Ehemalige Colonia Dignidad in Chile:Urlaub im Dorf der Angst

In der Colonia Dignidad missbrauchte und quälte Sektenchef Paul Schäfer Kinder, hier wurden chilenische Regimegegner gefoltert und ermordet. Nun versuchen die Nachkommen der Sektengemeinschaft einen Neuanfang mit einer heilen Urlaubswelt in der "Villa Baviera", dem bayerischen Dorf.

Katja Schnitzler

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Aus Colonia Dignidad wird ein Touristenort: Villa Baviera

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In der Colonia Dignidad missbrauchte und quälte Sektenchef Paul Schäfer Kinder, hier wurden chilenische Regimegegner gefoltert und ermordet. Nun versuchen die Nachkommen der Sektengemeinschaft einen Neuanfang mit einer heilen Urlaubswelt in der "Villa Baviera", dem bayerischen Dorf.

Die Landschaft südlich der Hauptstadt Santiago de Chile ähnelt durchaus bayerischen Gefilden - mit dem kleinen Unterschied, dass dort aus einigen Vulkanen Rauchwolken aufsteigen. So ist der Plan, in einer deutschen Siedlung Urlauber mit bayerischem Flair anzulocken, auf den ersten Blick nicht allzu verwunderlich. Das Dorf nennt sich "Villa Baviera". Die Rechnung mit dem Idyll könnte auch glatt aufgehen, wäre da nicht die dunkle Vergangenheit: "Villa Baviera" wurde einst als "Colonia Dignidad" weltweit bekannt. Sektenchef Paul Schäfer missbrauchte hier die Kinder seiner hörigen Anhänger, die chilenische Diktatur nutzte die abgeschottete Siedlung, um Regimegegner zu foltern und zu ermorden.

Nun ringen Nachkommen der Sektenmitglieder, die getrennt von ihren Eltern in einem System der Unterdrückung aufwachsen mussten, um einen Neuanfang südlich von Parral in der chilenischen Región del Maule. Doch der Spagat zwischen grausamer Vergangenheit und einer einträglichen Zukunft ist schwierig.

Spielhaus nahe einem Hotel in Villa Baviera, früher Colonia Dignidad

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So legt die Gemeinschaft auf der Homepage von Villa Baviera einerseits in einer "öffentlichen Erklärung an unsere Mitbürger in Chile und Deutschland" dar, wie es zu den Untaten in der Colonia Dignidad kommen konnte, wie Paul Schäfer manipulierte und damit seine Anhänger missbrauchte. Andererseits feiert sie auch "50 Jahre Comunidad de Villa Baviera - 1961 bis 2011" auf der Website in deutschen Nationalfarben. Fast vier Jahrzehnte lang prägte die Unterdrückung durch Paul Schäfer die spätere "Villa Baviera", bevor er 1996 untertauchen musste und 2005 verhaftet wurde. Zu dieser Zeit benannten die Kolonisten ihre nun weltweit verrufene Heimat in "bayerisches Dorf" um - schließlich wird das idyllische Bayern im Ausland oft mit ganz Deutschland gleichgesetzt. 2010 starb Schäfer mit 88 Jahren im Gefängnis.

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Auch wenn heute Elektrozäune, Mauern und Bewegungsmelder abgebaut sind und keine Wachen mehr patrouillieren, das Erbe des kriminellen Sektenchefs prägt die Gemeinschaft bis heute. So berichtete das psychotherapeutische Team, das die verbliebenen etwa 200 Mitglieder in der Kolonie im Jahr 2005 betreute: "Wir waren zuvor Zeugen von Menschenrechtsverletzungen unter der Militärdiktatur Pinochets geworden, aber eine derartige Gemeinschaft war uns noch nie zu Augen gekommen. Mitunter hatten wir den Eindruck, das alles könne und dürfe nicht wahr sein. Der Grund für unsere Bestürzung lag in den zutiefst abnormen und menschenverachtenden Herrschafts- und Gehorsamsstrukturen."

Ein Gruppenbild aus früheren Zeiten hängt in einem Hotel in Villa Baviera.

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Mit falschen Versprechungen hatte Sektengründer Paul Schäfer seine Anhänger in die 1961 gegründete Colonia Dignidad gelockt, um dort ein "urchristliches Leben" zu führen. In Wirklichkeit hatte die Staatsanwaltschaft damals in Deutschland Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs gegen Schäfer aufgenommen. Auf dem etwa 30.000 Hektar großen Gebiet etwa 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile arbeitete die Sektengemeinschaft vorgeblich für eine bessere Welt, errichtete ein Krankenhaus, das auch der armen einheimischen Bevölkerung zugutekommen sollte. Doch nicht alle Kinder wurden wieder aus der Colonia nach Hause gelassen. Im Hospital wurden zudem nicht nur Patienten behandelt, sondern auch Kinder mit Elektroschocks gequält.

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Sektenchef Paul Schäfer (hier in Polizeigewahrsam 2005) predigte gegen "Fleischessünden", separierte Männer, Frauen und Kinder, verbat Freundschaften, Liebesbeziehungen und Hochzeiten und führte ein Prinzip der gegenseitigen Denunziation ein: Er selbst war der oberste Beichtvater. So wuchsen die Kinder ohne Beziehung zu ihren Eltern im Kinderhaus auf, in dem auch Schäfer wohnte - und Jungen missbrauchte. Strafverfolgung musste er dafür lange nicht fürchten. Während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet nutzte der Geheimdienst die entlegene Siedlung, um dort Oppositionsmitglieder zu foltern und für immer verschwinden zu lassen.

Aus Colonia Dignidad in Chile wird Touristenort Villa Baviera

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Nach dem Ende der Colonia Dignidad, des "Staates im Staat", kehrten etwa 100 ehemalige Sektenmitglieder nach Deutschland zurück zu ihren Wurzeln nördlich von Düsseldorf. Doch etwa 200 Menschen blieben da und versuchten mit psychologischer Unterstützung, ihre Gemeinschaft neu aufzubauen und sich in die chilenische Gesellschaft zu integrieren, anstatt sich wie bisher abzuschotten.

Boulevard in Villa Baviera

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So heißt es in der öffentlichen Erklärung der Gemeinschaft: "Mit der Flucht Paul Schäfers aus dem Land und seiner späteren Verhaftung durch die Behörden begann für die Bewohner von Villa Baviera ein schwieriger und schmerzhafter Prozeß, dessen Ziel es war, die Wahrheit der Geschehnisse zu ergründen, die sich in unserer Gemeinschaft im Lauf der Zeit ereignet hatten; festzustellen, was die Ursache solch leidbringender Ereignisse war, ein friedliches Zusammenleben und die gegenseitige Vergebung unter den Bewohnern von Villa Baviera zu erlangen, und uns zu bemühen, uns in das normale Leben und die Toleranz einzugliedern, die das Leben der chilenischen Gesellschaft ausmachen."

Kinder von deutschen Kolonisten bei der Eröffnungsfeier eines neuen Hotels in Villa Baviera

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So wurden Familien wieder zusammengeführt, die in strikter Trennung gelebt hatten und deren bisheriges Leben aus oft 16-stündigen, unbezahlten Frondiensten für die Sekte bestand. Heute "hat eine neue Generation die Führung übernommen, die die Schatten der Vergangenheit hinter sich lassen will", heißt es auf der Webseite. Inzwischen führt die Siedlung ein deutsches Restaurant nahe Bulnes und empfängt Urlauber in der Siedlung, die sich nun mit Geranien und Hirschgeweih einen bayerischen Anstrich gibt, auch wenn vor dem Hotel Baviera eine Palme wächst. Die deutschen Einwanderer haben mit Bayern eigentlich wenig zu tun, die meisten stammen aus Nordrhein-Westfalen. Doch im Ausland wird "Bayern" mit oberbayerischen Landschaften, Bier und Oktoberfest gleichgesetzt, so dass die "Villa Baviera" werbewirksam ein Idyll verspricht. Ob das angesichts der nicht allzu lang zurückliegenden Schrecken funktionieren wird, werden die Urlauber entscheiden.

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Für Kinder stehen nun Spielfahrzeuge und Trampoline bereit, für Erwachsene werden zum Beispiel Ausritte, Trecking- oder Montainbike-Touren in die Wälder der Umgebung angeboten.

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Zudem produziert das Dorf unter der Marke "Villa Baviera" Schinken, Gebäck und Torten für den chilenischen Markt, die Restaurants werben mit deutscher Küche und deutschem Bier. Auch früher schon gab sich die "Colonia Dignidad" den Anschein eines "deutschen Musterbetriebs", der allerdings auf fast sklavenartiger Arbeit der Sektenmitglieder beruhte. Heute, in "Villa Baviera", sollen Schein und Wirklichkeit übereinstimmen.

© Süddeutsche.de/dd/rus
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