Süddeutsche Zeitung

Deutschland:Alles echt anstrengend

Mitten im Wald Oberschwabens bauen Enthusiasten eine karolingische Klosteranlage - und das mit rein mittelalterlicher Technik. Als Vorlage für den "Campus Galli" dient ein Dokument aus dem 9. Jahrhundert.

Interview von Hans Gasser

Es ist eine Herkulesaufgabe: Seit 2013 wird bei Meßkirch ein mittelalterliches Kloster errichtet, ganz ohne moderne Hilfsmittel. Als Vorlage für den "Campus Galli" dient der St. Galler Klosterplan, ein historisches Dokument aus dem 9. Jahrhundert. Viele Jahrzehnte wird es dauern, bis die große Abteikirche samt Kreuzgarten und Dormitorium, dazu Werkstätten für Schmiede, Zimmerleute, Bäckereien und Ställe fertig ist. Das Projekt soll das Wissen um die damalige Bautechnik mehren und Interessierten einen realen Einblick in das mittelalterliche Leben bieten, erklärt Hannes Napierala, Archäologe und Geschäftsführer des Projekts (www.campus-galli.de).

SZ: Was sind das für Menschen, die freiwillig auf Kran, Bohrmaschine und Lastwagen verzichten?

Hannes Napierala: Wir haben 35 angestellte Mitarbeiter, davon rund 20 auf dem Bau. Hinzu kommen Menschen aus einer Arbeitsloseninitiative. Auf dem Bau arbeiten ausgebildete Handwerker, vom Steinmetz über den Zimmermann bis zum Schmied und Ochsenführer, der die schweren Lasten transportiert. Die sind alle mit sehr viel Leidenschaft bei der Sache. Aber es sind nicht alles totale Mittelalter-Enthusiasten. Manche interessieren sich für traditionelles Handwerk ohne Maschinen, andere sind froh, dass sie den ganzen Tag an der frischen Luft arbeiten können. Das nachhaltige Produzieren in dieser Zeit gefällt sicher auch vielen, aber da darf man nicht romantisieren. Im frühen Mittelalter begann die Abholzung des Waldes, man hatte nur noch nicht die Mittel, das in so großem Umfang zu tun, wie das später der Fall war.

Woher kommt die breite Faszination für das Mittelalter?

Weil diese Epoche zwar lange her, aber für uns noch gut greifbar ist. Man beginnt steinerne Siedlungen zu bauen. Von allen deutschen Städten sind - glaube ich - fast 90 Prozent zwischen 1150 und 1250 gegründet worden. Wir sehen heute noch die Häuser, die Kirchen, die Burgen. Das Mittelalter bietet einfach sehr gute Anknüpfungspunkte an die heutige Zeit. Man kann sich damit viel besser identifizieren als etwa mit der Steinzeit. Die vielen Sagen und Heldengeschichten, die im Mittelalter spielen, tragen sicher auch einiges dazu bei.

Was ist für Sie interessant?

Mich interessiert vor allem das einfache, handwerkliche Alltagsleben, das 99 Prozent der Bevölkerung gelebt haben. Das kann man mit unserem Projekt für das breite Publikum veranschaulichen, die Besucher können sinnlich erleben, wie eine Klosterstadt im 9. Jahrhundert gebaut wurde. Wir Archäologen bekommen dadurch auch neue Erkenntnisse.

Welche zum Beispiel?

Für das Dach unserer Kirche brauchen wir viele Holzschindeln. Die muss man aus Bäumen von relativ großem Durchmesser herstellen. Einen solchen Baum kann man aber nur zerteilen mit einer großen Säge. Die kommt aber in keiner schriftlichen und bildlichen Quelle des 9. Jahrhunderts vor, sondern erst ab dem 12. Jahrhundert. Wir folgern jetzt daraus, dass es solche Schrot-Sägen auch schon zu der Zeit gegeben haben muss.

Ist das nicht alles sehr anstrengend?

Natürlich ist es das. Gerade in diesem Sommer, in dem es so viel geregnet hat und die Pflanzen doppelt so schnell wachsen wie sonst. Für uns ist es ein ständiger Kampf gegen die Natur. Es ist sehr harte Arbeit, die Vegetation mit karolingischen Werkzeugen wie Sicheln, Äxten und kleinen Sägen im Zaum zu halten. Aber das ist auch das Interessante daran - wie klein der Mensch damals war.

Sie fordern die Mitarbeiter auf, keine knallige Unterwäsche unter der Leinen- und Wollkleidung zu tragen, warum?

Na ja, die zahlenden Gäste, in diesem Jahr bereits 46 000, kommen ja, um mittelalterlichen Menschen bei der Arbeit zuzusehen, da passt rote Unterwäsche halt nicht so gut. Es ist auch verboten, Handys zu tragen oder zu telefonieren. Es gibt nur ein ausgeschaltetes Handy, mit dem man im Unglücksfall schnell Hilfe rufen kann.

Wie finanzieren Sie das Projekt?

Wir können mittlerweile durch die Eintrittsgelder alle Personalkosten decken. Bei den Materialien greift uns die Stadt Meßkirch unter die Arme. Sie profitiert ja auch davon, dass wir 35 Stellen geschaffen haben und sehr viele Besucher anziehen.

Was haben Sie schon fertiggestellt, was kann man sehen?

Nach der Rodung haben wir uns als erstes an die Einrichtung der verschiedenen Gewerke gemacht, also der Arbeitsplätze für Schmied, Schreiner, Steinmetz. Diese müssen zunächst dort sein, wo sie gerade gebraucht werden, später wird jeder seine eigene, feste Werkstatt bekommen. Gleichzeitig wurde mit dem Bau der Holzkirche begonnen, die ist jetzt fast fertig, der Altar aus Stein ist gesetzt und das Dach wird diese Woche geschlossen. So hätten das die Menschen im Mittelalter auch gemacht. Ganz wichtig sind auch Äcker und Gemüsegärten mit Mauern drum herum, zur Versorgung der Menschen auf der Baustelle. Derzeit harken vier Frauen den Acker um, damit wir Roggen aussäen können. Den brauchen wir vor allem als Stroh, zum Decken von Scheunen und Hütten.

Ist das attraktiv genug für Besucher?

Man muss sich darauf einlassen. In einer Stunde wird man nicht viel mitbekommen. Wer sich Zeit lässt, kann eintauchen in die Vergangenheit und sehen, wie viele Arbeitsschritte es brauchte, um etwas herzustellen ohne Maschinen. Einer arbeitet dem anderen zu. Das Einzigartige bei uns ist, dass wir nichts spielen, sondern dass der Schmied nur Dinge schmiedet, die wirklich auf der Baustelle gebraucht werden. Das fasziniert die Leute.

Bis wann soll das Kloster fertig sein?

Schwierig zu sagen. Niemand hat heute Erfahrung mit mittelalterlichem Bauen. Es wird sicherlich mehrere Jahrzehnte dauern. Allein die steinerne Abteikirche, die die Holzkirche ablösen wird, soll laut Klosterplan 200 Fuß, also etwa 70 Meter lang werden. Das ist riesig!

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Quelle:
SZ vom 08.09.2016
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