Ein Tag im Schnee:Von Stau bis Sturzflug

Endlich ist der Winter da - mit allem, was zu einem Tag im Schnee dazugehört: zu Fuß auf den Berg, die steile Rennstrecke hinab, Nachtrodeln über dem Schliersee und davor noch Après-Ski-Hits aushalten. In diesem Sinne: Disco! Pogo! Dingelingeling!

Im Stau stehen

Die A 8 ist eine der wenigen Autobahnen, denen sogar Popsongs gewidmet wurden. Von Chris Rea zum Beispiel, der singt: "Hier geht's nicht vorwärts, oh nein, das ist die Straße in die Hölle." Selbst die Staumelder der Hörfunkstationen schämen sich schon, samstagnachmittags mit der Wahrheit herauszurücken. Sie sprechen dann erst umständlich vom Kreuz München Süd, brummeln etwas von Richtung Salzburg, fügen die A 93 an und irgendwann hinten links noch die A 12 in Österreich - statt einfach gleich geradeheraus zu sagen, dass von Untergiesing bis ins Zillertal hinein quasi überhaupt nichts geht.

Doch kaum in den Skigebieten angekommen, verschwinden die Menschenmassen. Die Liftbetreiber tun alles, um die Skifahrer wegzuschaufeln. Die Gondeln und Sessel in Hochzillertal-Hochfügen beispielsweise schaffen 63.800 Personen pro Stunde - das entspricht der Bevölkerung einer mittelgroßen Stadt. Einen Ticket-Schnellservice wie in manchen anderen Skigebieten gibt es allerdings noch nicht.

Teils kann man seinen Tagespass schon ähnlich wie die Bordkarte fürs Flugzeug online bestellen und mit einem Zifferncode am Automaten ausdrucken. In Hochfügen steht man noch etwas Schlange und hat Zeit, darüber nachzudenken, was sich hier wirklich staut: die Lust, endlich einen Hang hinunterzucarven. Erst auf der neuen, gar nicht überlaufenen Piste, die den tiefverschneiten Marchkopf hinunterführt, ist endlich: alles gut.

Aufsteigen: Zahn bei Oberammergau

"Was für eine saudumme Frage!" Wer von Alfred Müller wissen will, weshalb er zweimal am Tag mit seinen Tourenskiern auf den Zahn bei Oberammergau steigt, bekommt schon mal eine herbe Antwort. Die ist nicht so gemeint, und außerdem liegt es ja auf der Hand, warum: Der tiefverschneite Wald, durch den es höher geht, die klare Luft, die schöne Aussicht - und schließlich muss er ja auch nach Brennholz in seinem Stück Wald schauen, das an der Aufstiegsroute liegt und in dem er sommers seine 15 Bergschafe weiden lässt.

Alfred Müller ist Bauer in Oberammergau, und wenn man auf den Zahn steigt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, ihm irgendwann zu begegnen. Falls man ihn nicht nur von hinten zu sehen bekommt. Denn er legt aufwärts ein beträchtliches Tempo vor auf seinen knallgelben Carbonskiern.

Dass er im August 80 wird, ist nur für ihn eine Randnotiz. Er trägt einen Pullover mit dem Schriftzug der Passionsspiele, bei denen er, "logisch!", mitmacht - schon seit 1950. 2010 war er für das Auf- und Zuziehen des Vorhangs zuständig. Auf dem Gipfel, den man mit ihm in flotten 1,5 Stunden erreicht, zeigt er einem die Berge und sagt: "Mich bewundern manche, aber die brauchen bloß selbst was zu tun!" Dann stößt er sich ab, schießt wie der Teufel den Gipfelhang runter und verschwindet im Wald. Er muss ja schließlich heute noch einmal herauf.

Schuss fahren: Rennstrecke im Bregenzerwald

Muss man einen Vollschuss haben, um voll Schuss zu fahren? Beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel erreichen Top-Fahrer Spitzengeschwindigkeiten von 140 km/h, beim Lauberhornrennen in Wengen sogar bis zu 160 km/h. Der Weltrekord im Schnellskifahren liegt bei 251 km/h, erzielt auf einer Speedski-Strecke in Les Arcs vom Italiener Simone Origone. Wie krass muss man wohl drauf sein, um auf Skiern so schnell den Berg hinunter zu rasen wie ein ICE? Einfach Hirn ausschalten und los?

"Ganz so leicht ist das nicht", sagt der ehemalige Skirennläufer Hubert Strolz, "bei einem Abfahrtslauf gehört auch ziemlich viel Kraft und Technik dazu." Wir stehen mit dem Olympiasieger von Calgary 1988 (Gold in der Kombination und Silber im Riesenslalom) am Start der Mess-Strecke in Strolz' Heimatort Warth im Bregenzerwald. Die Piste, auf der jedermann gratis seine Geschwindigkeit überprüfen kann, führt schnurgerade neben dem Körbllift einen Nordhang hinunter, der Schnee ist bretthart.

Strolz arbeitet als Skilehrer in Warth, und er erklärt gerne, worauf es ankommt beim Schnellfahren: "Kleinmachen, in die Hocke gehen, breit auf dem Ski stehen, und los geht's." Innerhalb von zwei Sekunden beschleunigt man auf der steilen Bahn unglaublich schnell, nach drei Sekunden pfeift der Fahrtwind um den Helm. Nach fünf Sekunden ist alles vorbei, man bremst schnaufend im Zielbereich ab und bleibt in einer Schneewolke stehen.

Ein Blick auf die elektronische Tafel: 82,4 km/h! Schneller muss wirklich nicht sein. Obwohl, warum eigentlich nicht? Geschwindigkeit kann Rauschgefühle verursachen.

Einkehren: "Tenne" in Hintertux

Draußen in der sternenklaren Nacht hat es minus 14,5 Grad Celsius, drinnen herrschen Temperaturen wie am Ballermann. Und Jürgen Eisbacher alias DJ Eisi heizt noch ein bisschen mehr ein in der Hohenhaus-Tenne: "Hey Leute, Party!" ruft er ins Mikrofon und spielt den "Atzenpogo" des Rappers Frauenarzt. Der Refrain "Disco! Pogo! Dingelingeling!" erzeugt schon nüchtern Kopfweh. Was er mit Menschen anrichtet, die nach ein paar Stunden an der dünnen Höhenluft ein paar Fassbiere und Willis tanken, lässt sich auf der Tanzfläche beobachten: Die Meute hüpft und grölt. Eisi ist trotzdem nicht ganz zufrieden.

Für einen Samstagabend könnte mehr los sein, findet der 24-Jährige mit dem Kinnpiercing und dem T-Shirt mit der Aufschrift "Hast Du Lust? Ich hab auch." Im Schnitt kommen 400 bis 500 Gäste pro Abend in die Tenne. Das vollrustikale, doppelstöckige Holzhaus an der Talstation der Hintertuxer Gletscherbahn ist einer der berüchtigtsten Après-Ski-Schuppen der Alpen. Auftrieb ist hier von Oktober bis Mai, täglich ab 10.30 Uhr. Und Frauen, die länger als eine Minute ohne Anbahnungsversuch bleiben wollen, müssen schon ihren Skihelm und die verspiegelte Sonnenbrille aufbehalten.

Neun von zehn Gästen sind Männer. Damit die Hitzewallungen nicht gar so groß werden, verzichtet der DJ auf allzu zotige Après-Reißer. Wer will, kann sich auch einfach am Bier festhalten und auf einen der großen Bildschirme starren, die im Raum hängen. Eine Live-Kamera zoomt rundherum bis in die letzten Winkel der Tenne und dokumentiert die bewährte Reiz-Reaktion: Tanzen macht durstig, Durst macht kontaktfreudig. DJ Eisi meint: "Après-Ski ist schon eine Klasse für sich."

Entspannen: Langlauf im Bayerischen Wald

In Passau sind die Wiesen noch grün und durchsetzt mit Maulwurfshügeln. Aber kaum fährt man hinter und hinauf in den Bayerischen Wald, ist es tatsächlich weiß. Langlaufen kann man hier, hinein bis in den Böhmerwald und durch den Nationalpark. Hunderte Kilometer, Hügel auf, Hügel ab durch Fichtenwald. Auch Monokulturen können ihren Reiz haben. Der lässt sich abseits der Loipe sogar noch schöner erkunden, im Tiefschnee, mit Schneeschuhen. Sehen die Förster zwar nicht unbedingt gern. Aber das Wild auf dem Haidel - dem Hausberg der Orte Freyung, Waldkirchen und Jandelsbrunn - zieht es im Winter ohnehin in tiefere Lagen, wo es gefüttert wird.

Im Hochwald indes biegen sich die Äste unter der Schneelast. Das Gehen ist entspannt: Niemand hetzt, niemand spricht. Bleibt man stehen, hört man: nichts. Nicht einmal den Wind, der vor dem Wald noch den Schnee herumgewirbelt hat, "gwachelt", wie sie hier sagen.

Am Abend fällt der Schnee dann sanfter, es "flinselt" nur noch, und über dem Hotpot schmelzen die Flocken in der Luft. Das Wasser im 600-Liter-Holzfass, das vor dem Zimmer steht, ist auf Körpertemperatur erwärmt, man kann Blubberblasen anschalten oder Licht, das von Blau über Lila zu Rot changiert. Das Blau ist nett, das Rot gewöhnungsbedürftig. Eher etwas für Paare im Pot. Also weg mit dem Licht, weg mit dem Sprudel. Stilles Wasser in stiller Nacht.

Noch einen draufsetzen: Rodeln am Schliersee

Der Mond scheint über die glitzernden Berge. Damit kann man auch nachts auf den unbeleuchteten Rodelbahnen am Spitzingsattel fahren, hoch über dem Schliersee. Bei der Ankunft stehen schon mehrere Autos auf dem Parkplatz. Doch kaum ist man auf dem Wanderweg, spielt das keine Rolle. Der kalte Schnee knirscht unter den Füßen, die Sterne leuchten aus dem klaren Nachthimmel, und die Autos wirken kilometerweit entfernt. Immer wieder blasen Windstöße feinen Schneestaub von den schulterhohen weißen Wänden, die eine Pistenraupe rechts und links des Rodelwegs aufgetürmt hat.

Und als sich schließlich der volle Mond hinter dem Taubenstein hervorschiebt und sein Licht vom Schnee reflektiert wird, wirken die Berge verwunschen. Auf der Oberen Firstalm schlägt dann die Zivilisation zurück: Eine Männergruppe misst sich im Maßkrugstemmen. Während zwei von ihnen ihre Bierkrüge möglichst lange weit vor ihre Bäuche strecken, feuert sie der Rest der Bande so laut an, dass vor der Hütte fast die Eiszapfen von der Dachrinne brechen.

Doch auch der Klamauk der Muskelmänner trägt eher zur Erheiterung bei, und spätestens bei der Abfahrt mit den Schlitten ins verschneite Tal wirkt der nächtliche Ausflug so erholsam wie ein längerer Urlaub.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: