Costa Brava:Ein Pyrenäenbesuch

Erkundungen an der Costa Brava: Spektakuläre Natur, wenig unberührte Buchten und die Erinnerung an Salvador Dalí.

Von Clemens Klünemann

Der Kunst wegen an die Costa Brava? Kenner berühmter Museen in den Metropolen, regelmäßige Besucher fast mythischer Kunst-Pilgerstätten wie dem Saint-Paul de Vence von Henri Matisse oder Spurensucher des Impressionismus auf den Waldwegen von Barbizon würden darüber wohl eher die Nase rümpfen:

Figueras; ddp

Der 'Torre Galatea' in Figueras wurde nach Dalís Frau Gala benannt.

(Foto: Foto: ddp)

Die Costa Brava im Nordosten Spaniens hat seit dem ersten Spanien-Boom des deutschen Tourismus der sechziger Jahre ein ähnliches Renommee wie Mallorca: viel Sonne, viele Touristen, die in der Regel wenig Berührung mit Landestypischem haben und wohl kaum der Kunst wegen hierher kommen.

Offenbar gab es jedoch genug Gründe, den inzwischen eher berüchtigten Küstenabschnitt zwischen den Pyrenäen und Barcelona zu besuchen: Lange bevor die ersten Sonne suchenden Touristen kamen, wurde diese Küste von denen entdeckt, die hier das eigenartige Ensemble von bizarren Felsformationen und mediterranem Licht suchten und fanden.

Allerdings tut sich schwer, wer sich heute neben den deutschen Vorgärten ähnelnden Ferienanlagen und hinter dem Beton der Hotelmauern auf die Suche macht, um Spuren dieses frühen, ganz anderen Tourismus zu entdecken.

Gottverlassene Fischerdörfer

Denn Touristen waren auch Mirò und Picasso, Eluard und García Lorca, Derain und Matisse und die vielen anderen, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts Paris, Madrid und Barcelona verließen, um in der Abgeschiedenheit gottverlassener Fischerdörfer an der Mittelmeerküste neuen Elan für ihre Werke zu finden:

Die Unberührtheit Arkadiens scheint die Costa Brava gerade an der Stelle versprochen zu haben, wo die Pyrenäen spektakulär und gewaltig aus dem Meer auftauchend sich himmelsstürmend zu schneebedeckten Gipfeln auftürmen und wo das elegante, manchem fast manieriert erscheinende Frankreich auf die raue und verschlossene Kultur Spaniens trifft.

Nördlich und südlich des Cap de Creus unweit der Grenze finden sich in der Tat noch einige Spuren dieses frühen Reisens: Vor allem die "Bar des Templiers" im französischen Collioure lässt das Flair dieser Zeit erahnen, als die Großen der modernen Malerei ihre Staffeleien zwischen den Fischernetzen aufgestellt hatten; angeblich wurde mancher Aperitif mit einem Aquarell für den Wirt beglichen, und beim Pastis seien Farben und Stimmungen der Gemälde mit den Fischern und anderen Kneipengästen diskutiert worden.

Enge Kehren, steile Felsen

So schön die geschwungene Küstenstraße nach Süden ist und so atemberaubend sich der Weg in engen Kehren hoch über den steil abfallenden Felsen in Richtung spanischer Grenze windet, so bedrückend wird plötzlich das Land:

Die Terrassen der ehemaligen Olivenplantagen zerbröckeln und schwarze Stümpfe, die aus dem üppigen Unkraut hervorlugen, zeugen davon, dass spätestens seit den letzten Bränden mit Landwirtschaft hier kein Euro mehr verdient wird.

Ebenso fremd muten die Bahnhöfe in den beiden Grenzdörfern Cerbère und Port-Bou an: Als ob man - auf spanischer und auf französischer Seite - die Pariser Gare du Nord in eine enge Bucht habe quetschen wollen, zeugen diese Ungetüme in dörflicher Umgebung von der Zeit, als die Hälfte des Warenverkehrs zwischen der iberischen Halbinsel und dem übrigen Europa sowie fast der gesamte spanische Tourismus hier abgewickelt wurde.

In den Zeiten von Flugreisen und abgeschaffter Zollkontrolle haben die Bahnhöfe kaum noch eine Funktion und wirken um so deplatzierter, allerdings erinnern sie auch daran, dass für viele die Pyrenäengrenze bis in die jüngste Geschichte schier unüberwindbar war und es besonderer Anstrengungen bedurfte, von Frankreich nach Spanien oder von Süden nach Norden zu kommen:

Salvador Dalí; AP

Der Maler Salvador Dalí war ein Exzentriker.

(Foto: Foto: AP)

Letzteres haben unzählige geschlagene Republikaner erfahren müssen, die nach erfolglosem Kampf gegen Francos Truppen im französischen Cerbère zum ersten Mal wieder aufatmen konnten.

Übergang ins Ungewisse

Wenige Jahre später waren es wiederum vor blutrünstigen Diktatoren Flüchtende, denen - nun in umgekehrter Richtung - die Pyrenäengrenze zum Verhängnis zu werden drohte: Fast alle deutschen Exilanten, die nach der Besetzung Frankreichs im Frühsommer 1940 nach Amerika weitergeflohen sind, haben Frankreich hier verlassen, um in Lissabon ein Schiff in die neue Welt zu erreichen.

Das Denkmal für Walter Benjamin, der sich im September 1940 auf der Flucht in Port Bou das Leben nahm, zeigt, dass der Übergang über die Pyrenäen für viele ein Weg ins Ungewisse war:

Unterhalb des Friedhofs, auf dem Benjamin beerdigt worden ist, führt ein schmaler Eisentunnel hinab und endet auf einer Glasplatte in schwindelnder Höhe über dem Meer.

Die weiter in Richtung Süden führende Straße lässt den Reisenden auch an einem fahlen Wintertag ohne gleißendes Sonnenlicht, Badefreuden und Parkplatzsorgen fast vergessen, dass er in Spanien ist: Englisch- und deutschsprachige Schilder, auf denen für irgendein Restaurant oder irgendeine Disco geworben wird, zieren den Straßenrand.

Tisch- und Stuhlberge

Auch wenn die meisten Geschäfte und Restaurants in der Nebensaison geschlossen sind, zeugen die verwaisten Caféterrassen, auf denen gestapelte und gegen Wind und Regen der Wintermonate mit Planen geschützte Tisch- und Stuhlberge auf den nächsten Sommer warten, vom sommerlichen Andrang.

Auch jetzt kann der Gast in einem der wenigen geöffneten Restaurants wie selbstverständlich seine Gerichte auf holländisch, deutsch, italienisch oder russisch bestellen, und über die neonbeschienene Fast-Food-Tristesse, mit der man offenbar den Geschmack der Touristen treffen will, trösten nur die bizarren Übersetzungen der Namen spanischer Gerichte hinweg.

"Warum kommen die Leute nicht weiter als bis zur Ostküste?" fragt sich Cees Nooteboom in seinem Spanien-Buch "Unterwegs nach Santiago". Aber hier an der Ostküste scheint die Frage viel wichtiger, warum die Einheimischen ihr Land und ihre Küste zur Ware gemacht und an die Tourismusbranche verscherbelt haben.

Kulisse mit Hochhaustürmen

Und so wird die kurvenreiche Fahrt an der Steilküste entlang fast zur Ernüchterung, besonders, wenn am Horizont die Kulisse von Rosas auftaucht: Was einstmals ein Dörfchen von etwas mehr als tausend Einwohnern war, macht mit seinen Hochhaustürmen locker den Schlafstädten deutscher Ballungsgebiete Konkurrenz.

Kurz vor Rosas jedoch biegt von der Küstenstraße, die hier ein paar Hundert Meter landeinwärts verläuft, eine Abzweigung in Richtung Cadaqués ab, von dem die Reiseführer als einem verwunschenen Fischerdörfchen schwärmen.

Aber von welchem Ort an der Küste sagen sie dies nicht, und wie groß sind dann die Enttäuschungen, wenn man statt malerisch ausgebreiteten Fischernetzen auf den Uferpromenaden den drängelnden Autokolonnen ausweichen muss.

Die noch frühjährliche Jahreszeit lässt diese Gefahr jedoch kaum real erscheinen, und da die Straße nach Cadaqués auch dort endet, ist sie für den immer eiligen Durchgangsverkehr eher ein Umweg.

Muss also die Hoffnung auf das von den Malern des frühen 20. Jahrhunderts gesuchte (und an der Costa Brava gefundene) mediterrane Flair doch noch nicht aufgeben, wer an der Passhöhe unterhalb des Simonets-Massivs in Richtung Küste abbiegt?

Er soll in der Tat nicht enttäuscht werden: Nach einigen Kurven gibt die enge Straße den Blick plötzlich auf die Bucht frei. Von der Passhöhe aus ähnelt sie einem überdimensionalen Amphitheater, in dessen ersten Reihen die Häuser des Ortskerns sich um die riesige Bühne sammeln, auf der das immer gleiche Stück in allen Variationen aufgeführt wird:

Mal ruhig, mal wütend

Das Meer, mal ruhig und glatt wie ein See, mal wütend aufgewühlt und vom Orchester des Windes und schwarzer Wolken begleitet, und wie der Protagonist eines Dramas ragt aus dieser blauen Bühne ein schwarzer einsamer Fels, an dem sich die Wellen brechen. Schon von weitem ist El Cucurucuc zu sehen und fast noch mehr als die Kirche ist seine pyramidenartige Silhouette das eigentliche Wahrzeichen von Cadaqués.

Dazu ist der Fels durch den bekanntesten und skurrilsten Einwohner des Ortes geworden, der ihm in vielen seiner Bilder ein Denkmal gesetzt hat: Nicht aus einer der fernen Metropolen angereist, sondern als Kind dieser Gegend hat Salvador Dalí, der in dem 20 Kilometer entfernten Städtchen Figueras geboren wurde, Cadaqués schon früh zu seiner eigentlichen Heimat erkoren:

Lange bevor er mit seinen surrealistischen Bildern bekannt wurde, hat Dalí die Kirche, die Häuser, die Felsen und das Meer dieser Bucht in allen möglichen Variationen gemalt; und immer wieder taucht, mal im Zentrum, mal verstohlen in einer Ecke El Cucurucuc auf wie die fast obsessive Bekräftigung, dass es sich nur um die eine Bucht auf seinen Bildern handeln könne.

In Cadaqués ist die Erinnerung an Dalí inzwischen allseits präsenter als zu dessen Lebzeiten, die der seit den siebziger Jahren populäre Künstler in Port-Lligat, einer kleinen Bucht hinter dem Friedhof des Ortes verbrachte.

Das Leben mit Gala

Sein Wohnhaus, ein eigenwilliges Ensemble aus Fischerhütten, die der Künstler zu seinem Refugium umgestaltete, ist seit einigen Jahren als Museum zugänglich.

Hier verbrachte er inmitten dessen, was die spätere Kunstkritik Installationen nennen sollte, sein Leben mit seiner Frau Gala, die nach einem Cadaqués-Besuch mit ihrem ersten Mann Paul Eluard im Jahr 1929 so begeistert war, dass sie letzteren kurzerhand nach Paris zurückschickte und fortan in die eigenartige Welt des Salvador Dalí eintauchte.

Immerhin war er es, der in den Zeiten des ersten Costa Brava-Booms Cadaqués vor dem Schicksal der anderen Küstenorte bewahrte: Hotels wollte er nicht, Fremde mochte er nur, wenn sie sich devot genug dem Meister näherten und dann auch wieder verschwanden.

Der Patron des Tourismus

Deshalb ist es fast eine Ungereimtheit, dass die Stadtväter heute versuchen, Salvador Dalí zum Patron des lokalen Tourismus zu machen: Ein Museum stellt Werke des Künstlers aus, von denen nicht einmal klar ist, ob es sich um Originale handelt.

Ein bunter Zug im Western-Look steuert im Stundentakt Port-Lligat an und gibt den Fahrgästen über Lautsprecher einen Schnellkurs in Surrealismus, und am Hafen hat die "Gesellschaft der Freunde Dalís" ein eher konventionelles Standbild errichtet.

Als Dalí noch in Cadaqués lebte mischte er sich wie ein Patron in die öffentlichen Angelegenheiten der Stadt ein, was den Honoratioren keineswegs behagte. Jetzt, mehr als zehn Jahre nach seinem Tod, setzen sie ihn als Magneten für kunstsinnige Touristen ein.

Der Kauz von Port-Lligat

Die größte Hommage an Dalí wäre allerdings Dankbarkeit dafür, dass er seinerzeit durch seine Interventionen verhinderte, dass sich Cadaqués dem hemmungslosen Verkauf an den Massentourismus auslieferte.

Sogar an einen Tunnel hat man damals gedacht, um dem erwarteten Besucherstrom die kurvenreiche Passfahrt zu ersparen. Da in den Sommermonaten auch ohne Tunnel unzählig viele Autos kommen, dient das in der Hauptsaison ausgetrocknete Flussbett am Ortseingang als Parkplatz.

In den Gassen und auf den Plätzen des Ortes herrscht hier eine Lebhaftigkeit, die an die Ramblas im nicht weit entfernten Barcelona erinnert: Bars und Kneipen sind geöffnet, ebenso einige Buchläden, wo man Interessantes über katalanische Geschichte und Kunst findet.

Vornehm gekleidete Senores ziehen sich nach einem Aperitif am Hafen in eines der vielen kleinen Restaurants zurück. In der Tat ist Cadaqués schon immer ein traditioneller Zweitwohnsitz der betuchten Bürger aus Barcelona gewesen.

Den Kauz in Port-Lligat haben diese Leute wohl eher belächelt, ebenso seine verrückte Villa mit den überdimensionalen Eiern und den kubistischen Figuren, die das Dach zieren.

Man baute sich selbst seine Sommerhäuser in den Olivenhainen oder renovierte eines der Häuser im Ort, die sich wie in Andalusien um einen schattigen Innenhof aufbauen und auf den Dächern Platz genug für von Bougainvilleen überwucherten Terrassen bieten, auf denen steinalte Agaven in riesigen Tonkrügen wachsen.

Von diesen Terrassen aus schaut man weit über die Bucht bis zum Cap de Creus, dem östlichsten Punkt der iberischen Halbinsel, dessen Leuchtturm in der Abenddämmerung die Küste mit seinem immer wiederkehrenden Lichtkegel überzieht.

Steile Felswände

Steil fallen südlich von Cadaqués die Felswände ins Meer und öffnen sich ab und an zu einsamen Buchten, zu denen nur schmale Saumpfade führen. Kaum zu glauben, dass im nicht einmal zehn Kilometer von hier entfernten Rosas die Küste völlig verbaut ist.

Immer wieder trifft man beim Wandern rund um den Ort auf vom Unkraut überwucherte Bunker und Reste von Schützengräben: Der Spanische Bürgerkrieg hat in Katalonien und besonders in der Nähe der französischen Grenze seine Spuren hinterlassen.

Vom "Land seiner Sehnsucht" spricht der fast sechzigjährige Hans Christian Andersen, als er im September 1862 aus seiner dänischen Heimat kommend in einer schaukelnden Postkutsche das Gebirge überquert und unweit der Passhöhe oberhalb von Cadaqués plötzlich den Küstensaum und das Meer sieht.

Das rollende Meer

Freilich, von den grünen Pinienwäldern, von denen er in seinem Reisetagebuch schwärmt, sind nur noch kleine Inseln im kargen Felsmassiv übrig, aber immer noch "wogt das Meer so blau und unendlich", dass es den Dänen begeistert: "Wie herrlich ist es doch, dem rollenden Meer entlang im klaren Mondschein dahinzufliegen!"

Fast wie eine Antwort auf Andersens Lobpreis klingt der eingravierte Schriftzug auf den bunten Tonziegeln, welche die Sonnenuhr auf der Fassade der Kirche zieren: Von jeder Terrasse, ja von fast jeder Stelle des Ortes aus ist sie zu sehen, und zwei vom Wind gebeugte Zypressen rahmen sie ein. "Tu sensa fe, yo sensa sol - no valem res", heißt es da: "Du ohne Glauben, ich ohne Sonne - das taugt nichts."

Ist dieser Satz, der dort schon stand, als die Bucht von Cadaqués sich den ersten Besuchern öffnete, eine verschmitzte Botschaft an jeden Reisenden?

Gleißend und versengend

Was dieser auch glaube, mit welchen Motiven er auch komme und was immer er hier suche - finden werde er den Reiz dieser Küste erst in der trotz ihrer Kargheit reichen Natur und in dem ständig sich ändernden Blau des Meeres und der Majestät der unerreichbaren Felsen, vor allem aber im Wechselspiel des Sonnenlichtes, das im Sommer gleißend und versengend über den kahlen Berghängen steht, um dann für drei Jahreszeiten die Bucht in ein mildes Licht zu tauchen, das jedem einzelnen Baum, jedem noch so unscheinbaren Felsen und den sich bis zur Kirche aufstrebenden Häusern von Cadaqués ihre eigene, ihre eigentliche Farbe gibt.

Manchmal hat Salvador Dalí sie in den Bildern seiner Bucht getroffen, in natura begegnet man ihr hier überall.

Informationen: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 63, 10707 Berlin. Telefon: 030/ 882-65 43, Fax: -66 61, E-Mail: berlin@tourspain.es, Internet: www.spain.info

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: