Dresdner Hütte im Stubaital:Chamäleon am Berg

Alpenverein und Skigebiete passen normalerweise so wenig zusammen wie Umweltschutz und Schneekanonen - nur nicht bei der Dresdner Hütte mitten im Gletscherskigebiet: Sie verwandelt sich im Winter zum Ibis-Hotel der Berge.

Dominik Prantl

Dieser Beitrag ist erschienen am 10. November 2011. Wir haben die Übernachtungspreise und Kontaktdaten aktualisiert. Darüber hinaus ist der Text unverändert.

Dresdner Hütte im Stubaital

Dies ist keine Fotomontage, sondern eine Reminiszenz an die Hüttenbesitzer. Auf der Rückseite steht die Entfernung zur tatsächlichen sächsischen Landeshauptstadt: 509 Kilometer.

(Foto: Prantl)

Noch ist der Winter auch im hinteren Stubaital nicht angekommen, dabei sollte er um diese Zeit doch schon längst da sein. Die Gondelbahn schaufelt dennoch unablässig Menschen mit Snowboards und Skiern durch gelb-braune Hänge weit hinauf ins Gletscherskigebiet. Dort tummeln sich erstaunlich viele Unbeirrbare.

Einige von ihnen rutschen die künstliche weiße Schneise hinab bis zur Mittelstation Fernau auf immerhin noch 2300 Metern. Unweit der Mittelstation trabt ein Bergläufer in luftiger Kleidung an einer Hütte vorbei, das Thermometer an dem Steingebäude zeigt acht Grad Celsius. Und als wäre das alles noch nicht absurd genug, passiert der Mann in Turnschuhen auch noch ein Ortsschild mit dem Hinweis "Landeshauptstadt Dresden".

Die Dresdner Hütte liegt dieser Tage irgendwo jenseits der Jahreszeiten, hängt außerplanmäßig fest zwischen Pistengaudi und Wandertourismus. Selbst während dieser Übergangsphase kommen zahlreiche Besucher, denn die Hütte hat fast immer etwas zu bieten und nur wenige Wochen im Frühjahr und Herbst geschlossen. Sie passt sich ihrer Umgebung an, ist das Chamäleon unter den Bergunterkünften.

Schon ein Blick ins Hüttenbuch offenbart einen radikalen Wandel. Bis September haben die Gäste pflichtbewusst notiert, woher sie kommen und wohin sie gehen werden. Das sind die Aufzeichnungen der Weitwanderer und Alpinisten. Ab Oktober werden die Einträge lückenhaft, unübersichtlich und häufig albern. Sie stammen von den Freunden der gepflegten Piste.

Für eine Alpenvereinshütte ist eine solche Doppelrolle ungewöhnlich, denn Alpenverein und Skigebiete passen normalerweise so wenig zusammen wie Umweltschutz und Schneekanonen. "Aber eigentlich ist es gar nicht so schwer", meint Hansjörg Hofer, der Hüttenpächter.

Ansturm nach dem Mauerfall

Die Gruppen kommen ja klar getrennt hier an. "Im Winter sind Alpinskifahrer das Stammpublikum, im Frühjahr kommen einige Skitourengeher und im Sommer vor allem Wanderer und Bergsteiger." Entsprechend breit gefächert ist auch das Angebot der näheren Umgebung. Im Rücken der Hütte mit der hauseigenen Après-Ski-Bar surren die Skilifte.

Eine Viertelstunde Fußweg in die entgegengesetzte Richtung, vorbei am Mini-Kinderspielplatz, liegt das Klettergebiet mit Routen vom 3. bis zum 7. Schwierigkeitsgrat und mehreren Klettersteigen. Der Stubaier Höhenweg ist die Anbindung an die Nachbarhütten.

Die Evolution der Chamäleonhütte führt auch in die Historie der Dresdner Alpenvereinssektion. Bereits 1875, nur zwei Jahre nach Gründung der Sektion, wurde die alte Dresdner Hütte unweit des heutigen Standorts errichtet und bot etwa einem Dutzend Bergsteigern Platz. Sie war die erste Schutzhütte im Stubaital, aus dem die Bewohner zu jener Zeit in Massen flüchteten und zwar in die bessere Jobs verheißenden Städte.

So tauschten Dresdner und Stubaier gewissermaßen die Plätze, und offenbar gefiel es manchem Sachsen hier. Denn nach nur zwölf Jahren wurde der erste Bau zu klein und das Nachfolgermodell an der jetzigen Stelle errichtet. Der alpine Skilauf war zu dieser Zeit im Alpenraum noch nicht einmal wirklich bekannt.

Das Gletscherskigebiet eröffnete erst viele Jahre später, 1973, und es lockte eine völlig neue Klientel in den hintersten Winkel des Stubaitals. Die Dresdner Sektion lebte zu jener Zeit im Exil. Die Teilung Deutschlands hatte nicht nur die Verbindung zwischen Hütte und der Patenstadt gekappt - auch die nach dem Krieg aus dem Vereinsregister gelöschte Sektion durfte in der DDR nicht wiederbelebt werden.

30 in der Bundesrepublik Deutschland verstreute Mitglieder aus Sachsen hatten die Dresdner Sektion 1953 schließlich neu gegründet: in Wuppertal. Nachdem die Mauer gefallen war, fand "ein wahrer Ansturm auf die Hütte statt", erinnert sich Claus Lippmann.

Der Vorsitzende der Sektion Dresden nennt das Skigebiet "Fluch und Segen", weil die Seilbahnen Kundschaft herangondeln, aber eben auch den Charakter der umliegenden Berge verändern, sie vor allem im Sommer mit ihren Stahlseilen und Masten geradezu entstellen. Die Hütte blieb für Lippmann dennoch immer "das Herz unserer Sektion, ein Identifikationspunkt". Sie war auch in schwierigen Zeiten eine Konstante und mit ihr die Pächterfamilie Hofer aus dem Stubaital.

Hochsaison statt Schließung

1908 hatte Hansjörgs Urgroßvater die Dresdner Hütte übernommen - und die Familie gab das gute Stück nicht mehr aus der Hand. 14 der 15 Umbauten und Erweiterungen verteilen sich auf die vier Hofer-Generationen, und man darf annehmen, dass der Jüngste aus der Dynastie nicht unglücklich über das angeschlossene Skigebiet ist: "Früher war die Hütte von Oktober bis Februar geschlossen. Heute machen wir in dieser Zeit einen Großteil des Umsatzes."

Wenn der Schnee bis zur Hütte reicht, stehen die Skifahrer zur Mittagszeit an der Essensausgabe Schlange, voll besetzte Bierbänke reihen sich an schönen Tagen vor dem Gebäude. Zwischen zwölf und 15 Angestellte beschäftigt Hofer während der Hochsaison auf der Hütte.

Es reicht aber nicht, nur das Personal aufzustocken, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die Sektion passte auch das Interieur an die neue Klientel an. Matratzenlager wurden zu Zwei- und Mehrbettzimmern umgebaut, das Bettenkontingent damit auf 140 verkleinert. Die Schutzhütte wandelte sich zum Ibis-Hotel des Skigebiets.

Hofer, der im Tal auch noch ein Vier-Sterne-Haus mit seiner Familie betreibt, sagt: "Da wird auf Qualität gesetzt." Eine Solaranlage und ein 1800 Liter fassender Speicher stellen die Warmwasserversorgung in den Etagenduschen sicher, Telefonzelle und Internetterminal die Kommunikation der Gäste mit der Außenwelt. Für die Vergesslichen gibt es Handcreme, Glättungsshampoo und Deodorant zu kaufen, statt Bergsteigeressen bereitet die Küche ein Vier-Gänge-Menü.

Und doch unterscheidet sich dieses Steingebäude nicht nur optisch von den zweckdienlichen Restaurants weiter oben am Gletscher in ihren silbrig schimmernden Hüllen.

Hütte mit Seele

Vielleicht sind es die Bilder an der Wand mit Dresdens Stadtbild, dem Elbtal oder den Kletterern im Sandsteingebirge der Sächsischen Schweiz; vielleicht liegt es auch an Hofer, der als Tiroler mit ein wenig Stolz erklärt: "Am dritten Januarwochenende sind nur Sachsen hier."

Dann findet das "Sachsensausen", ein Skirennen, statt, und das Dresdner Ortsschild vor der Hütte kann als Orientierungshilfe für den Heimweg dienen. Auf der Rückseite steht die Entfernung, wahrscheinlich Luftlinie: 509 Kilometer.

Jedenfalls blieb der Dresdner Hütte etwas erhalten, das sich nicht so einfach eröffnen, erweitern oder umbauen lässt: eine Seele.

Informationen

Anfahrt: Mit dem Auto über die A12 Richtung Brenner, Autobahn an der Ausfahrt Stubaital verlassen, weiter bis zum Gletscherskigebiet.

Unterkunft: Dresdner Hütte, Tel.: 0043/5226/8112, dresdnerhuette.at; Übernachtung im DZ für AV-Mitglieder im Winter: Halbpension 51 Euro pro Person, Übernachtung mit Frühstück 29 Euro. Im Sommer Übernachtung ab 19,50 Euro.

Aktivitäten: stubaier-gletscher.com, stubaier-hoehenweg.at; Hoch- und Skitourenmöglichkeiten in der Umgebung, beispielsweise auf das Zuckerhütl (3507 Meter/5 Stunden), dav-huettensuche.de

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