Dichter in Dublin:Wo die wilden Kerle trinken

Es rauscht und klingelt im Kopf: In Dublin führen zwei Wege zu den irischen Dichtern - die Lektüre ihrer Bücher und, noch besser, der Besuch im Pub.

Claus-Ulrich Bielefeld

Für Anti-Alkoholiker und Freunde autoritärer Erziehung muss es ein besonderer Genuss sein: Am good friday (Karfreitag) wird Irland trockengelegt. Kein Guinness-Bier, kein Jameson-Whiskey wird ausgeschenkt, ein brutaler Massenentzug.

Pub in Dublin

Literaturkurs im Pub: Es wird gelesen und getrunken.

(Foto: Foto: AP)

Die Dubliner Pubs sind verrammelt und teilweise mit schwarzen Tüchern verhängt. In den erstaunlicherweise geöffneten Supermärkten schauen die asiatischen Besitzer leicht genervt, wenn begriffsstutzige Touristen mit einer Büchse Bier an der Kasse erscheinen: no alcohol today!

Im Park "St.Stephen's Green", den immerhin der Gründer der Guinness-Brauerei seinen lieben Trinkern spendiert hat, schreiten zwei Parkwächter in schreiend gelben Westen auf ein paar Leute zu, die sich zum Picknick versammelt haben. Mit höflicher Bestimmtheit wird die Gruppe aufgefordert, die bereitgestellte Flasche Rotwein sofort wieder einzupacken.

Dublin im Trockenrausch: Das hätte man sich am langen und Guinness-gesättigten Abend vor dem Karfreitag im "Reilly's" noch nicht träumen lassen. Freitag für Freitag (und diesmal eben schon am Gründonnerstag) feiert hier die Belegschaft des Finanzministeriums das Ende einer harten Arbeitswoche. Junge durchgestylte Frauen, smarte Anzugträger und viel buntes Volk brüllen sich in die Ohren, lachen durchdringend und jagen sich ein Guinness nach dem anderen durch die Kehlen. In einer Ecke sitzen ein paar seriöse ältere Männer, allerdings in äußerst gelockerter Stimmung, schwitzend und mit hochroten Köpfen.

Auch hier ist Guinness das Grundnahrungsmittel, nur einer der good old boys steht auf Rotwein, der in flotter Folge in kleinen Flaschen angeliefert wird. Sein nahezu perfektes Deutsch ist das Ergebnis harter Arbeit; seit vierzig Jahren geht der leitende Beamte des irischen Finanzministeriums regelmäßig ins Dubliner Goethe-Institut zum Sprach- und Literaturkurs.

Und so erklärt er auch gerne in fließendem Deutsch, dass er sich nach seiner Pensionierung im nächsten Jahr der deutschsprachigen Literatur noch intensiver widmen werde.

Es macht ihm sichtlich gute Laune, die deutschen Besucher mit seinen Literaturkenntnissen zu verblüffen. Kennen die denn Schnitzlers "Traumnovelle"? Die lese er gerade. Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch" sei fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen nun von einem irischen Schriftsteller, Hugo Hamilton, quasi weitergeschrieben worden. Thomas Mann sei zu schwierig, Günter Grass doch ziemlich langweilig, aber Heine, Heine, sein absoluter Lieblingsdichter, den könne er immer wieder lesen.

Tief in der Nacht vor dem Pub: Es rauscht und klingelt im Kopf. Hinter den Scheiben von "Reilly's" fluten die Körperschatten hin und her, Reden und Lachen dringen gedämpft nach draußen.

Ein paar Tage später, nach der Lektüre der Erzählung "Zwei Kavaliere" von James Joyce aus dessen Erzählband "Dubliners", stellt sich heraus, dass Joyce einen seiner traurigen Helden just an diesem Ort platziert hatte: "Als Lenehan die Ecke Merrion Street erreichte, stellte er sich in den Schatten einer Laterne und holte eine der Zigaretten hervor, die er sich aufgehoben hatte, und zündete sie an, er lehnte sich an den Laternenpfahl..."

Tja, James Joyce, überlebensgroß. Ständig stolpert man über ihn und tritt unversehens auf die Kupferplatten, die an diversen Stellen in der Stadt in die Fußwege eingelassen sind. Sie erinnern an die Odyssee Leopold Blooms durch Dublin am 16.Juni 1904, die Joyce in seinem "Ulysses" schildert. Es lässt sich einfach nicht verhindern: Auch wenn man die anderen großen Dubliner Autoren sucht, Swift, O'Casey, Beckett, immer läuft einem Joyce in die Quere.

Am nächsten Morgen, als die Guinness langsam verarbeitet sind und vom Karfreitags-Alkoholverbot noch nichts bekannt ist, beginnt die literarische Spurensuche. Der Weg zu George Bernard Shaw führt durch den wunderschönen Park "St.Stephen's Green", wo prompt eine kleine Säule an Joyce erinnert: Crossing Stephen's that is my green. Richtung Süden geht's zu George Bernard Shaw, die Gegend wird kleinbürgerlich und proletarisch, am Grand Canal entlang gelangt man ins ehemals jüdische Dublin und in die Synge-Street, wo Shaw geboren wurde.

Wer über gute Kondition verfügt, läuft ins Zentrum zurück. Und wer eine Pause einlegen will, der lässt sich vielleicht auch noch die Haare bei "Doran" in der Castlewood Avenue/Ecke Rathmines Road Lower schneiden. Und wo sonst erhält man denn noch einen hot towel shave im alten Stil?

Der Friseur liebt deutschen Eiswein und sagt mit einem Augenzwinkern, dass man früher in Belfast, wo er herkomme, am Karfreitag fürs Haareschneiden doppelt so viel bezahlen musste wie an normalen Tagen. Aber, beruhigt er dann, der Brauch gelte nicht mehr. Oder man setzt sich in den Bus, fährt zur Pearse-Station nahe dem Trinity-College, nimmt die Dart-Bahn Richtung Greystones bis Killiney und steigt auf steilen Wegen hinauf zu den Killiney-Hügeln.

Erstens kann man sich wieder Shaw nahe fühlen, der hier von 1866 bis 1874 im "Torca Cottage" lebte, zweitens kann man den ziemlich überwältigenden Blick auf die sanft geschwungene, an die Bucht von Neapel erinnernde Küstenlinie genießen. Und ganz Hartgesottene steigen auf der Rückfahrt nach Dublin noch an der Station Sandycove aus und pilgern zum "Martello-Tower", in dem einst der Student Joyce lebte.

Der rundlich-kompakte Bunker, der wie viele andere Martello-Towers 1804 von den Briten gebaut wurde, um bei einer befürchteten Invasion durch Napoleons Flotte gewappnet zu sein, enthält ein kleines Zimmer, das die Lebens- und Wohnsituation des jungen Joyce und seiner Mitbewohner auf rührende Weise simuliert.

Wo die wilden Kerle trinken

Am nächsten Tag geht's zu einer der legendären Bildungsstätten der Welt, zum Trinity-College. Wie eine Burg, die sich der Stadt verschließt, liegt das College mitten im Zentrum Dublins. Auf Anordnung von Elisabeth I. war es 1592 gegründet worden, "um das Barbarentum dieser wilden Leute" in Irland zu bekämpfen.

Brendan Behan

Brendan Behan? Klar, der saß hier immer sonntags mit seiner ganzen Familie nach dem Kirchgang zusammen. Getrunken? Natürlich, Unmengen.

(Foto: Foto: Getty Images)

So wurde das Trinity-College zu einer Hochburg der (englischen) Protestanten, welche die (irischen) Katholiken lange Zeit draußen vor der Tür ließen. Noch Frank McCourt beschreibt in seinem Buch "Tag und Nacht und auch im Sommer", wie er als erwachsener Mann und New Yorker Lehrer vor den Pforten dieser altehrwürdigen Institution gestanden und sich nicht so recht hineingetraut hat.

Heute sind die alten Frontstellungen (fast) vergessen. Jedem ist dieses Kastell der Bildung zugänglich: Das "Book of Kells", eine üppig verzierte Abschrift des lateinischen Textes der vier Evangelien aus der Zeit um die erste Jahrtausendwende, kann in einer sehr schönen Ausstellung besichtigt werden. Und natürlich die "Old Library" aus dem Jahre 1712. Was mag das einst für ein Gefühl gewesen sein, als Bibliothekar inmitten des gesammelten Wissens der Erde seinen Dienst zu tun, sozusagen im Gehirn der Menschheit zu sitzen? In Zeiten von Google kaum noch nachzuvollziehen.

Ganz in der Nähe hat am Merrion Square1 Oscar Wilde seine Jugend verbracht. Seinem Wohnhaus gegenüber, am Rande des Parks, ist er mit einem kuriosen und sehr liebenswürdigen Denkmal gewürdigt worden. Hingestreckt auf einem Stein blickt die bunte Figur auf die Betrachter - boshaft, melancholisch und letztlich doch mit einem sehr freundlichen, menschlichen Lächeln.

Alles Lügen, so war's nicht

Schaut man genauer hin, fragt man sich plötzlich, ob vielleicht der Schauspieler Hugh Grant Modell gestanden oder vielmehr gelegen hat.Und da begreift man, dass man den Dichtern gar nicht immer hinterherlaufen muss. Ihren Geheimnissen und denen ihrer Stadt kommt man auch auf die Spur, wenn man liest: bei gutem Wetter auf einer Bank in "St.Stephen's Green", auf dem Hotelzimmer oder, keine Frage: im Pub!

Zum Beispiel: Hugo Hamiltons Erinnerungen "Gescheckte Menschen". Hamilton, Sohn einer deutschen Mutter und eines irischen Vaters, wuchs mit der deutschen und der gälischen Sprache auf, die ihm der Vater, ein glühender irischer Nationalist, beibrachte. Oder Roddy Doyle, der in "Paddy Clarke Ha Ha Ha" ebenfalls von einer Jugend in Dublin erzählt. Oder der absolut schräge Flann O'Brien mit seinem "At Swim-Two-Birds".

Aber am schönsten ist's im Pub, längst fließt wieder das Bier, und es lässt sich einfach nicht verhindern, dass man ins Reden kommt, zum Beispiel in "Peter's Pub" mit einem hageren älteren Mann, der einem, kaum dass man sich neben ihn gesetzt hat, nach dem Woher und Wohin fragt? Und er selbst? Ja, er sitzt hier schon seit 45 Jahren. Und er liest und liest - immer in derselben Ecke, rechts hinten, wenn man reinkommt. Brendan Behan? Klar, der saß hier immer sonntags mit seiner ganzen Familie nach dem Kirchgang zusammen. Getrunken? Natürlich, Unmengen. Und laut war er, zu laut. Hat sich ja hier nichts verändert seit 45 Jahren.

Allerdings: Das strikte Rauchverbot in den Pubs, sehr gut, hält den Kopf frei. Er nimmt immer erst drei Guinness und dann drei Jamies, Jameson-Whiskey, keine Frage, ist der beste. Als sein Vater im Sterben lag, gaben sie ihm anderen Whiskey, hat er gemerkt und strikt verweigert.

Was er gemacht hat? Viel, er ist ja schon 1931 geboren und hat den Luftangriff der Deutschen auf Dublin erlebt, da hat's ganz schön gescheppert. Obwohl Irland ja neutral war im Zweiten Weltkrieg. Wahrscheinlich wollten sie Belfast treffen, das war britisch. Mit den Katholiken und Protestanten, ach, das ist vorbei, demnächst auch in Nordirland. Eigentlich hat er immer gelesen, (kennen Sie Frank O'Connor?), und er schreibt auch Kurzgeschichten, die will bloß keiner veröffentlichen. Ja, er war Automechaniker, aber auch Coach des irischen Box-Olympiasiegers 1992 in Barcelona.

Wie's in seiner Kindheit war? Seine Mutter war ursprünglich Protestantin und ist dann wegen seines Vaters Katholikin geworden. Aber sie hat ihn immer so proper angezogen, wie's bei den Protestanten üblich war. Und da haben ihn die anderen Kinder für einen Protestanten gehalten, obwohl er ja eigentlich Katholik war. Die Kindheit, das war damals eben ganz anders, kaum noch vorstellbar. Frank McCourt und seine Erinnerungen?

Jetzt wird er aber ungehalten. Frank McCourt, der hängt doch ein Klischee ans andere, nach der Devise: In Irland regnet's nur, alle sind arm und essen ihre Schuhsohlen, so schreibt der doch. Alles Lügen, so war's nicht. Von niemandem gab's so viel zu hören über Dublin und den Geist der Stadt wie von Eugene, seinen Namen hat er schließlich auch noch verraten. Ob alles wirklich gestimmt hat? Wer weiß, vielleicht steckt mehr Frank McCourt in Eugene, als er selbst ahnt? Darauf ein Guinness und einen Jamie.

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