Süddeutsche Zeitung

"Tropical Islands" in Brandenburg:Archipel der Adiletten

Der Freizeitpark Tropical Islands in Brandenburg dampft und sprudelt seit zehn Jahren vor sich hin. Er ist eine Mischung aus Truman-Show und Club-Urlaub. Jetzt soll er noch größer werden.

Von Cornelius Pollmer

Ein Blick von Weitem auf den Dom lässt einen aus der Zeit fallen, man vergisst auch den Ort, an dem man sich gerade noch zu befinden glaubte und würde jetzt, in diesem losen Moment, ein buckliger Gollum aus dem Wald gehumpelt kommen, würde er sich neben einen hinkauern und röchelnd fragen, mein Freund, wie heißt der Planet, auf dem wir beide leiden? Man wüsste die Antwort nicht.

Von Weitem sieht der Dom aus, als gäbe er einer fernen Zukunft eine Herberge. Als wäre er ein Expeditionslabor oder der Hauptsitz eines noch zu gründenden Fraunhofer-Instituts für die Bauphysik bionischer Saurier. Von Weitem also sieht der Dom aus wie ein flimmerndes Geheimnis, das zu lüften gehörigen Mut erfordert. Drinnen aber, und dazu gleich mehr, drinnen ist es dann doch viel verrückter.

Wir befinden uns auf dem Planeten Erde. Auf selbigem Planeten Erde steht seit 15 Jahren dieser Dom. Er befindet sich in Brandenburg, 50 Kilometer südlich von Berlin, und er gilt als größte freitragende Halle der Welt. Vor allem aber ist dieser Dom aufgeladen mit einer Menge anderen Symbolkapitals. Der Dom wurde errichtet, um darin Luftschiffe zu bauen, er sollte ein Manifest werden, das vom Aufstieg des Ostens und von dessen froher Zukunft kündet, ein Ort der Zuversicht, emporgezwungen mit abenteuerlich vielen Staatsmillionen. Der Rest? Schnell erzählt. 2002 meldete die Cargolifter AG Insolvenz an.

Luftschiffe in Brandenburg. Irre Geschichte. Klappte also nicht. Und weil es nicht klappte, verwandelte der malaysische Konzern Tanjong diesen Dom in Brändenbürg, East Germany, in ein gewaltiges Spaßbad. Er karrte Palmen heran und schuf blühende Indoor-Landschaften. Als Idee gibt es das Tropical Islands im Grunde seit 1992, nachzulesen im "Lustigen Taschenbuch", Ordnungsziffer 171. Onkel Dagobert ist frustriert, weil die Leute in den Ferien ins Ausland flüchten, sie suchen die Berge und sie suchen den Palmenstrand, deswegen stehen die Hotels in Entenhausen leer. Dagobert baut also die Reiseziele und Sehnsüchte der Welt am Ort nach. Und die Leute? Sind begeistert.

Von der großen Hoffnung auf Luftfahrtindustrie ist ein kleiner Ballon geblieben

Nun ist das Leben kein lustiges Taschenbuch. Seit zehn Jahren läuft der Betrieb des Tropical Islands, seit zehn Jahren läuft er mit roten Zahlen. Zwar gelingt das operative Geschäft inzwischen, gerüchteweise mit vier Millionen Euro Gewinn pro Jahr - allerdings vor Abschreibungen, und diese Abschreibungen könnten doppelt so hoch liegen. Warum, fragt man Jan Janssen, den Geschäftsführer, und dieser zieht in seiner Antwort eine gedankliche Linie von Brandenburg nach Frankreich.

"Diese Halle ist wie der Eiffelturm. Korrosion. Wenn Sie Weihnachten an der Spitze fertig sind, fangen Sie unten wieder an. Solche Gebäude sind einzigartig, aber sie sind auch anspruchsvoll."

Einzigartig und anspruchsvoll, das ist also die Kombination, mit der man es im Tropical Islands zu tun bekommt. Auf welche Weise einzigartig und wie anspruchsvoll genau dieser Betrieb ist, das lässt sich in Zahlen messen. 66 000 Quadratmeter Innenraum, eine Hülle aus 14 000 Tonnen Stahl und mit 70 000 Quadratmetern Dachfläche. 600 Betten in Zimmern und Lodges, dazu 130 Zelte, ergänzt durch Campingplatz und Ferienhäuser. Mehr als 500 Mitarbeiter könnten maximal 6000 Gäste am Tag betreuen, im Durchschnitt sind es knapp 3000.

Wie einzigartig und wie anspruchsvoll der Betrieb ist, das lässt sich noch besser unter dem Hallendach und mit der Hilfe von Brandon erfahren. Brandon arbeitet für "Island Balloonig" und damit für jenes kleine Unternehmen, das von der großen Hoffnung auf Luftfahrtindustrie hier übrig geblieben ist. Geblieben ist ein Korbballon, der in bis zu 22 Metern Höhe durch die Halle schwebt. Brandon zieht unten das Tau, der Blick von oben ist: wow! Man sieht die Südsee, ein 3000 Quadratmeter großes Schwimmbecken, man sieht auch den Regenwald und seine 50 000 Pflanzen. Man sieht die blaue Rutsche, dieses Fast-Senkrecht-Geschoss, das selbst Viertelmutige für Sekunden zum Baumgartner machen kann, und da hinten, da müsste doch der 10 000 Quadratmeter große Saunakontinent liegen, oder? Brandon bejaht - und nicht vergessen: "Every hour there is an Aufguss. I recommend Aufguss."

Für den Aufguss aber bleibt keine Zeit, man will sich diesen Ort ja erschließen, eigentlich eine Aufgabe für Tage. Es gibt so vieles hier, dass man davon nicht gerecht erzählen kann. Spielplätze für Kinder, Restaurants, Bötchen, eine Schlenderstrecke mit Krimskramsbuden, es ist alles da und davon immer noch mehr. Das Tropical Islands verschlingt und isoliert einen, es injiziert ein seltsames Mischgefühl aus Urlaub und Anstrengung, aus Faszination und Fadheit. Es fühlt sich an, als wäre man in einem Hybrid aus Truman-Show, Club-Urlaub und Notunterkunft.

Manchmal nur dämmert hier die Ahnung, welch trister Ort diese Halle auch geblieben ist in ihrem Versuch, etwas anderes sein zu wollen als ihr natürliches Umfeld. Aber dann taucht, zwei Schritte weiter, schon wieder etwas neues Blinkendes, Sprudelndes, Dampfendes auf.

Ein Ort wie das Tropical Islands entsteht, wenn der Mallorca-Reisende sich die Malediven vor der Haustür wünscht. Es ist ein Ort wie eine gefälschte Louis Vuitton vom Basar. Aber, das sollte man sich bewusst machen, es gibt Menschen, die so eine Tasche mit Würde tragen können.

Trotzdem bleibt, am Ende eines reizreichen Tages, der erste Eindruck unkorrigiert. Du bekommst die Tropen nach Brandenburg, aber du bekommst Brandenburg dann nicht mehr ganz aus den Tropen. Ein letzter und alles erklärender Beleg dafür findet sich in Bühnengestalt der täglichen "Tropical Show". Diese bewegt sich zwischen orientaler Tanzkunst und Stripschuppen am Rande der Kleinstadt, zwischen Traumzauberbaum, Zirkus Probst und Deichkind.

Ein Tänzer trägt einen Plastikkronleuchter auf dem Kopf, ein anderer tritt als Steward auf, ein Dritter sieht schwer nach IS-Kämpfer aus. Die Handlung ist massivst Banane, ein getanztes Konfetti von Einzelattraktionen. Einige davon beeindrucken, andere bekommt man so ähnlich auch an roten Berliner Innenstadtampeln vorgeführt, mit dem Unterschied, dass man dort nicht mit einem Chip am Handgelenk bezahlen kann. Hoch, runter, spring, hey!, Applaus. Dann der Schlusssong: "Wake me up in a fantasy far from reality". Gäste-Adiletten wippen unter Tischen. Das wäre dann der Moment, in dem man gerne mal nachsehen würde, ob die Ausgänge noch geöffnet sind, einerseits. Andererseits besteht das seltsame Glück dieser Welt vielleicht auch darin, dass an einem Sonntagabend, 18:07 Uhr, in einer Industrieruine im brandenburgischen Nichts ein Löwe auf Piratenschultern sitzt und "Ariba!" schreit. Man glaubt nicht, um das zusammenzufassen, dass das Problem des Tropical Islands darin bestünde, seinen Gästen zu wenig zu bieten. Man glaubt eher, dass sein Problem im Großen jenem ähnelt, das die "Tropical Show" im Sockenschuss-Kleinen belastet: zu durcheinander, und eine Spur too far from reality.

Sagt der Wetterbericht Regen voraus, kommen 1000 Gäste zusätzlich in die Halle

Jan Janssen, der Geschäftsführer, weiß das alles, und er weiß auch auf all die vielen Kleinigkeiten eine Antwort, die man dem Tropical Islands in Trip-Advisor-Kommentarspalten so vorhält. Also: Wir finden uns nicht zurecht! Janssen will eine App einführen, die als Reiseführer durch die Halle dient. Es ist zu kalt! "Sie wollen es noch wärmer?", fragt Janssen, gesteht dann aber doch ein Problem: Wenn Wolken sich verschieben, heizt die Sonne das Tropical Islands manchmal in zwei Stunden um vier Grad hoch. Die Heizung braucht einen ganzen Tag, um der Halle zwei zusätzliche Grad zu schenken. Janssen sagt, man befinde sich da "in einem permanenten Spiel mit der Vorhersage, wie viele Sonnenstunden es wohl gibt." Drittens: Wir müssen so lange anstehen! Der Check-in sei gerade verbessert worden, sagt Janssen, man könne nun 1000 Gäste pro Stunde abfertigen.

Behauptet der Wetterbericht abends, am nächsten Tag würde es regnen, kann das Tropical Islands mit 1000 Gästen zusätzlich rechnen. Regen ist also gut fürs Geschäft - aber betriebswirtschaftlich bleiben die heftig schwankende Auslastung und der Besucherknick im Sommer ein Problem. Probleme heißen heute Herausforderungen und müssen bewältigt werden. Im und am Tropical Islands werden deswegen gerade zehn Millionen Euro verbaut. Janssen hat früher für die Ferienanlagen-Ketten Center Parcs gearbeitet, er will deren Konzept "nicht kopieren, aber perfektionieren", das ist die Strategie.

Dem Geschäftsführer steht dabei eine Fläche zur Verfügung, drei Mal so groß wie ein durchschnittlicher Center Parc. Janssen will das Konferenzgeschäft antreiben und mehr Sommerurlauber im Freien unterbringen. Wenn der neue Flughafen erst mal auf sei, werde es mehr Konferenzgäste geben. Und wenn die Leute mit der geplanten und teils elektrischen Fahrradverleihflotte erst mal die Schönheit des Spreewalds entdeckten, dann würde dem ersten Besuch im Tropical Islands gewiss ein zweiter und dritter folgen. Der Dom, sagt Janssen, er ist "nicht mehr das implodierte Produkt, das er einmal war. Früher war man im Dom, Punkt. Jetzt ist der Dom Teil des Erlebnisses."

Damit lädt das Tropical Islands ein weiteres Mal Symbolkapital auf. Unser Produkt funktioniert nicht so richtig? Okay, dann machen wir es noch größer, und wir machen noch mehr davon. Das kann klappen, natürlich. Für den anderen Fall könnten sich wagemutige Investoren ja schon mal informieren, wie weit die Forschung mit bionischen Sauriern gediehen ist.

Öffnungszeiten 6 bis 24 Uhr, Tagesticket 36 Euro, Kinder 28,50 Euro, www.tropical-islands.de

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Quelle:
SZ vom 07.05.2015
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