Süddeutsche Zeitung

Outdoorsport in den Alpen:Und jetzt kommen auch noch die E-Biker

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Der Boom der elektrischen Mountainbikes führt zu neuen Konflikten in den Alpen. Aber ist ein Radler, der seine Muskeln benutzt, besser als einer, der sich vom Motor helfen lässt?

Von Dominik Prantl

Diesen Sommer fand im Bayerischen Landtag eine Diskussion mit dem Titel "Nachhaltiger Tourismus oder Ausverkauf der Alpen" statt. Mit dem Thema verhält es sich wie mit einem Irrgarten; es gibt unendlich viele Sackgassen, und meistens bleibt man mittendrin stecken, ohne auch nur ansatzweise ein Ziel zu sehen. Doch so sehr konnte sich die Diskussion gar nicht verlaufen, dass sie nicht immer wieder zu einem Punkt zurückgefunden hätte: dem E-Mountainbiker.

Oder vergangene Woche. Da übergab das bayerische Umweltministerium dem Deutschen Alpenverein (DAV) einen Förderbescheid für das Projekt "Bergsport Mountainbike - nachhaltig in die Zukunft". 250 000 Euro vom Land und 108 000 Euro vom DAV werden in den nächsten drei Jahren in den Versuch fließen, Frieden zwischen Radlern und Wanderern herzustellen. In den Pilotregionen Oberallgäu und Bad Tölz sollen Modellkonzepte mit Wegen, Beschilderungen und Datenerhebungen erarbeitet werden. Der Konflikt zwischen Zweibeiner und Zweiradler erhielt zuletzt aber neuen Zündstoff.

Schuld daran: der E-Mountainbiker. Für Menschen, die schon im Mountainbiker den fünften Reiter der Apokalypse wittern, ist der E-Mountainbiker - zumindest den aktuellen Debatten zufolge - so schlimm wie die Reiter eins bis vier zusammen. Gilt er doch als eine mit Elektromotor ausgestattete Mutation unter den Bergsportlern, eine nachhaltige Bedrohung für die Bergwelt mit jeder Menge Erregungspotenzial für alle Wutbergler. Hanspeter Mair spricht davon, im Rahmen des Projekts Bergsport Mountainbike endlich "Dialogprozesse zu führen" und "aufeinander zuzugehen". Alle Betroffenen vom Förster über den Almbauern bis zum Radler sollen im Rahmen des Projekts eingebunden werden, um Verhaltensregeln und Lenkungsmaßnahmen für ein harmonisches und naturverträgliches Nebeneinander zu erstellen. Mair ist Geschäftsbereichsleiter Alpine Raumordnung des DAV. Der hat sich nicht nur zum weltgrößten nationalen Bergsteigerverein entwickelt, sondern auch zum weltgrößten Sammelbecken für Klagen in allen Bergangelegenheiten. Mair meint: "In Beschwerdebriefen an den DAV beklagen sich die Wanderer über Mountainbiker. Und jetzt steigert sich das durch die E-Mountainbikes noch."

Nicht einmal Sportler wie Felix Neureuther und Alexander Huber schämen sich ihrer E-Bikes

Dabei ist noch nicht einmal ganz klar, wer diese E-Biker eigentlich genau sind, und wenn ja, wie viele. Auch Mair spricht erst einmal nur "von dem Gefühl und der persönlichen Wahrnehmung, dass sich immer mehr an ihnen stören". Unbestritten ist jedenfalls, dass E-Bikes als Fortbewegungsmittel immer stärker gefragt sind. Während nach Zahlen des deutschen Zweirad-Industrie-Verbandes 2017 beispielsweise nur noch 3,13 Millionen herkömmliche Fahrräder und damit neun Prozent weniger als im Jahr davor abgesetzt wurden, stieg der Verkauf der Fahrräder mit Elektroantrieb im gleichen Zeitraum um 20 Prozent auf 720 000. Rund 155 000 davon waren Mountainbikes, womit mindestens jedes dritte neu verkaufte Bergrad über einen elektrischen Antrieb verfügte. Dabei gilt der Markt - ob nun am Berg oder im Tal - lange nicht als gesättigt. Für 2018 wird ein ähnliches Wachstum erwartet.

Der stets nach der nächsten Innovation geifernden Sportartikelindustrie kann das nur recht sein. Kostet doch ein E-Mountainbike im Schnitt etwa dreimal so viel wie eines ohne Akku und erschließt dazu eine Klientel, die sich bislang nicht an kilometerlange Steigungen auf Forststraßen traute. Zu den Profiteuren zählen aber auch viele Alpenregionen, die den E-Mountainbiker keineswegs nur dulden, sondern aktiv bewerben. Die Kitzbüheler Alpen und das Kaisergebirge schließen sich dafür zur "E-Bike-Welt" zusammen, Schladming und Dachstein firmieren unter dem Begriff "E-Bike-Region", und St. Anton feiert das "E-Bike-Fest". Selbst Spitzensportler wie Steilwandfex Alexander Huber oder Steilhangfuchs Felix Neureuther schämen sich keineswegs mehr, stromunterstützt in die Pedale zu treten.

Was also ist eigentlich genau das Problem dabei?

Ein Anruf bei Hüttenwirt Andreas Ruech. Das von ihm bewirtschaftete Karwendelhaus liegt auf der wahrscheinlich beliebtesten Mountainbike-Tagestour der Ostalpen, dem in jeder Hinsicht fantastischen Klassiker namens Karwendelrunde. Wer zuletzt an einem schönen Sommertag die Forststraßen-Serpentinen zum Karwendelhaus hinauffuhr, wurde etwa im Dreiminutentakt von E-Bikern überholt. Gegen die hat Hüttenwirt Ruech im Grunde gar nichts. Unter ihnen sind ja auch einige ältere Stammgäste, die ohne größeres Schweißvergießen oder gar eine ungesunde Herzfrequenz zu ihm hochstrampeln und damit den Umsatz auf der Hütte ankurbeln. Er stellt ihnen zwar keine Ladegeräte zur Verfügung, wohl aber den Strom zum Aufladen der Akkus. "Wir haben dank Wasserkraft auf der Hütte ja genug davon", meint Ruech. Aber manchmal wundert er sich dann doch, welche Kundschaft die Gefährte bei ihm abliefern. Da sind zum Beispiel jene Gäste, "die vorher nie auf Berge gekommen wären", und die, wenn man Ruech richtig versteht, unter Bergunterkünften eher Hotels mit Wellnessbereich und Barbetrieb verstehen als Hütten mit Matratzenlager und Brettspielen. Bei vielen jungen, offensichtlich kerngesunden Menschen im besten Sportleralter frage er sich: "Muss das sein, dass die da jetzt mit dem E-Bike hochfahren?" So wirklich öko ist der Antrieb ja schließlich nicht. Immer öfter entfalle auf der Hütte zudem die für Aufräumarbeiten oder zum Durchschnaufen genutzte ruhige Phase am Vormittag, weil die E-Biker die Strecke aus dem Tal so schnell zurücklegen.

Die ungewöhnlich fixe Bergauf-Hatz führt gleichzeitig zu einem Ärgernis, das nichts mit Befindlichkeiten eines Hüttenwirts zu tun hat. "Beim Runterfahren muss ich inzwischen aufpassen, dass nicht ein Radler beim Hochfahren um die Ecke flitzt", so Ruech. DAV-Mann Mair sieht in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem: "Viele E-Biker beherrschen ihr Rad nicht richtig, weil sie gar nicht aus dem Radsport kommen." Da bei einem E-Bike wegen des Antriebs auch deutlich mehr Gewicht um die Kurve zu bringen ist, ändert sich das Fahrverhalten. Es wundert daher wenig, dass laut Unfallstatistiken vor allem Senioren auf den schnellen, schweren E-Bikes als besonders gefährdet gelten.

Es geht nicht nur um sachliche Gründe. Es geht auch um die Tempohoheit am Berg

Ruech hat noch etwas anderes festgestellt: "Ich hatte den Eindruck, dass sich Wanderer und E-Biker mittlerweile eigentlich ganz gut miteinander abgefunden hatten. Die Negativstimmung sehe ich jetzt eher zwischen Mountainbikern und E-Bikern." Tatsächlich scheint es oftmals weniger um sachliche Gründe zu gehen als um eine Art Geschwindigkeitshoheit am Berg. Das ist vor allem jenen besonders wichtig, die in der Tempohierarchie bislang ganz oben standen, zum Teil jahrelang Muskeln, Herz und Lunge trainierten, um nun an der Forstweg-Rampe von einem übergewichtigen Bürohengst mit dem Gefühl stehen gelassen zu werden: Es geht auch schneller.

Der E-Biker verändert damit auch die alten, festgefahrenen Konfliktlinien, die bipolare Ordnung am Berg gewissermaßen. Der kleinste gemeinsame Nenner aller anderen liegt mittlerweile darin, dass den E-Biker bei Bedarf jeder einigermaßen doof finden kann. Der Mountainbiker Mair erlebte beim Passieren einiger Wanderer bereits ein komplett neues Gefühl: Wertschätzung, gepaart mit Bewunderung. "Die sagten zu mir: Das ist ja mal wieder ein Richtiger!"

Denn anders als der Muskelmountainbiker stört der E-Biker all jene, die mit der Grundhaltung unterwegs sind, man müsse dem Berg zwingend mit eigener Kraft beikommen. Für Elektro-Alpinisten, die zweimal im Jahr in den Alpen unterwegs sind, mag es völlig egal sein, wie man Hütten und Almen ansteuert. Gerade für Naturschützer aber geht es um die entscheidende Frage, wie viel technische Unterstützung erlaubt ist, um die Grenzen der Schwerkraft zu überwinden. Das E-Mountainbike ist da so etwas wie die Ausweitung des verpönten Liftbetriebs mit anderen Mitteln.

Die Frage ist, wie es weitergehen wird. Mit Verboten? Geschwindigkeitsbeschränkungen? Dreigeteilten Forststraßen? Und wer sagt eigentlich, dass die Wanderer jetzt auch noch dem E-Mountainbiker im Weg rumstehen dürfen? Mair sagt: "Wir setzen auf Aufklärung und Einsicht."

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Quelle:
SZ vom 27.09.2018
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