Wald ist vor allen Dingen eins: still. Zumindest für uns Europäer. Wir verbinden mit einer Ansammlung von Bäumen die Vorstellung von Ruhe, höchstens gestört durch kurzes Rascheln oder fernes Krächzen. Wer Zeit im Regenwald von Costa Rica verbringt, muss schnell umdenken. Mit Ruhe hat das wenig zu tun. Die Natur hier ist laut, nah, direkt, oft schrill und sehr ausdauernd. Nicht selten klingt sie wie eine Baustelle. Wenn auch eine, die neugierig macht statt nervt.
Zum Beispiel im zentralen Hochland, zwei Stunden nordöstlich der Hauptstadt San José. Die La Tigra Rainforest Lodge hat ihre Zimmer auf Stelzen in den Regenwald gebaut, sie auf einer Seite offen gelassen für ein Kopf an Kopf mit der Natur. Nur ein Vorhang, wenig stärker als ein Moskitonetz, hängt zwischen dem Übernachtungsgast und dem Regenwald. Zu sehen ist nichts außer Schwärze. Aber die Ohren bekommen etwas geboten. Es hämmert, bohrt, rattert. Und irgendwas knallt immer wieder aufs Dach. Wenn man so allein in seiner Hütte liegt, ohne das Wissen von Guides oder Einheimischen, dann hört man vieles. Aber was? Eine Tierstimmen-App - das wäre jetzt was.
Tierwelt in Costa Rica:Abhängen und abtauchen
Die Artenvielfalt in Costa Rica ist enorm. Doch manche Tiere sind nachtaktiv oder verstecken sich.
Da tönt das metallische "Tink" des Tink-Frosches. Wie eine Stimmgabel. Überhaupt ist ein immenses Froschkonzert im Gange, auch wenn das Wort Konzert auf die tropische Version nicht richtig passen will. Die Symphonie knarzt, klingt wie ein Zahnarztbohrer, ein stotterndes Mikro, ein Megafon oder ein exzentrischer Handyklingelton. Und dann ein Heulen: von einem costa-ricanischen Kojoten? Überlagert wird alles vom Zirpen der Zikaden. Eine Art Dauergeräusch, das Einheimische vermutlich gar nicht mehr wahrnehmen, trotz der immensen Lautstärke. Bis es vom Regen abgelöst wird, der unvermittelt aufs Wellblech hämmert.
Der Blue-Jeans-Frosch hat blaue Beine, beim Glasfrosch kann man das Herz schlagen sehen
"Eure Musik auf den Zimmern werden die Tiere und die Natur sein", hat Adolfo Quesada Alfaro, der Manager der Lodge, schon bei der Ankunft gesagt. "Wir wollen euch Natur nahebringen." Und um davon nicht abzulenken, gibt es auch nur in der Lobby Internet. Noch vor zwanzig Jahren standen hier lediglich ein paar Guavenbäume. Alles war bereits abgeholzt, wie so vieles in Costa Rica: für Bananen-, Kaffee- und Ananasplantagen. Als Rinderweiden. Oder einfach nur so, weil ein Grundstück mit Bäumen drauf nichts wert war: Was bitteschön sollte man damit anfangen? Irgendwann hat man umgedacht. Zum Glück. "Heute haben wir mehr Bäume als in den Siebzigern", sagt Paul Valenciano, der den Grund der heutigen Lodge eins aufforstete, um später das Holz zu verkaufen. Doch als es so weit war, wollte er das neu entstandene Ökosystem nicht wieder zerstören, entschied sich für eine Lodge. Die Bäume blieben größtenteils stehen, aus den gefällten wurden Hütten, die ihren Platz in kleinen Lichtungen fanden.
Die Nähe zur Natur interessiert Touristen, die nach Costa Rica schon immer vor allem für Flora und Fauna kamen. Wo sonst auf der Welt leben 500 000 Arten? Findet man circa fünf Prozent der Biodiversität der Erde? Steht ein Viertel des Landes unter Naturschutz? Dazu kommen Biokorridore, die geschützte Flächen über Privatland miteinander verbinden.
"Die Tiere kommen zurück", sagt Adolfo. Goldhasen, Wildschweine, Wildhühner, Kojoten, Hokkohühner und Nasenbären haben sie schon in den Fotofallen der Lodge gesehen. Sie pflanzen immer mehr Bäume, bewusst einheimische und solche, die bestimmte Tierarten lieben: etwa Bergmandelbäume für die Aras, die sie hier gern wieder sehen würden. Nachts leckt schon mal ein Wickelbär einen vergessenen Teller im Restaurant aus. Und inzwischen hopsen im Wald rundum so viele Frösche, dass sie Froschtouren anbieten können. "Es sind 22 Spezies. Vor zwei Jahren hatten wir vier oder fünf." Der Frosch, der für Costa Rica steht, ist darunter: rote Augen, grasgrün, Rotaugenlaubfrosch. Aber auch der Gemeine Regenfrosch. Der winzige Blue-Jeans-Frosch, erdbeerrot mit blauen Beinkleidern. Oder der Glasfrosch, durch den man durchschauen und das Herz schlagen sehen kann.
Der Regenwald ist ein Abenteuer - allein schon wegen der Intensität, der Lautstärke, der Vielfalt an Formen, Mustern und Farben. Wegen der schieren Menge an Pflanzen und Tieren. Weil alles, was uns zumindest bekannt erscheint, viel größer ist: Schmetterlinge, Gummibäume, Farne, Ameisen, Baumriesen. So als hätte jemand zu viel Dünger draufgegeben.
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Was bekommt man, wenn man in Costa Rica nach "Soda" fragt? Und fliegt wirklich eine Trambahn durch den Regenwald? Testen Sie sich auf die Schnelle in sieben Fragen - im Reisequiz der Woche.
Roberto Quiros schreitet mit Rangerhemd, Outdoorhose, Gummistiefeln und einem Beobachtungsspektiv durch einen Wald in Guanacaste an der Pazifikküste. Eigentlich eine trockene Gegend, aber genau hier, um Ostional herum, bleibt es das ganze Jahr über grün. Überall finden sich Mangroven und tropische Feuchtwälder, bis 50 Meter hohe Bäume. Roberto ist Biologe und arbeitet für ein Hotel, durch dessen Privatreservat er gerade führt. "Seht ihr den Baum da drüben? Der mit den vielen Dornen am Stamm? Die hat er nur solange er jung ist. Später muss er seine Blätter nicht mehr so schützen." Er tippt mit der Fingerspitze gegen ein dünnes Zweiglein einer Akazie. Sofort krabbeln Ameisen heraus. Bereit, den Störenfried ordentlich zu piksen. Eine Symbiose. Erst denkt man sich, die drei Kilometer Wege, die die Lagarta Lodge auf 35 Hektar Reservat angelegt hat, sind nicht viel - aber schon, was man auf 300 Metern über die Natur gelernt hat, ist abenteuerlich, der Wald voller Geschichten. Dabei warten am anderen Ende noch die Krokodile. Die Anwesenheit der Brüllaffen ist nicht zu überhören, und die Kolibris kommen sogar auf den Balkon.
Für alle, denen das nicht aufregend genug ist, gibt der Regenwald auch einen prima Abenteuerspielplatz ab. Wie bei La Fortuna, in der Nähe des Vulkans Arenal: Die rasante Fahrt geht auf ein Blätterdach zu. Unten die Schlucht, links der Wasserfall. Fast einen Kilometer weit und fast hundert Meter hoch streckt sich die Zipline. Die Baumkronen auf der anderen Seite kommen immer näher. Wie soll das gehen? Aufatmen: Der Canopy-Anbieter hat rund ums Drahtseil ein Loch in die Natur geschnitten. Zweimal knallt es laut. Ist was schiefgegangen? Nein, das sind die automatischen Seilbremsen, damit heransausende Canopisten nicht übers Ziel hinausschießen. Beim Canopying zieht man einen Klettergurt an, klinkt sich mit zwei Karabinern in einen Metallschlitten an dicke Drahtseile, die durch die Wipfel und über Schluchten gespannt sind. Ein bisschen wie auf Kinderspielplätzen, nur in schnell und groß. Viel Action lockt die Menschen inzwischen in den Regenwald: Rafting, Canyoning, Waterfall Jumping, Tarzan Swing und Canopying oder Ziplining. Letzteres soll sogar im Land erfunden worden sein. 1979, von einem Biologen, der in den Baumkronen forschen wollte. Natur, Regenwald und Abenteuer sind in Costa Rica eben nicht voneinander zu trennen.