Skigebiete in den Alpen:Ein Tag im Schnee: Reit im Winkl

Skigebiete in den Alpen: Wer auf die Skier starrt, zahlt die Schnäpse: Einige Eigenarten hier sollte man kennen - oder einfach die Blicke von der "Panorama-Loipe" genießen.

Wer auf die Skier starrt, zahlt die Schnäpse: Einige Eigenarten hier sollte man kennen - oder einfach die Blicke von der "Panorama-Loipe" genießen.

(Foto: imago)

Viele Gäste kommen wegen der Stille. Doch das bayerische Dorf bietet nicht nur Ruhe, sondern Überraschungen hinter jeder Loipenkurve.

Von Florian Sanktjohanser

1. Die Kunst des Wachsens

9.03 UhrAndi Mühlberger versucht, sich kurz zu fassen. Aber "das Wachsen ist ein weites Feld", doziert der 46-jährige Besitzer des Sportgeschäfts Dorner vor einer Wand voller Dosen, Flaschen, Kartons. Zuerst müsse man unterscheiden zwischen der Skipflege mit Sprühdose oder Cremestift und dem echtem Wachsen mit Bügeleisen. Und dann müsse man sich die jeweilige Steighilfe des Langlaufskis anschauen: Schuppen, Fellstreifen oder Zero-Ski. Jede brauche andere Pflegeprodukte. Mühlberger selbst wachst seine Skier vor jedem Laufen nach alter Manier. "Aber wer kein Handwerker ist, sprüht am besten. Morgens auftragen, mit einem Lumpen polieren, fertig."

2. Atmen unter der Hexe

9.44 Uhr - Eigentlich waren neun Stunden Sonne vorhergesagt, aber jetzt hängen die Wolken tief im angezuckerten Bergwald. Im Langlaufstadion ist es trotzdem voll, hier beginnen die meisten Loipen und Winterwanderwege. Marlies Speicher, 49, startet den Tag mit der Wellness-Loipe. "Die habe ich mir ausgedacht", sagt die Langlauflehrerin. Ein Rundkurs mit elf Tafeln wie ein winterlicher Trimm-Dich-Pfad. "Damals habe ich dafür einen Faschingswagen bekommen." Speicher lacht über den Spott im Dorf und erklärt ihre drei Technik-Tricks: "Gewicht mittig auf den Ski bringen, nach vorne schauen und die Goldmedaille herzeigen." Also Brust raus, und wer auf die Skier starrt, zahlt einen Schnaps. Sie läuft voraus und biegt in den Märchenwald ab. In den Bäumen hängen König und Prinzessin. Unter der Hexe stoppt Speicher. "Schultern hängen lassen, Augen schließen, tief ein- und ausatmen." Dafür kämen viele Gäste, sagt sie: wegen der Stille.

3. Die Sagen vom Braten und vom See

11.02 UhrEin roter Shuttlebus bringt die Gäste auf die Hemmersuppenalm, betrieben wird der Bus vom geschäftstüchtigen Wirt der dortigen Hindenburghütte. Hier, auf 1260 Metern Höhe, gebe es den besten Schweinsbraten, sagt Marlies Speicher, die Jungs aus dem Dorf verabredeten sich dafür "bei der Sissi". Für Braten ist es eindeutig zu früh, erst geht es auf den Panoramaweg. "Eigentlich sieht man von hier klar den Chiemsee, mit den Schiffen drauf", versichert Speicher am Start. Heute reicht die Aussicht nur bis zu den nächsten Bäumen. Aber zumindest sind die hübsch in Schnee eingepackt.

Skigebiete in den Alpen: Viele Gäste kämen wegen der Stille, sagt die Langlauflehrerin Marlies Speicher. Heute führt sie durch den verzuckerten Wald.

Viele Gäste kämen wegen der Stille, sagt die Langlauflehrerin Marlies Speicher. Heute führt sie durch den verzuckerten Wald.

(Foto: Florian Sanktjohanser)

4. Rast am goldenen Jesus

12.34 UhrAn der St.-Anna-Kapelle trifft der Weg wieder auf die Panoramaloipe. Auf der Bank unter dem goldenen Jesus rasten Wanderer und Langläufer. Speicher erzählt, dass ihr Ururgroßvater die Kapelle 1906 zusammen mit Freunden gebaut hat. "Aus Dankbarkeit." Ebenso empfanden hier oben wohl die Sennerinnen, die das freie Leben ohne die Bevormundung durch die Männer genossen.

5. Im Wirtshaus zum Musikanten

13.10 Uhr Kein Schweinsbraten heute. Aber Sissi hat einen wunderbaren Ersatz gekocht: Hirschgulasch mit Knödel. Günter Dirnhofer setzt sich mit an den Tisch, ein vierschrötiges Mannsbild in grüner Lodenweste, wie gecastet für die Rolle als Hüttenwirt. Dirnhofer, 52, weiß sich zu vermarkten. An der Wand hängt sein Porträt, er im Hermelin des Märchenkönigs. Wenn Microsoft & Co. zum Firmenevent mit Gaudi-Biathlon und Lagerfeuer anrücken, spielt der Wirt mit seinen beiden Söhnen auf. Und ansonsten auch, "bis zu achtmal pro Woche", sagt er. "Wir machen in der vierten Generation zusammen Musik." Auf der Toilette hängen übrigens Tenorhörner als Pissoir.

Auf in Gold-Rosis Revier

6. Abfahrt mit Sohlenbrennen

14.11 Uhr Der Wirt hat seinen Fahrern über Funk Bescheid gesagt, trotzdem fühlt sich die Schlittenfahrt über die Straße hinab gefährlich an. Rasant schlingert der Schlitten talwärts, selbst wenn man beide Schuhe fest auf den Schnee drückt, bekommt man ihn kaum zum Stehen. Die Oberschenkel brennen, die Sohlen auch.

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In der Serie "Ein Tag im Schnee" testet die SZ Skigebiete.

7. In Gold-Rosis Revier

14.47 Uhr In der Gondel vom Seegatterl zur Winklmoosalm begegnet einem die legendäre Rosi Mittermaier, in Abfahrtshocke auf einer goldenen Kabine. Die Gold-Rosi sei hier immer noch eine "absolute Sympathieträgerin", sagt Marlies Speicher, obwohl sie längst in Garmisch lebt. Ab und zu schaut Rosi nach dem Hof auf der Winklmoosalm, auf dem sie aufgewachsen ist.

8. Vom Schlagbaum zum Bremsbaum

14.56 Uhr Was es hier oben alles zu sehen gäbe! Marlies Speicher schwärmt von Geigelstein, Loferer Steinbergen und Wildem Kaiser. Besonders schön sollen die Aussichten auf der Grenzland-Loipe sein, von den Einheimischen der Einfachheit halber "die Fünfer" genannt. Heute bleibt es bei der Waschküche. Die Fünfer ist trotzdem bildschön. Die Spur führt von den Liften des Skigebiets hinein in den Schneewald. Nach ein paar Hundert Metern steht ein Schlagbaum an der Loipe, dahinter ein Schild "Staatsgrenze". Auf österreichischer Seite gibt es nochmals eine Technik-Lektion. "Beim Aufstieg kurze Sprungschritte und den Oberkörper aufrecht", sagt Speicher, "als hätte man einen Besen verschluckt." Vom Bremsen sagt sie nichts. Und so endet die Abfahrt nach der Kurve an einem Baum, der aber sanft bremst. Ganz auf die reit-im-winklerische Art.

9. Leopard auf Ozelot

17.08 Uhr Die Kaiserin von Persien wusste, wie man auf der Piste auffällt. Einfach die Skier mit Ozelotfell bespannen, die Schuhe mit Leopardenfell überziehen und die Bindung vergolden lassen. Das Bling-Ski-Ensemble von Farah Pahlavi steht heute an einem recht unglamourösen Ort: in der Grundschule von Reit im Winkl. Wer es während der kurzen Öffnungszeiten ins dortige Skimuseum schafft, wird umso beeindruckter sein von der Sammlung. An den Wänden hängt alles, von kurzen Fassdauben bis zum 3,85 Meter langen nordischen Ski, vom Lederschuh bis zum Bambusstock. Und natürlich der Ski, mit dem Gold-Rosi 1976 bei Olympia siegte.

10. Ein Fisch wie das Dorf

17.57 Uhr Das Après-Ski-Spektakel hat man in Reit im Winkl schon verpasst, wenn man am Glühweinstand vor dem Rathaus vorbeigeht. Aber im Wirtshaus Dorfratsch gibt es ohnehin Besseres als Schlager und Gesöff. Die Forelle Müllerin aus dem heimischen Weiher - für anständige 13,80 Euro - wäre auch ohne Skifahrer-Heißhunger eine Delikatesse. Der Fisch ist sozusagen wie das Dorf: unprätentiös, aber geschmackvoll. Und für Sonne und Aussicht muss man eben ein anderes Mal wiederkommen.

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