Süddeutsche Zeitung

Dachstein in Österreich:Langlaufen am kleinen Riesen

In der Serie "Winterberge" stellen wir die schönsten Hänge für jede Sportart vor. Diesmal: Der Dachstein bietet die längste Gletscherloipe der Welt, auf der im Herbst die Weltelite trainiert. Amateure bleiben lieber am Fuß des Berges.

Von Titus Arnu

Mehr als 600 Muskeln werden beim Langlaufen trainiert, heißt es. Wenn man bedenkt, dass ein gesunder Mensch 656 Muskeln besitzt, sind das ganz schön viele. Im Moment sind aber nur wenige davon in Betrieb. Sie produzieren ein Lächeln im Gesicht von Reinhard Kaurzinek. Reini, wie ihn alle nennen, war sechs Mal österreichischer Meister im Langlauf. Er ist Vollprofi und weiß, wie man auf Skating-Skiern so richtig Tempo macht. Er weiß aber auch, wann es Zeit ist, stehen zu bleiben und den Moment zu genießen.

Reini bringt Anfängern und Fortgeschrittenen bei, wie und wann man welche Muskeln beim Skating und beim klassischen Langlauf einsetzt, damit man möglichst würdevoll über die Loipe gleitet. Der Schwung soll aus der Pendelbewegung der Arme und Beine entstehen. Das gelingt nicht immer auf Anhieb. Zum Glück bringt Reini seinen Schülern auch nahe, dass Langlaufen nicht nur Stress ist, es geht ihm auch um die Ruhe, die man im Idealfall dabei findet. Ein Skating-Kurs bei ihm fühlt sich fast wie Yoga an - eine anspruchsvolle Mischung aus Meditation und Körperbeherrschung.

Reinhard Kaurzinek skatet stilvoll neben einem her, bei ihm sieht es elegant aus, dynamisch, rund. Als Skating-Amateur dagegen tut man sich schwerer mit der Koordination. Bei den ersten Übungen im Skistadion fehlt das Gleichgewicht, bei einem steilen Anstieg rutschen die Skier zurück, es ist ziemlich anstrengend. Reini gibt Tipps zum Stockeinsatz, zur Haltung des Oberkörpers, zum Rhythmus. Als wir auf einer sonnigen Hochfläche ankommen, bleibt er taktvoll einen Moment stehen, damit sein Schüler nicht ganz aus der Puste kommt. Von der Tritscherhöhenloipe aus überblickt man die Ramsau: Lärchenwälder, Freiflächen, weit verstreut Bauernhöfe, in der Ferne glitzern Großglockner und Großvenediger. Eine zauberhafte Gegend, durchzogen von weißen Schlangenlinien. 220 Kilometer Loipen führen durch die tief verschneite Landschaft oberhalb von Schladming. Eine Hochfläche heißt Märchenwiese, es gibt einen Zauberlift, einen Drachenlift - und über allem thront ein sagenhafter Bergriese, der Dachstein.

Von der Ramsau aus gesehen steigen die Südwände des Massivs imposant auf, 850 Meter fast senkrechter Fels, sodass der Gipfel des Dachsteins viel höher wirkt, als er ist - offiziell misst er "nur" 2995 Meter. Blöd, denn als Berg bist du unter 3000 Meter ja praktisch gar nichts in Österreich. Es gibt dort zwar keinen einzigen Viertausender, aber allein im Ötztal stehen 250 Dreitausender in der Gegend herum, viele davon sind nur Einheimischen und Spezialisten bekannt. Der Hohe Dachstein dagegen ist überregional ein Begriff, obwohl er ganz knapp die Dreitausendermarke verfehlt. Woran kann das liegen?

Früher wurde die Höhe des Dachstein-Gipfels mit 3004 Metern angegeben, in Prospekten der Dachstein AG und auf manchen Panoramakarten ist diese großzügig aufgerundete Zahl immer noch zu lesen. Die Messung des österreichischen Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen liegt aber bei 2995,01 Metern. 1992 wurde der Dachstein offiziell zum Zweitausender herabgestuft. Das ist fast so wie beim Pluto, der zum Zwergplaneten degradiert wurde. Vielleicht neigen die lokalen Marketing-Poeten deshalb zur Formulierung von Superlativen. Auf dem Dachstein-Plateau erstrecken sich ihren Angaben zufolge die "längsten Gletscherloipen der Welt" - bis zu 18 Kilometer sind in 2700 Meter Höhe gespurt. Die Weltelite der nordischen Skisportler trainiert im Sommer und im Herbst dort oben, der Grundstein für viele Langlauf- und Biathlonmedaillen wird auf dem Dachstein gelegt.

Auf der Piste, in der Loipe

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Auf den planierten Bahnen, die sich in weiten Schlaufen über den Gletscher ziehen, ist es im Winter aber meistens eher leer. Bis zu minus 23 Grad meldet die Bergstation dieser Tage, da ist es unten in der Ramsau etwas angenehmer. Außerdem kostet das Ticket für Berg- und Talfahrt stattliche 38 Euro. Unten kann es natürlich auch eisig sein, aber dagegen hat Reini Kaurzinek ein gutes Mittel: "Nordic Fitness Open Air", ein spezielles Aufwärmprogramm für Langläufer, das er bei seiner Langlaufschule "fit & fun" jeden Morgen um zehn Uhr anbietet. Ein ähnliches Ziel verfolgt der "Skiletics-Park", eine Kreuzung aus Loipe und Trimm-dich-Pfad. An 15 Stationen absolvieren Langläufer Gymnastik-Übungen, die auf bestimmte Bewegungen beim Langlaufen abgestimmt sind. "Langlaufen ist vielfältiger und attraktiver als früher", sagt Reini Kaurzinek, "es ist jünger und sportlicher geworden." Er bietet Programme für Kinder und Jugendliche an, bei denen Spaß und Action im Vordergrund stehen, er veranstaltet "Fettkiller-Langlauftouren" und Laser-Biathlon-Wettbewerbe im Skistadion.

Langlaufen ist aber auch nach wie vor der ideale Sport für Menschen, die sich gerne ganzheitlich bewegen - und zwar in einem Tempo, in dem man die Winterlandschaft noch genießen kann. So wie auf der Rittisloipe. Die Runde ist zwar 17 Kilometer lang und stellenweise recht steil, dafür liegen sieben Einkehrmöglichkeiten an der Strecke. Reini empfiehlt besonders den flambierten Kaiserschmarrn auf der Halseralm, auch der Topfen- und der Apfelstrudel in den Ederstuben sind nicht zu verachten. Übrigens gelangt man dorthin auch gut ohne Skatingtechnik, zu Fuß über einen präparierten Winterwanderweg.

Für das Planieren der Wege ist Heribert Eisl zuständig, den alle Heri nennen. Er ist Obmann der Ramsauer Bergrettung, Bergführer und Wirt des Hotels Lindenhof, zuständig für das Präparieren der Winterwege - und zwischendurch berät er das Produktionsteam der ZDF-Serie "Die Bergretter", die in der Dachstein-Region gedreht wird, in alpinistischen Fragen. Einen besseren Gipfel-Guide als ihn könnte man also nicht finden. Beim Erklimmen des Dachsteins hilft die Skating-Technik wenig. Hier ist klassischer Alpinstil gefragt, mit Steigeisen, Pickel, Seil und Klettergurt.

Während der zehnminütigen Fahrt in der Panorama-Gondel wird klar, warum der Dachstein eine so herausragende Stellung in den Ostalpen hat. Wie eine Mauer ragt das Massiv in die Landschaft, es trennt die Bundesländer Steiermark, Oberösterreich und Salzburg. "Der Dachstein ist von drei Seiten erreichbar, das ist sein Pech und sein Glück", sagt Heri Eisl. Ähnlich wie bei der Zugspitze führen zwei Seilbahnen hoch, auf der oberösterreichischen Seite von Obertraun zum Krippenstein und auf der Steiermark-Seite von der Ramsau in Richtung Dachstein-Gletscher. Oben öffnet sich der Blick auf die weiten, weißen Flächen des Plateaus, ein paar Tourengeher ziehen ihre Bahn entlang einer markierten und planierten Route - die Überquerung des Plateaus und die Abfahrt bis hinunter Richtung Hallstätter See ist als "Österreichs Nationalskitour" bekannt.

Wir stapfen mit Tourenski zunächst an den Dirndln - zwei formschönen Felstürmen - vorbei in Richtung Hoher Dachstein. Am Bergschrund deponieren wir die Ski, seilen uns an und klettern durch eine tief verschneite Rinne und über Felsen in eineinhalb Stunden auf den Gipfel. Skating in der Ramsau wirkt im Vergleich auf einmal wie ein Wellness-Spaziergang. Neben dem mit bunten Gebetsfahnen geschmückten Gipfelkreuz liegt so viel Schnee, dass die Köpfe der Bergsteiger knapp über die Dreitausender-Marke ragen. Dieser Gedanke und die grandiose Aussicht bringen einen Teil der 656 Muskeln wieder dazu, trotz der beißenden Kälte eine Art Lächeln ins eingefrorene Gesicht zu zaubern.

Reiseinformationen

Langlaufen: Schnupperkurse in der Langlaufschule "fit & fun" von Reinhard Kaurzinek immer montags, mittwochs und samstags von 10 bis 12 Uhr. Preis: 33 Euro. Täglich verschiedene Anfänger- und Fortgeschrittenenkurse in klassischer und Skating-Technik, Laser-Biathlon und Gruppenangebote für Jugendliche. Tel.: 0043 / 66 42 31 02 31, www.langlauf.co.at

Hotel Lindenhof: Gemütlich, familiengeführt, fast direkt vor dem Haus kann man in das Loipennetz einsteigen. Gastgeber Heri Eisl ist Bergführer und kennt am Dachstein jeden Winkel. DZ/HP ab 92 Euro, Tel.: 0043 / 368 78 15 55, www.hotel-lindenhof.at

Tourismusverband Ramsau am Dachstein: Ramsau 372, 8972 Ramsau am Dachstein, Tel.: 0043 / 36 87 81 83 38, www.ramsau.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2018/ihe
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