Das Museo Vela in Ligornetto:Natur und Allegorie

Das Museum des Bildhauers Vincenzo Vela zeigt viele seiner bedeutenden Werke. Sie erzählen viel über die Geschichte Italiens - und über den Künstler selbst.

Von Stephanie Schmidt

Kommt näher, seht euch all meine schmucken Helden an! Frühlingsgöttin Flora, in anmutig-aufreizender Pose mitten im Garten des Museo Vela platziert, scheint allen Ankömmlingen diese Botschaft zuzuflüstern. Geschaffen hat die Marmorskulptur Vincenzo Vela (1820 bis 1891), gefeierter Bildhauer des 19. Jahrhunderts und Grenzgänger zwischen Italien und der Schweiz: In nur ein paar Hundert Metern Entfernung von seinem herrschaftlichen Atelierhaus beginnt Italien. Nach eigenen Entwürfen ließ er das Anwesen in Ligornetto, einer kleinen Stadt im Süden des Tessins, errichten. Vela wollte, dass seine Villa nach seinem Tod als Bildungsstätte für alle zugänglich sein solle - und so geschah es.

Seine Skulpturen sind politische Bekenntnisse zur Einigung Italiens

"Verismo" nennt man den Stil, den Vela im Laufe seiner Schaffenszeit entwickelte. Seine Kunst verschmilzt das Naturnahe mit dem Allegorischen. Charakteristisch für diesen Stil ist etwa ein Standbild, das zwei einander küssende Königinnen zeigt. Liebe zwischen Frau und Frau? Das ist hier nicht gemeint. "Italien dankt Frankreich" ist eine Auftragsarbeit als Geschenk für Eugénie, Gattin Napoleons III. Vela schuf sie zur Zeit des Zweiten Kaiserreichs, als Frankreich und Italien einander politisch nahestanden. Das Original-Modell dieser allegorischen Szene kommt in den zurückhaltend gestalteten hellen Räumen des von Mario Botta renovierten Gebäudes gut zur Geltung. "Es wurde 1898 eröffnet und war das erste Museum des Tessins überhaupt", sagt Anita Guglielmetti, die hier Führungen in deutscher und italienischer Sprache leitet. Wiederholt macht sie Besucher darauf aufmerksam, wie detailgenau die Skulpturen ausgearbeitet sind. "Sehen Sie, wie echt die Falten seiner Zimarra aussehen, so nannte man den für diese Zeit typischen Männermantel aus Samt", erklärt Guglielmetti vor dem Standbild des Renaissancemalers "Il Coreggio".

Die Villa Vela, wo der Meister seit 1867 lebte, zeigt einen Großteil der Gips-Originale des in Ligornetto geborenen Künstlers; insgesamt gehören circa 5000 Werke zu ihrem Bestand. Darunter befinden sich von seinem Sohn Spartaco Vela geschaffene Gemälde, Werke von Vicenzos älterem Bruder Lorenzo sowie ausgewählte Bilder aus dem Privatbesitz der drei Velas, die passionierte Kunstsammler waren.

Wer das Museum besucht, beschäftigt sich auch mit dem Risorgimento - einem Zeitalter von großer Bedeutung für Italien, weil es zur nationalen Einheit führte. Der achteckige Saal im Zentrum des Gebäudes, um den sich weitere Säle anordnen, wird als "Pantheon des Risorgimento" bezeichnet: Hier sind Gipsskulpturen zu sehen, die Persönlichkeiten aus dieser Ära darstellen. Dazu gehört das Standbild des Guiseppe Garibaldi, eines Helden des Risorgimento, mit gezogenem Säbel und wildem Gesichtsausdruck. Oder das Standbild des Vittorio Emanuele II., König von Sardinien, von 1861 an König von Italien. Mit entschlossenem Blick hält er die Landkarte Italiens fest in seinen Händen. "Vela gefiel es, zu repräsentieren: In diesem Saal hat er Gäste empfangen", erzählt Guglielmetti.

Das Museo Vela in Ligornetto: Im achteckigen "Pantheon des Risorgimento" empfing Vincenzo Vela einst seine Gäste.

Im achteckigen "Pantheon des Risorgimento" empfing Vincenzo Vela einst seine Gäste.

(Foto: Museo Vincenzo Vela/Mauro Zeni )

Der Meister selbst zog Mitte des 19. Jahrhunderts in den Kampf - für die Einigung Italiens, gegen die Besatzungsmacht Österreich. 1848/49 schuf er die überlebensgroße Akt-Skulptur des "Spartacus". Ein Schlüsselwerk für Velas Leben, das ihn international berühmt machte. Die gefühlsgeladene Mimik des Sklavenführers ist ein Erkennungsmerkmal von Velas bildhauerischer Kunst. Spartakus zersprengt seine Ketten, um in Freiheit zu sterben. Die italienische Bevölkerung interpretierte die Skulptur als Symbol des Risorgimento - Spartakus als Widerstandskämpfer gegen das österreichische Joch.

Auch Vela blieb seinen Idealen treu. Die Besatzer wollten ihn auf ihre Seite ziehen und boten ihm 1852 eine Professur und einen Adelstitel an, aber der Künstler lehnte ab. Daraufhin musste er aus Mailand, wo er damals lebte, in seine Heimat fliehen. Vela wurde später Kunstprofessor in Turin und schuf Monumente, die Herrscher, Freiheitskämpfer, Politiker, Künstler, Dichter, Entdecker und verdiente Bürger darstellen. Seine Skulpturen und Standbilder schmücken nicht nur Plätze, Parks und Gebäude in Italien, sondern sind in aller Welt zu finden. Bei Vela gaben auch viele Persönlichkeiten seiner Zeit Grab-Monumente in Auftrag. Eines der sakralen Skulpturen-Modelle, die im Museum zu finden sind, ist die "Trauernde Harmonie". Über ihre Leier gebeugt, beweint sie den Tod des Komponisten Gaetano Donizetti (1797 bis 1848).

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Andere Akzente setzt das skulpturale Werk von Vincenzos Bruder Lorenzo. Er formte Fabeln zu Plastiken. Zu ihnen gehört auch eine grotesk anmutende Affenskulptur. Der "Affe, der ein Huhn zerlegt" trägt zwar Kleider, weiß aber nicht mit dem Besteck umzugehen. Die in Skulpturen verwandelten Fabeln regen den Geist an und bringen einen zum Schmunzeln.

Zum Ausklang des Besuchs im Museo Vela bietet sich ein Spaziergang durch den weitläufigen Park der Villa an. Er hat übrigens eine ungezähmte und eine andere, streng geometrische Seite.

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