Cremona:Der Klang einer Stadt

Ein Himmel voller Geigen: Das norditalienische Cremona, die Heimat der Violinenbauer, feiert seinen frühen Meister Andrea Amati.

Henning Klüver

Es ist eine Sache der Übung. Jeden Morgen vor zehn Uhr, bevor die ersten Besucher kommen, steigt der Kon-servator Andrea Mosconi im mittelalterlichen Palazzo Comunale von Cremona die lange Treppe hinauf, die zur Violinensammlung des Rathauses der norditalienischen Kreisstadt führt.

Stradivari; dpa

Eine Stradivari aus dem Jahre 1716

(Foto: Foto: dpa)

Er öffnet die Vitrinen, holt die wertvollen Instrumente heraus und spielt eines nach dem anderen: Geigen von Stradivari, Guarneri del Gesù oder Amati. Sie sind 300 Jahre und älter - und klingen jeden Tag schöner.

"Geigen müssen munter gehalten werden", erklärt Bernhard Naumann, der zusammen mit einem amerikanischen und einem italienischen Partner unweit des Rathauses eine bekannte Werkstatt zur Restaurierung von Streichinstrumenten betreibt.

"Manchmal ein bisschen tot"

Als Sohn deutscher Auswanderer wurde Neumann 1955 in Kanada geboren. Die Liebe zum Instrumentenbau aber führte ihn zurück nach Europa, wo er in Cremona sein Handwerk verfeinerte und sesshaft wurde.

Wie die Musik, so kennt auch der Ruf der Violinenbauerstadt keine Grenzen. Nicht nur die Geigenbauschule in Cremona, auf der man sogar sein Abitur machen kann, ist international. Viele der 120 offiziell gemeldeten Violinenbauer von Cremona haben hier gelernt und sich anschließend niedergelassen: Österreicher und Koreaner, Spanier, Südamerikaner und natürlich Italiener.

"Ein tolles Flair", sagt Wolfgang Buchinger, der aus dem österreichischen Schärding kommt und hier seit 20 Jahren eine Werkstatt betreibt. Auch wenn die 70.000 Einwohner große Stadt 75 Kilometer südöstlich von Mailand "außerhalb der Geigenszene manchmal ein bisschen tot" sei.

Der Klang einer Stadt

Und nicht selten vom Nebel belagert. Dabei ist Cremona eine Kulturstadt ersten Ranges mit einer Vergangenheit als freie Stadtrepublik im Mittelalter. Neben dem Dom aus dem 12.Jahrhundert erhebt sich 111 Meter hoch der "Torrazzo", der höchste Glockenturm Italiens - weit über die vielen herrschaftlichen Palazzi.

In diesen Wochen jedoch hängt der Himmel über Cremona voller Geigen. Gerade erst ging die internationale Messe für Streichinstrumente zu Ende. Nun stehen täglich Konzerte auf dem Programm der Stadt. Es werden Preise für Streichensembles vergeben.

Eine Tagung an der Universität Pavia, die in Cremona ihren Sitz hat, beschäftigt sich mit der Entwicklung im Violinenbau. Man feiert das 500. Geburtsjahr des Geigenbauers Andrea Amati, der um 1505 in Cremona geboren wurde, hier eine Werkstatt betrieb und 1579 starb.

Der Lehrer von Stradivari

Er gilt als "Vater" der zeitgenössischen Violine, die in Form und Charakteristik nach ihm nur noch unwesentlich verändert wurde. Amati-Exemplare aus aller Welt sind auf einer kleinen Ausstellung in Cremona zu sehen. Amati hatte eine ganze Handwerkerdynastie begründet. Sein Urenkel Nicola war der Lehrer des berühmten Geigenbaumeisters Antonio Stradivari.

In einem nicht ganz ernst gemeinten Derby zwischen Brescia und Cremona bewies die Violinenbauerstadt jetzt erneut, wie gut begründet ihr Ruf ist. Musiker, Historiker und Lokalpolitiker diskutierten vor Publikum die Frage, wem die Ehre gebühre, als erste Geigenbaustadt Italiens und Europas zu gelten. Schließlich wurden um 1500 auch in Brescia Violinen hergestellt.

Kam das erste moderne Exemplar vielleicht gar nicht aus Cremona? Der Violinist Sergej Krylov versuchte sich auf je einer Violine aus den Werkstätten von Gasparo da Salò (Brescia) und Andrea Amati - und entschied die Frage: Wer hat den schönsten Klang im ganzen Land? Der Cremonese gewann.

Vermutlich war die Amati-Geige auch besser eingespielt. Der 23-jährige Martin Erben, Sohn eines bekannten Münchner Geigenbaumeisters und Schüler bei Restaurator Neumann, verrät: Auch eine Violine sammele Erfahrung. Auf jeder Geige könne nur das gut gespielt werden, was vorher auf ihr geübt worden sei.

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