Deutschland:Kunst im Kühlen

Lesezeit: 3 Min.

Von der Speisekammer zum Ausstellungsort: Ein Verein in Schleswig-Holstein lädt Besucher dazu ein, historische Eiskeller auf Gutshöfen in Norddeutschland zu entdecken - eine Rundreise mit Überraschungen.

Von Evelyn Pschak

So ein vergessenes Kulturdenkmal kann ganz schön beklemmen: Feucht, dunkel und kalt ist es, unter rissigem Tonnengewölbe verborgen, mancherorts führt nur eine Leiter ins trichterförmige und feldsteingestützte Erdreich. Willkommen im Eiskeller. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein waren diese Kühlschränke aus vorindustriellen Zeiten in Gebrauch, um das an nahen Gewässern geerntete Eis samt verderblicher Nahrung über Monate hinweg zu lagern.

188 Eiskeller sind in Schleswig-Holsteins Katasterplänen verzeichnet. Auf die Suche nach ihnen hat sich Verena Voigt gemacht. Die in Kiel lebende Inhaberin einer Agentur für Kulturkommunikation und Initiatorin des Kunstprojekts "Eiskellerforschungen" hat bisher nach 40 eingezeichneten Eiskellern Ausschau gehalten, aber erst um die 30 gefunden: "Als Überreste sind oft nur noch Steinkränze zu erkennen", sagt die Kunsthistorikerin, "die eingestürzten Trichter verschwinden schnell unter Laub und wachsen zu."

Voigt verbindet ihre Recherche mit einer Umwidmung der vergessenen Orte. In diesem Jahr wird ihr eigens dafür gegründeter Kunstverein, die Gesellschaft für zeitgenössische Konzepte, insgesamt sechs Eiskeller mit zeitgenössischen Arbeiten bespielen. Sämtliche Vereinsprojekte widmen sich dem Eis. Eis als Material in der Kunst, Eis in der Erdgeschichte, Eis und seine Bedeutung für das fragile Ökosystem. Und eben Eis und die vergessenen Funktionsbauten, in denen es aufbewahrt wurde. Seit 2012 sammelt und kuratiert die Vereinsleiterin Kunstwerke in teils erhaltenen, teils demolierten Eiskellern norddeutscher Gutsanlagen. Mit ihrem Eiskeller-Parcours führt sie Besucher mitten hinein in die eiszeitlich geprägte, weite Landschaft Schleswig-Holsteins.

1 / 3
(Foto: Till Krause)

"Touching Cold": eine Installation von Ulrike Mohr auf Gut Hohenstein an der Eckernförder Bucht.

2 / 3
(Foto: Sabine Linse)

188 Eiskeller sind in Schleswig-Holsteins Katasterplänen verzeichnet.

3 / 3
(Foto: Sabine Linse)

Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein waren diese Kühlschränke in Gebrauch, um das geerntete Eis samt verderblicher Nahrung über Monate hinweg zu lagern.

In die Ekeberger Au südlich von Flensburg beispielsweise, Teil einer hügeligen Endmoränenlandschaft, geformt von Gletschern, die noch vor 10 000 bis 15 000 Jahren bis an die heutige Ostseeküste Schleswig-Holsteins reichten. Hier hat die Künstlerin Anka Landtau ihre Skulpturen platziert. Wer sie sehen möchte, muss sich in den gewundenen, schmalen, aber tiefen Wasserlauf begeben. In ihrem Atelier in Bellig bei Struxdorf hält Landtau brusthohe Wathosen und lange Stecken für ihre Besucher bereit: "Manchmal braucht es im Wasser ein drittes Bein", sagt sie. Vor allem, wenn man bei leichter Strömung bis zur Hüfte im glitschigen Schlick steht und gebückt den tief hängenden Ästen und wilden Rosendornen ausweicht.

Landtaus kleine Kunstobjekte aus gebranntem Ton erschließen sich nur aus der Wasserperspektive. Sonst wäre das ockerfarbene Gesicht, kaum auffälliger als ein großer Flusskiesel, leicht zu übersehen: Lediglich der breite Nasenrücken, Augen, Stirn und eine gekrümmte Hand ragen aus dem Wasser. Ein paar Gestadewindungen weiter lugt ein bemooster Akt aus einem knorrigen Baumloch. Bei Hochwasser überspült es die Figuren.

"Unser Kunstparcours verlangt den Künstlern, den Kuratoren und dem Publikum eine engagierte Aneignung ab", meint Verena Voigt. Sie führt im Kofferraum ihres schwarzen VW-Cabrios immer ein paar Baulampen, eine Autobatterie und den Stromumwandler mit, um die Lichtkästen, Nebelmaschinen und Neonbuchstaben der wartenden Kunstobjekte in Betrieb zu nehmen. Kunst könne dem Betrachter Gewesenes wie Künftiges erschließen, davon ist Voigt überzeugt. Für die 51-Jährige braucht es diese zeitgenössische Bespielung, um Eiskeller wieder in die heutige Wahrnehmung zu heben. Eine "alternative Denkmalpflege", wie sie die Arbeiten an diesen entlegenen Orten nennt - und touristisch interessant.

Mitunter kreuzt Voigt querfeldein durchs hügelige Moränenland, auf dem "Eisweg" von Till Krause. Der Land-Art-Künstler legt Wege an, indem er sie geht, neu kartografiert und verschollenen Bedeutungen nachspürt. Auf seinem "Eisweg" sind quadratisch ausgestanzte Markierungen zu finden, die Eiskeller und unterwegs Gefundenes zu Landmarken verbinden: Die Schildersuche führt den "Eisweg"-Wanderer auf die Aussichtsplattform des Backsteinturms Hessenstein, am Mausoleum einer ostholsteinischen Adelsfamilie auf dem Friedhof von Giekau vorbei und über ein riesiges Grünkohlfeld, immer den Treckerspuren und äsenden Wildgänsen nach. Mittendrin steckt Krauses Markierungsschild tief im bemoosten Eiskellerloch von Ölböhm.

Als Verena Voigt im Jahr 2009 begann, die "Eiskellerforschungen" auf die Beine zu stellen, suchte sie vergeblich nach Partnerschaften mit größeren Institutionen im Kunstbereich. "Damit befinden wir uns nicht im musealen Kontext", sagt sie. "Zuerst fand ich das schade, inzwischen bin ich froh. Wer mit uns unterwegs ist, braucht festes Schuhwerk, man begegnet Spinnen und auch einmal einem toten Mäuschen. Das mögen Kuratoren nicht."

Die verpassen aber was. Eiskeller liegen immer idyllisch, unter Schatten spendenden Bäumen, nahe an gluckerndem Wasser und der imposanten Backsteinarchitektur des schleswig-holsteinischen Adels. Zu all dem würde man ohne Verena Voigt gar nicht erst gelangen: "Wir kommunizieren die Orte nicht so deutlich, denn die Gutsbesitzer mögen es nicht, wenn die Leute dort alleine durchstiefeln. Ich habe den Schlüssel zu den Eiskellern und melde die Touren an, in kleinen Gruppen."

Doch im Moment steht sie vor dem kleinen, spitzdachigen Ziegelbau auf Gut Hohenstein und bastelt am Strom für die flackernde Buchstabenschrift von Ulrike Mohr: "Touching Cold" hat die Berliner Künstlerin im Neonlichtzug auf das innere Rund der Eiskellerwand gesetzt und damit einen Naturforscher zitiert, dessen Abhandlungen vor 450 Jahren den Übergang von der Alchemie zur empirischen Naturwissenschaft markierten. Licht dem Dunklen. Raum dem Flüchtigen. Forschung in der Tiefe. Unter Mohrs gleißender Maxime verliert sich sogar das Frösteln, das einem im Eiskeller befallen kann.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: