Süddeutsche Zeitung

Die Krise auf Mallorca:Eine Insel macht dicht

Auf Mallorca schließen diese Woche alle Hotels. Touristen müssen ihren Urlaub abbrechen, Häfen und Flughäfen leisten nur noch Grundversorgung. Die Folgen sind unabsehbar.

Von Brigitte Kramer

Es wird leise über Mallorca. Am Dienstag hat die spanische Zentralregierung beschlossen, den Flugraum über den Balearen fast vollständig zu schließen. Sie will damit die rund eine Million Bewohner der Inselgruppe vor dem Coronavirus schützen. Wo normalerweise alle paar Minuten ein Flugzeug landet, gilt ab Donnerstag, Mitternacht, dass es nur noch einen Flug pro Tag und Fluglinie geben soll - und zwar nur von und nach Madrid, Barcelona und Valencia und zwischen den Inseln Mallorca, Menorca und Ibiza. Die gelandeten Passagiere sollen direkt am Flughafen medizinisch untersucht werden. Die Häfen sollen für Passagiere total geschlossen werden, nur noch Waren dürfen gelöscht werden.

Palmas Flughafen ist seit Wochenanfang in zwei Welten geteilt. Im Ankunftsbereich herrscht geisterhafte Stille, denn seit Sonntagnacht gilt in ganz Spanien der sogenannte Alarmzustand. Keine Wanderer, keine Radler, keine Zweithausbesitzer, keine Golfer, wie sonst um diese Jahreszeit, kommen noch herein. Viele In- und Auslandsflüge stehen zwar noch auf der Anzeigetafel, aber die Glastüren, durch die Passagiere den Gepäckbereich verlassen, öffnen sich nur selten. Und wo sich sonst Mitarbeiter von Hotels oder Reiseveranstaltern drängen, um Reisegruppen zu begrüßen und sie zum Shuttlebus zu begleiten, ist weit und breit niemand zu sehen. Nur ein paar aus Madrid, Valencia oder Sevilla heimkehrende Studenten, Arbeiter oder Geschäftsreisende kommen durch die Tür, viele mit Mundschutz und ernster Miene. Es sind die letzten Passagiere.

Die wenigen Flugzeuge, die derzeit noch aus Deutschland oder Großbritannien landen, sind leer. Ihre Mission: festsitzende Urlauber zurückbringen. Die von Außenminister Heiko Maas angeordnete "Luftbrücke" gilt auch für Mallorca und die drei Nachbarinseln. Am Dienstag befanden sich noch 25 000 Touristen auf den Balearen. Deshalb herrscht am Flughafen eine Etage höher bei der Gepäckabfertigung auch Geschäftigkeit. Lange Schlangen haben sich - mit dem gebotenen Sicherheitsabstand zwischen den Wartenden - vor den Schaltern zum Einchecken gebildet. Am Montag wurden hier von 272 geplanten Starts und Landungen immerhin noch 236 durchgeführt, am Dienstag gab es schon keine Zahlen mehr, weil sich stündlich etwas änderte. Das Gerücht, Mallorca werde ab Wochenmitte abgeschottet und der kommerzielle Flugverkehr eingestellt, brachte alles durcheinander.

Der Präsidentin der Inselregierung, Francina Armengol, kann die Evakuierung nicht schnell genug gehen. Sie hätte den Flughafen schon früher dichtgemacht. "Kommt nicht her!", bittet sie immer wieder. Denn noch sind die Balearen mit bislang 112 bestätigten Infizierten und zwei Todesfällen eine der spanischen Regionen mit der geringsten Erkrankungsrate. Damit das so bleibt, will sie die Inseln möglichst weitgehend abschotten - was auf Inseln ja relativ einfach ist.

Normalerweise beklagen sich die Bewohner über die Nachteile des Insellebens: Abhängigkeit vom Flug- und Schiffsverkehr, hohe Preise für Lebensmittel und sonstige Konsumgüter, denn alles, was die Insulaner zum Leben brauchen, kommt per Schiff an. Derzeit sind sie froh, wenn noch alles, was sie zum Leben brauchen, auch ankommt.

Die Abhängigkeit zeigt sich in diesen Tagen auch am Flughafen. Viele Touristen wollen nur noch weg, können aber nicht einfach ins Auto steigen und losfahren. Vor den Schaltern der Airlines im Flughafen bilden sich deshalb Schlangen. Die Stimmung ist angespannt, aber ruhig. "Wir müssen es nehmen, wie es kommt", sagt Heide Brand aus Wolfenbüttel, "aber ich hoffe schwer, dass sie uns hier nicht sitzen lassen." Brand war vor einer Woche zum Wandern gekommen und will nun nach Nürnberg und dann im Zug weiter nach Hause. Sie hat die vergangenen Tage ausschließlich im Hotel verbracht.

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Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit gilt nicht nur für die 46,6 Millionen Spanier, sondern auch für die Urlauber, die noch im Land sind. Auch Strandspaziergänge - selbst alleine - sind verboten. "Die Polizei hat uns gestern beim Flanieren aufgehalten und aufgefordert, ins Hotel zurückzukehren", sagt Manfred Haindl aus München, der in Port de Sóller Urlaub gemacht hat. "Wir wollen jetzt nur noch heim."

Am Hotelpool liegen ist dagegen erlaubt, denn die Auflagen gelten nur für den öffentlichen Bereich. Am Dienstag allerdings fing es zu allem Überfluss auch noch zu regnen an - der Pooltag fiel aus. Trotzdem will ein junges Paar aus dem Kölner Raum gar nicht so schnell von der Insel. Die beiden sind erst am Sonntag gekommen und wolle ihren bis Freitag geplanten und bezahlten Urlaub an der Playa de Palma durchziehen - notfalls im Hausarrest im Hotel. Doch die Fluglinie hat den Rückflug storniert. Sie müssen umbuchen und sind deshalb zum Flughafen gefahren, "denn am Schalter ist das jetzt wohl sicherer als online", sagen sie. Dort wird klar: Ihr Plan, bis Freitag zu bleiben, lässt sich nicht halten. Alle Hotels schließen im Lauf der Woche. Die letzten Gäste werden höflich gebeten, sich um einen Rückflug zu kümmern und das Zimmer zu räumen.

Vor einer Woche war das Szenario noch komplett anders: Der geplante Ausbau des Flughafens war in der öffentlichen Diskussion, weil in Zeiten von Overtourism eigentlich alle dagegen sind, außer der Betreiberfirma Aena. Bis zur Corona-Krise nutzten jährlich 26 Millionen Passagiere den Flughafen von Mallorca, er ist der drittgrößte Spaniens nach Madrid und Barcelona. Vom 1. Januar 2022 an wollte die Regionalregierung außerdem die Zahl und Größe der Kreuzfahrtschiffe reduzieren. Und es ging um die Bettenbelegung für Ostern, den Ausblick auf die Sommersaison, die Wasserreserven, die dieses Jahr nach vielen Regenfällen im Herbst und Winter ausnahmsweise gefüllt sind, die Imagekampagnen für die Playa de Palma und die neuen Auflagen zur Bekämpfung des Sauftourismus.

Doch schon als die in Berlin stattfindende Tourismusmesse ITB Anfang März abgesagt wurde, begannen Mallorcas Hoteliers und auch die Politiker, sich Sorgen zu machen. Jetzt sind alle im Alarmzustand. Es wird über Verfahren zum zeitweiligen Personalabbau diskutiert - Expedientes de Regulación Temporal de Empleo heißt es: Massenentlassungen, die dann rückgängig gemacht werden können, wenn das Geschäft auf der Insel wieder ins Rollen kommt. Die Regionalregierung hat für Firmen mit weniger als 250 Angestellten Kredite über 50 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Auch die Zentralregierung hat die enorme Summe von 117 Milliarden Euro aus der Staatskasse angekündigt, um spanienweit die Folgen der Pandemie abzuschwächen.

Eine Hoteldirektorin, die anonym bleiben möchte, isst und schläft seit Tagen im ohnehin fast leeren Hotel in Palma, denn sie ist praktisch Tag und Nacht im Einsatz. Sie muss Sicherheitsmaßnahmen beschließen und umsetzen, Stornierungen bearbeiten, alle Angestellten und dann auch sich selbst entlassen. Sie beschreibt ihre Arbeit so: "Ich suche gerade nach Lösungen, damit wir alle die nahe Zukunft überleben." Was danach kommt, verdrängt sie derzeit noch.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2020
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