Reisebuch "Street Art":Die Monster AG

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Leonards Motto: mehr ist mehr. (Foto: David Zinn)

Straßenmaler David Zinn erschafft eine Welt voll wundersamer Gestalten. Dass seine Kunst vergänglich ist, findet er vollkommen in Ordnung.

Von Stefan Fischer

Wievielen Menschen die Eule Simon wohl aufgefallen ist? Wie viele wiederum achtlos auf sie getreten sind? Man wird es nie erfahren. Gewiss ist nur: Die Eule ist nicht mehr da.

David Zinn hatte sie gemalt, mit Kreidestiften auf ein Gehwegpflaster in seiner amerikanischen Heimatstadt Ann Arbor, Michigan. Die Witterung, speziell der Regen, beschränken die Haltbarkeit seiner Kunstwerke stark. Zinn findet das vollkommen in Ordnung. Zum einen, weil er mitunter ohnehin vergängliche oder veränderbare Dinge integriert in seine Zeichnungen: herabgefallene Blätter, Gras, das zwischen Ritzen sprießt oder einen verlorenen Handschuh. Zum anderen, weil er manche Risse im Pflaster mehrfach verwenden kann, beispielsweise vor dem Postamt in Ann Arbor. Diese markante Stelle war bereits Teil des breiten Grinsens eines Monsters, des Hutes eines Hasen und des Hinterns eines Dinosauriers.

Die Maus Nadine macht ein Picknick auf See. (Foto: David Zinn)
Oktopussin Cora geniert sich für ihre Beine, aber sie hat ein atemberaubendes Lächeln: Auch hier integriert David Zinn den öffentlichen Raum in seine Kunstwerke. (Foto: David Zinn)

Dem Straßenmaler gefällt es, wenn nur wenige Menschen seine Figuren bemerken. Sie würden dann zu einem exklusiven Club, eine schöne Vorstellung, findet David Zinn. Im Falle der Eule Simon kokettiert er allerdings auch damit, dass etliche Menschen achtlos vorübereilen, womöglich sogar auf seine Bilder latschen: Der blauäugige Simon nämlich steht auffordernden Blickes auf einem Bürgersteig, ein bisschen ängstlich, vor allem aber trotzig, so als wollte er sagen: Hey, schaut endlich her zu mir! Die Bildunterschrift lautet denn auch: "Simon stand still da und wartete auf jemanden, der ihm ein Kompliment für seine neuen Schuhe machte."

Manchmal führt der Zeichner Zinn den Betrachter hinters Licht

Manche dieser Text-Bild-Kombinationen haben beinahe Bernd Pfarr'sche Qualität, dieser tendenziell anmaßende Vergleich sei erlaubt, sofern jemand noch den früh gestorbenen Großmeister der komischen Kunst kennt, etwa aus dem Zeit-Magazin oder der Titanic, den Patrick Bahners in seinem Nachruf vollkommen zu Recht einen "Meister der Balance, der Harmonie von Tönen und Stimmungen" genannt hatte.

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Zinns Zeichnungen haben für sich genommen Witz oder sind anrührend, sie irritieren und sind mitunter auch subversiv. Einen besonderen Dreh bekommen sie häufig noch durch einen kleinen Text, den schlicht Bildunterschrift zu nennen eine dreiste Herabwürdigung wäre. "Val bereute fast sofort, dass er sich für die Sonderausstattung ,realistisches Motorengeräusch' entschieden hatte", steht unter der Zeichnung von einem Hund in einer Seifenkiste, dem an einem Heliumballon ein Hamster hinterherschwebt, der, seine Zunge frech zwischen den Lippen flattern lassend, Furzgeräusche imitiert. Manchmal führt Zinn einen auch hinters Licht, man meint etwa einen wagemutig skatebordenden Drachen zu sehen, erfährt jedoch: "Vincent kann schon richtig gut balancieren. Morgen wird er eventuell versuchen, ein Stück zu rollen."

Die gute Nachricht: Es war niemand sonst in der Nähe, um Sluggos Solo-Aufführung vom "Rülpser von Sevilla" anzuhören. (Foto: David Zinn)

Indem David Zinn seine Straßenmalereien fotografiert und in seinem Band "Street Art" auch noch um diese kuriosen, pointierten, teils hintersinnigen Texte ergänzt, wird aus einem schnell hingeworfenen Motiv tatsächlich ein Comic oder Cartoon. Keines dieser Bilder verleugnet jedoch seine Herkunft, sie können in keinem Atelier auf einer Leinwand entstehen. Immer wird kenntlich, wie der öffentliche Raum Teil der Bilder wird - durch seine Unregelmäßigkeiten, durch vorhandene Dinge, die David Zinn integriert. Durch eine Verlängerung der Realität in einen Möglichkeitsraum.

In dem existiert zum Beispiel Sluggo, das giftgrüne Monster mit einer Schwäche für Schwierigkeiten. Bei dem es mitunter vielleicht ganz gut ist, wenn ihn nicht jeder bemerkt. Schon gar nicht, wenn er in der Öffentlichkeit mal wieder eine Solo-Aufführung vom "Rülpser von Sevilla" gibt, deren einzige Augen- und Ohrenzeugin Pigasus ist. ein besonders gutherziges geflügeltes Schwein.

David Zinn : Street Art. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz und Sandra Nettelbeck. Prestel Verlag, München / London / New York 2022. 160 Seiten, 18 Euro.

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