dass Neuankömmlinge sehr anders sind oder wir wegen ihnen unsere eigene Art ändern müssen, dann schrecken wir oft zurück - und das ist nicht besonders hilfreich. - - -
Astrid Maria Rasmussen , 34, freiberufliche Fotografin:
+ + + Das Beste an Kopenhagen: seine Radkultur. Mehr als die Hälfte der Einwohner radelt täglich zur Arbeit, also haben wir weniger Verkehr, weniger verschmutzte Luft und Lärm und große Straßen, die Leute sind gesünder... Für mich persönlich ist Radfahren eine der liebsten Arten, mit der Stadt und ihrer Lebendigkeit in Kontakt zu bleiben. Als Fotografin ist es ideal, um neue Motive zu entdecken. Und es macht schlicht und einfach glücklich.
Für Besucher ist Radfahren außerdem perfekt, um die Stadt zu erleben. Ich kann nur wärmstens empfehlen, so die Unterschiede zwischen den einzelnen Vierteln zu erkunden, unsere vielen schönen Fahrradbrücken oder den großen künstlichen Park am Amager Strand. Und dann ist da natürlich auch Kalvebod, eine gigantische Grünanlage zwischen weltberühmter Architektur in der Gegend von Ørestad. + + +
- - - Das Schlimmste hier: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Kopenhagener im Winter das Haus verlassen (obwohl wir natürlich auch dann noch der Disziplin Viking Biking nachgehen, also sogar in der heftigsten Eiseskälte radfahren). Aber die Winter sind lang und dunkel und so bleiben wir eher drinnen, wo es "hygge" ist, also gemütlich, und es finden in dieser Zeit kaum Events oder Festivals statt. Ich würde mir aber mehr Aktivitäten draußen wünschen, damit wir auch im Winter das Beste aus unserer schönen Stadt machen.
Richtig angezogen kann auch im Winter ein Bootsausflug durch die Kanäle, ein Besuch auf einem der vielen Weihnachtsmärkte oder besonders abends im Tivoli-Park etwas Magisches sein. Wir sollten besser darin sein, zu erkennen, dass es auch draußen "hygge" sein kann! - - -
Simon Söndergaard , 32, Gründer des Second-Hand-Ladens Buddha Bikes:
- - - Die Winter hier sind fürchterlich: grau, dreckig, dunkel, nass, windig, kalt und alle sind permanent deprimiert und genervt ohne erkennbaren Grund. - - -
+ + + Aber dann dieser Übergang, der sogar die schöne japanische Kirschblüte schlägt: Wenn Licht und Wärme im Mai oder Juni richtig einsetzen, sind die Stadt und die Leute von Glücksgefühlen erfüllt, die sich überall bemerkbar machen - als ob jede einzelne Seele in Kopenhagen plötzlich aus einem Schlaf aufwachen würde. Zwischen Tokio und Dar es Salaam in Tansania habe ich noch nie und nirgendwo eine ganze Stadt so glücklich aufblühen sehen wie Kopenhagen jedes Jahr in den ersten Sommertagen. + + +
Clara Aatoft , 25, freie Autorin ("Copenhagen Food"), Masterstudentin und Barista
+ + + Mein Oase ist Refshaleøen am Hafen. Über die Brücke, am Wasser entlang, unten bei den Docks. Dort, wo man nicht mehr vermutet, dass Kopenhagen überhaupt noch weitergeht. Eine raue blaue Perle zwischen Bürogebäuden und Baustellen. Vielleicht haben manche schon über Instagram oder Bekannte von dem Lokal "La Banchina" gehört, das Bio-Weine und kleine Gerichte anbietet. Aber ich habe das Geheimnis von "La Banchina" entdeckt: Weiter rechts am Wasser steht ein riesiges Fass - eine kleine Sauna! Mit Blick über den Hafen und bis zu einer schönen Marmorkirche im Hintergrund.
An dieser Stelle springe ich gerne ins Wasser und dann glücklich wieder zurück in die Hitze. Immer wieder - und zwar im Winter, Frühling, Sommer und Herbst. Danach ist immer Zeit für einen Morgenkaffee und eines der besten Croissants der Stadt. Wenn ich mit nassen Haaren und der heißen Tasse in der Hand am Dock sitze und daran denke, wie oft ich das in Zukunft noch machen werde, ist Kopenhagen wunderschön. + + +
- - - Ich glaube, wir neigen schon dazu, darüber zu jammern, wo wir leben, was wir tun... Trotzdem ist es gar nicht leicht für mich, etwas Negatives an meiner Stadt zu finden. Was mich wahnsinnig macht an Kopenhagen, kommt aus einer sehr privilegierten Sicht: Ich bin ein Mensch, der lebt, um zu essen und nicht umgekehrt - das heißt also auch Essengehen. Als freie Autorin/ Barista/ Studentin will ich auch mal an einem normalen Mittwoch gut und günstig auswärts essen, ohne ein Vermögen auszugeben. Und mit günstig meine ich etwas unter 100 Kronen, also weniger als 15 Euro. Dafür kriegt man zwar einen Kebab oder anderes Junkfood, aber ansonsten ist es sehr schwierig. Kopenhagen ist zwar berühmt für seine Food-Szene, aber ohne viel Geld in der Tasche kann man das nicht wirklich erleben - und das ist sehr schade. Die Stadt zeigt sich also von zwei total verschiedenen Seiten, je nach dem, ob man sich etwas leisten kann oder nicht. - - -