Dolomitenhütte in Osttirol:Ein Bett am Abgrund

Lesezeit: 3 Min.

Die Dolomitenhütte in Osttirol liegt spektakulär zwischen Steilwänden. Allzu ängstlich sollten die Gäste hier nicht sein.

Von Titus Arnu

Dieser Beitrag ist erschienen am 31. Dezember 2015. Wir haben die Übernachtungspreise aktualisiert. Darüber hinaus ist der Text unverändert.

Ganz oben im Schartenschartl geht der Puls doppelt so schnell wie sonst. Rechts Felsen, links Felsen, eine sausteile Rinne. Liegt es an der frischen Luft, dem leichten Schwindel und dem Abgrund, dass einem jetzt dieser Sketch von Monty Python einfällt, in dem es um die Doppel-Expedition von Arthur Wilson 1 und Arthur Wilson 2 auf die beiden Kilimandscharos geht? Nein, man muss sich jetzt einfach am Riemen reißen. Mit beiden Stöcken abstoßen, nach vorne lehnen - und dann ganz viele Schwungschwünge machen. Alles gut!

Grafik: SZ (Foto: N/A)

Das Schartenschartl heißt wirklich so, es handelt sich um eine Steilrinne in den Lienzer Dolomiten, durch die man mit Tourenskiern bis zum Scheitelpunkt auf 2620 Meter aufsteigen kann - was momentan mangels Schnee allerdings nicht möglich ist. Aufstieg und Abfahrt über die Karlsbader Hütte gelten als mittelschwer. Die Aufstiegsspur führt durch einen tief verschneiten Lärchenwald, dann durch kupiertes Gelände, in dem Felsbrocken liegen, so groß wie Lastwagen. Nach einer Weile öffnet sich ein Kessel, der von spektakulären Steilwänden umgeben ist. Eine typische Dolomiten-Landschaft: bizarre Felsnadeln, dazwischen Schneerinnen, manche so eng und steil, dass sie kaum begehbar sind.

Und doch ziehen sich auch durch die krassesten Rinnen Skispuren. Stellenweise sind diese Felskorridore so schmal, dass es unmöglich ist, einen Schwung zu fahren. Nach der Abfahrt aus dem vergleichsweise gemäßigten Schartenschartl fragt man sich, welcher Wahnsinnige da wohl unterwegs war? Wenig später steht er vor einem, und er wirkt erst mal gar nicht wahnsinnig: Thomas Gaisbacher, professioneller Freerider. Der Laserzkessel, Ausgangspunkt für die Rinnen-Touren, ist praktisch sein Wohnzimmer. Gaisbacher wohnt mit seiner Freundin Scarlett Olesova in der Dolomitenhütte, der idealen Basisstation für alpine Unternehmungen in dem relativ unbekannten Gebiet. Sie ist Hüttenwirtin, er betreut dort ein Ski-Testcenter und ist so oft wie möglich am Berg.

Die Dolomitenhütte ist eine Alpenhütte wie aus dem Bilderbuch: Lärchenschindeln an der Außenwand, Holzvertäfelungen innen, offener Kamin, zwei Terrassen, traditionelle Küche. Die Lage: wie ein Adlerhorst auf einem Felssporn, mit Blick auf den Simonskopf, den Spitzkofel und andere Dolomiten-Gipfel. Die Zimmer: raumhohe Panoramafenster direkt am Abgrund, Hotelkomfort mit Doppelbetten statt Lager. Das Frühstück: eine Schieferplatte mit Spiegelei, Lachs, frischen Früchten, Käse, Speck und hausgemachter Marmelade. Die Gastgeber: Bergmenschen mit Herz und Seele. Als Besucher spürt man, dass die beiden eine doppelte Liebe verbindet: Scarlett, 35 Jahre alt, verliebte sich vor neun Jahren sowohl in den Lienzer Extremskifahrer Thomas, 30, als auch in die Dolomitenhütte. Statt Karriere im elterlichen Unternehmen in Deutschland zu machen, kaufte sie mit deren Hilfe die Hütte. Und Thomas kann seine Liebe zu extremen alpinen Unternehmungen hier extrem gut mit seinem Privatleben verbinden.

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Die Gäste profitieren doppelt davon. "Selbst die Einheimischen wissen zum Teil nicht, was man hier alles Tolles erleben kann", sagt Thomas Gaisbacher. Er steht auf der Terrasse vor der 80 Jahre alten Hütte, die vor zwei Jahren komplett modernisiert und ausgebaut wurde, und zeigt auf das Halbrund des Laserzkessels. Im Sommer sind die Osttiroler Dolomiten ein abwechslungsreiches Kletterrevier mit äußerst anspruchsvollen Routen und Klettersteigen aller Schwierigkeitsgrade. Im Winter ist die Hütte ein beliebtes Ziel, es gibt eine präparierte Rodelbahn, auf der viele Feierabend-Tourenskisportler mit Stirnlampe unterwegs sind. Wer es bequemer möchte, kann sich von Thomas Gaisbacher abholen lassen, der chauffiert einen die 600 Höhenmeter auf der glatten Piste im Geländewagen bis zur Hütte auf 1616 Meter hoch.

Beim Abendessen in der Stube schwärmt Thomas Gaisbacher von den vielfältigen Tour-Möglichkeiten seiner Region: "268 Dreitausender! Kaum bekannte Gipfel! Alles dabei, von langen, sanften Tiefschneeabfahrten bis hin zu extrem steilen Rinnen!" Im Laserzkessel kennt er jeden Stein und jeden Baum, und er kann am Vorabend prognostizieren, wann welcher Hang welche Schneebeschaffenheit haben wird. Die Ödkarscharte etwa, auf der schattigen Seite des Kessels gelegen, bekommt im Hochwinter keine Sonne, deshalb ist der Schneeaufbau ganz anders als im südseitig ausgerichteten Schartenschartl. Erst im Spätwinter sind Firntouren durch die nordseitige Rinne möglich. Wer über das Mohammedaner-Kar und das Kerschbaumer Törl in einer Steilabfahrt zurück in den Laserzkessel abfahren möchte, muss sich warm anziehen. Das Mohammedaner-Kar verdankt seinen Namen übrigens den ersten muslimischen Soldaten des österreichischen Heeres.

Gut möglich, dass eine der supersteilen Rinnen dort mal nach Thomas Gaisbacher benannt wird. Im schneereichen Winter 2013/14, als in Osttirol stellenweise mehr als sechs Meter Schnee lagen und auch die steilsten Felszacken gut eingeschneit waren, gelangen ihm zehn Erstbefahrungen. Zusammen mit dem Schweizer Extremskifahrer Samuel Anthamatten bewältigte er unter anderem die 2687 Meter hohe Simonskopf-Nordostwand auf Skiern. Die Flanken, die Gaisbacher und Anthamatten mehr hinuntersprangen als befuhren, sind bis zu 60 Grad steil.

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Für den normalen Skitourengeher erfordert schon das Schartenschartl einigen Mut. Gaisbacher hat einen Führer mit 18 Skitouren im Gebiet geschrieben, die extremen Varianten wie Simonskopf-Nordwand sind darin nicht enthalten. Wenn man "Thomas Gaisbacher" bei Youtube eingibt und sich die Ski-Videos anschaut, möchte man am liebsten dazuschreiben: Liebe Kinder, bitte nicht nachmachen! Übrigens kann man auf der Dolomitenhütte auch ganz gemütlich auf der Terrasse sitzen, Tee trinken und die Rinnen aus der Ferne anschauen. Das ist sicher auch schön. Aber irgendwie schade.

© SZ vom 31.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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