Berlin und seine Touristen:Mit Pantomime gegen Partylärm

Pantomime gegen Partylärm

Die Hauptstadt hat schon einige kuriose Tourismus-Kampagnen hinter sich. Die aktuelle soll "ein Movement für faires Partying" in Gang setzen.

(Foto: dpa)

Schön, dass die Welt nach Berlin kommt - aber muss sie so laut sein? Nun sollen Pantomime-Künstler die Feiernden zum Schweigen bringen.

Von Verena Mayer, Berlin

Sie sind weiß angezogen, ihre Gesichter sind weiß bemalt, sie hüpfen herum und schneiden Grimassen. Gehen auf Leute zu, gucken auf die Uhr und tun so, als würden sie schlafen. Straßenkünstler, wie sie überall auf der Welt unterwegs sind. Nur dass die Pantomimen von Berlin kein Geld in ihre weißen Hüte wollen. Sondern Leute darauf aufmerksam machen, dass sie sich benehmen sollen. Zum Beispiel leise sein, wenn andere nachts schlafen.

Eine Freitagnacht in der Simon-Dach-Straße im Bezirk Friedrichshain. Eine dieser Berliner Ausgehmeilen, in der die Lokale Yogi Snack, Waffeleisen oder East-West-Bridge heißen, und wo es so voll ist vor lauter jungen Touristen aus aller Welt, dass das hier schon die "Rache an den Deutschen für den Ballermann" genannt wird. Das kommt in Berlin inzwischen nur mehr so mittelgut an.

Zwar lebt man vom Tourismus, mit 28,7 Millionen Übernachtungen war 2014 das erfolgreichste Jahr für die Hauptstadt; wenn es so weitergeht, wird man bald Paris einholen. Andererseits fühlen sich die Berliner schnell genervt von den Besuchern, vor allem dann, wenn sie genau das tun wollen, was auch die Berliner am liebsten machen: sich gehen lassen, feiern, drei Tage wach sein.

Deswegen hat die Stadt gemeinsam mit dem Hotel- und Gaststättenverband und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nun Künstler engagiert, die an den Sommerwochenenden spielerisch zwischen Berlinern und Touristen vermitteln sollen. In Städten wie Barcelona, Paris oder Brüssel gibt es ähnliche Versuche.

Seid nett zu den Berlinern

Nun hat die Hauptstadt ja schon einige kuriose Tourismus-Kampagnen hinter sich. Viele erinnern sich noch an die Anstecker mit dem roten "I" für Info, die Besucher darauf hinweisen sollten, dass man Berliner durchaus mal um den Weg fragen kann, auch auf die Gefahr hin, dass als Antwort ein Satz wie "Heiß ick Info oder wat?" zurückkommt.

"Herz und Schnauze" hieß die Aktion, später hat der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit die Berliner mit dem Slogan "Be a Berlinizer" dazu aufgefordert, nett zu den Touristen zu sein. Doch während die Aktionen früher den Touristen die Angst vor den Berlinern nehmen sollten, ist es jetzt umgekehrt. Die Besucher sollen lernen, auf die Bedürfnisse der Berliner Rücksicht zu nehmen. Mit Pantomimen gegen Partypeople.

Der Erfolg dürfte ähnlich groß sein wie bei den früheren Kampagnen. In der milden Freitagnacht in Friedrichshain sieht das jedenfalls so aus: Junge Frauen und Männer, alle ausgebildete Pantomimen und extra für die langen Berliner Nächte gecastet, ziehen in den proppenvollen Lokalen jeweils in Viererteams von Tisch zu Tisch. Sie tragen Kopfhörer oder Disco-Kugel-Ohrringe und leuchten den Leuten mit Lampen ins Gesicht. Sie lehnen sich an Biertrinker, halten sich ein Kissen an den Kopf und schließen die Augen.

Geduldig wie eine Grundschullehrerin

Dann kommt aus dem Hintergrund eine weitere Person in Zivil. Das ist eine der jungen Frauen und Männer, die als Mediatoren mitlaufen, das Ganze erklären und vermitteln sollen. Während die Pantomimen Schnarchgeräusche machen, fragt eine Mediatorin die Feiernden also geduldig wie eine Grundschullehrerin, die eine Schar hibbeliger Kinder im Stuhlkreis zusammenhalten muss: "Was glaubt ihr, was will euch das sagen?"

Am Ende wird es noch lauter

Pantomime gegen Partylärm

An 15 Wochenend-Abenden sollen die Pantomimen in den Partykiezen in Friedrichshain und Kreuzberg für Ruhe sorgen.

(Foto: dpa)

Die Aktion kommt unterschiedlich gut an. Da ist einmal der Berliner, der in der einen tätowierten Hand eine Bierflasche hält, die andere zur Faust ballt und "So ein Schwachsinn!" brüllt. Da sind die Englisch sprechenden Hipster auf einem Balkon im ersten Stock, mit viel Haar im Gesicht und keinem einzigen oben auf dem Kopf. Sie gucken auf die weiß bekleidete Truppe, dann ziehen sie weiter an ihrer Shisha-Pfeife. Einer sagt: "Das ist der deutsche Sinn für Humor, nicht wahr?"

Ein Mann am Geldautomat, der aus irgendeinem Grund Boxhandschuhe trägt, ruft "Joah, Mann!", als die Pantomimen vorbeihopsen, eine Anwohnerin sagt, dass sie inzwischen alles an der Ecke nervt, da müsse etwas geschehen. Ja, das könne er nachfühlen, sagt ein Mediator mit seiner ruhigen Stimme. "Wir wollen ein Movement für faires Partying."

Mehr Ruhe im Kiez

Und dann ist da noch der Verkäufer im Spätkauf, in dem die Schlange nie endet und das Bier 1,30 Euro kostet. Er sagt, er finde die Aktion gut, und sein Chef mache auch mit. Und das sei auch das Ziel, sagt Malena Medam, eine junge Frau vom Verein Clubkommission Berlin, die das Projekt koordiniert. Dass die Leute sich zusammentun, mitdenken, sich verantwortlich fühlen für den Kiez, von dem sie leben, in dem sie aber auch in Ruhe leben wollen. Medam zieht einen Info-Flyer aus ihrem weißen Beutel, hält ihn einem Pärchen entgegen und sagt: "Please take care of the environment."

Am besten aber kommen die Straßenkünstler bei den Touristen an. Ein junger Mann klatscht wie wild und zeigt auf seine Jacke, auf der "Fun has just begun" steht. Er sagt, er sei aus China und studiere in Berlin. Ein anderer, der mit weißem Maleranzug und Clownsperücke in die Freitagnacht zieht, stellt sich zu den Pantomimen, singt und tanzt mit ihnen.

Und jetzt noch ein Selfie

Und dann sind noch die vielen Leute, die auf der Straße in den Cafés sitzen. An ihre Tische sind im Laufe des Abends bereits zwei gelb gekleidete Leute von Amnesty International gekommen, der Verkäufer eines Obdachlosen-Magazins und ein Klarinettenspieler. Und jetzt kommt noch eine weiß gekleidete Pantomimentruppe. Sie rufen "Ah!" und "Look!", kreischen, holen ihre Freunde herbei und machen Selfies von sich mit den Künstlern. Und so ist den Berliner Pantomimen, die für Ruhe sorgen und Rücksicht einfordern sollen, zumindest eines schon mal gelungen: Sobald sie irgendwo hinkommen, werden die Leute ausgelassen. Und sehr laut.

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