Süddeutsche Zeitung

Tourismus in China:Urlaub unter Kontrolle

Immer mehr Chinesen reisen nach Deutschland. Bei den Deutschen dagegen ist China als Reiseland nur mäßig begehrt. Einige Reiseveranstalter wollen das ändern. Doch die Kooperation mit dem Staat hat ihren Preis.

Von Lea Deuber

Im Westen lockt die Weite mit Teefeldern, Berglandschaften und Schluchten. Im Osten sind nach 40 Jahren der wirtschaftlichen Öffnung Millionenmetropolen entstanden, so modern wie New York. Trotzdem schrecken viele deutsche Touristen vor einem Urlaub in China zurück. Während immer mehr Chinesen nach Deutschland und Europa reisen, entscheiden sich weniger Deutsche als früher für einen Aufenthalt in dem ostasiatischen Land. Die Zahlen stagnieren seit Jahren. Während 2012 noch 660 000 deutsche Touristen in das boomende Land reisten, waren es 2017 rund 25 000 weniger. Reiseveranstalter hierzulande sprechen von einer "immensen Delle".

Der Mann, der das ändern will, ist Guido Brettschneider. Er ist der China-Chef der Tui, Europas größtem Reiseanbieter mit Sitz in Berlin und Hannover. Seit 15 Jahren lebt der 46-jährige Manager in China. Geht es nach ihm, sollen die Deutschen ihre Liebe zu China wiederentdecken. Dafür hat er sich einen mächtigen Verbündeten gesucht. An einem Wintertag steht der Manager in einem Hotel am Münchner Hauptbahnhof. Neben ihm Gong Zheng, der Gouverneur von Shandong. Bekannt ist die Provinz als Geburtsstätte von Konfuzius, Chinas bekanntestem Philosophen. Dort liegt auch Qingdao, die ehemalige deutsche Kolonie, in der bis heute Bier nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wird. Mit mehr als einer Million Besucher feiert die Stadt jedes Jahr das größte Oktoberfest Asiens. Geht es nach Brettschneider und Gong, sollen deutsche Touristen China bald auf einer Reise durch die Provinz Shandong kennenlernen. "Ein Urlaubsparadies mit immenser Gastfreundschaft", wirbt Gong.

Die chinesische Mittelschicht reist gern. Auch im eigenen Land

Rund 100 Gäste hat das Shandonger Tourismusministerium nach München eingeladen. Dazu gehören eine politische Delegation aus China sowie deutsche und chinesische Reiseveranstalter. Auf der Bühne laufen Bilder der Provinz über eine Leinwand. Darauf die Strände in Qingdao, Teeplantagen und ein Konfuzius aus Stein. Bilder sagen mehr als tausend Worte. Vor allem sagen sie selten etwas Falsches. Nach der Ansprache von Brettschneider und Gong hat eine Schülergruppe des Konfuzius-Instituts aus München ein Quiz über die Kultur der Provinz vorbereitet. Anders als geplant, durften die Schüler den Gästen dann aber auf Druck der Organisatoren keine Fragen stellen.

Dass sich eine Provinz wie Shandong so vehement um Besucher aus Deutschland bemüht, ist durchaus bemerkenswert. Chinas Reisebranche boomt. Die wachsende Mittelschicht zieht es nicht nur ins Ausland. Mehr als 2,8 Milliarden Reisen unternahmen inländische Touristen im Jahr 2017. Dabei gaben sie 679,1 Milliarden US-Dollar aus. Mit der Geburtsstätte von Konfuzius und dem besten Bier des Landes könnte Gouverneur Gong gut auf eine Handvoll deutscher Touristen verzichten. Doch der Kader hat Höheres im Sinn. Die Provinz habe einen "Konfuzius-Tourismus-Plan" entwickelt, der nun implementiert werde, erklärt er. Ziel sei ein besseres Image der Provinz, nein, des ganzen Landes. Nicht zuletzt als wichtiger Angelpunkt der neuen Seidenstraße, Xi Jinpings weltweitem Infrastrukturprogramm. Der Präsident höchstpersönlich habe die besondere Wichtigkeit Shandongs betont, als Speerspitze für die Entwicklung des modernen Sozialismus, erklärt Gong stolz.

Die Ambitionen des Tui-Managers Brettschneider wirken im Vergleich sehr viel bescheidender: "Wir wollen noch mehr Kunden nach China bringen." Seit vielen Jahren bereits können deutsche Touristen mit dem Reiseveranstalter China kennenlernen. Per Schiff auf dem Jangtse oder bei einer Städtetour von Peking nach Shanghai. Shandong soll dem Geschäft neuen Schwung geben. Die Provinz habe den richtigen Folklore-Effekt, glaubt Brettschneider. Außerdem hat er nun die Unterstützung von Gong und seinem Ministerium. Das gemeinsame Abkommen umfasst zwar keine finanziellen Mittel, aber mit politischer Unterstützung öffnen sich in China viele Türen. Die Präsenz in China hat nämlich noch einen weiteren Vorteil: Die Bekanntheit der Marke Tui steige, vor allem unter chinesischen Konsumenten. Die sind nicht nur häufig zahlungskräftig, sondern auch zahlreich. Langfristig könnte das Unternehmen so sein China-Geschäft ausbauen und Chinas neue Mittelschicht zur Shoppingtour nach Europa bringen.

Wer im Land unterwegs ist, erlebt die permanente Überwachung

Beim Studienreiseanbieter Studiosus kann Gebietsleiter Holger Baldus nach schwierigen Jahren erstmals wieder gute Zahlen vorweisen. Um knapp 50 Prozent ist das China-Geschäft 2018 beim Münchner Anbieter gewachsen. Es entschieden sich 1942 deutschsprachige Touristen für eine Reise - im Vergleich zu anderen Fernreise-Zielen ein gutes Ergebnis, sagt Baldus. Im kommenden Jahr werden noch einmal einige Hundert Kunden mehr erwartet. Dass sich die Nachfrage langsam wieder erhole, liege auch daran, dass Studiosus bei seinen Reisen auf das "moderne China" setze, wie er es nennt. Durch die zahlreichen neu gebauten Zugstrecken können die großen Distanzen im Land bequem überwunden werden. Die Gäste müssen nicht mehr stundenlang an Flughäfen warten, weil die chronisch verspäteten Flieger ausfallen. Zudem sehen die Touristen mehr vom Land, das beim Blick aus dem Fenster an ihnen vorbeirauscht. Überhaupt ist das Reisen in China sehr viel einfacher geworden. In vielen Hotels und Restaurants kann mit Kreditkarte bezahlt werden. Viele Menschen sprechen Englisch, Ortsschilder in großen Städten sind nicht selten mit lateinischen Buchstaben beschriftet.

Grundsätzlich bemüht sich China auch um Touristen. Seit 2013 können Reisende, die danach in einen Drittstaat weiterfliegen, in mehreren Städten bei der Einreise ein Visum für 72 oder eines für 144 Stunden beantragen. Seit Januar gehört dazu neben Peking, Shanghai, Chengdu und Kunming auch Qingdao. Wer allerdings nicht weiterreist, muss von Deutschland aus ein Visum beantragen - das ist möglich in einem der fünf in Deutschland eingerichteten Visazentren. Touristenvisa kosten für deutsche Staatsbürger satte 125,45 Euro - wenn man eines bekommt. Zuletzt hatten deutsche Staatsbürger Probleme, die Nachnamen tragen, die vermuten lassen, dass sie oder ihre Familie aus der Türkei oder dem Nahen Osten stammen. In einigen Fällen mussten Touristen bereits vor der Einreise im Generalkonsulat in Deutschland Fingerabdrücke hinterlassen, um ein Visum zu erhalten. Mitarbeiter von kirchlichen Einrichtungen mussten Erklärungen abgeben, dass sie nicht missionieren - sondern nur in den Urlaub fahren wollen.

Und auch vor Ort endet die massive staatliche Überwachung nicht. Wer das Land bereist, erlebt hautnah die permanente Kontrolle durch den Staat, der Chinas Bürger im Alltag ausgesetzt sind. Seit einiger Zeit müssen alle Ausländer bei der Einreise nach China Fingerabdrücke abgeben. Dazu wird das Gesicht gescannt, die Aufnahme wird gespeichert, um überall im Land mit Bildern von Überwachungskameras abgeglichen werden zu können. In den Zügen erinnert eine Stimme auf Englisch daran, dass für die chinesischen Mitreisenden, die sich "nicht korrekt verhalten", ein Vermerk im individuellen Kreditinformationssystem droht. Eben jenem System, das ab 2020 landesweit alle Menschen aufgrund ihres Verhaltens bewerten soll. Holger Baldus reist seit 1991 regelmäßig nach China: "Noch spüren Touristen vor allem die positiven Effekte der Überwachung wie eine hohe Sicherheit", sagt er. Allerdings sei er sich selbst nicht sicher, wie lange es dabei bleibe.

Bei Reisen in die westchinesische Provinz Xinjiang sind die Konsequenzen für deutsche Reisende bereits spürbarer. Dort hält China laut Angaben der Vereinten Nationen mindestens eine Million Menschen in Lagern fest, die zu den muslimischen Minderheiten der Region, etwa den Uiguren, gehören. Ein erster deutscher Veranstalter, dessen Name zu seinem Schutz nicht genannt wird, stellt seine Reisen in die Region nun ein. Dessen Touristen seien 2018 bei ihren Reisen entlang der historischen Seidenstraße bis zu fünf Mal pro Tag kontrolliert und durchsucht worden. "Dort wollen die Behörden schlicht keine Touristen mehr sehen", erklärt ein Mitarbeiter des Reiseanbieters. Die Expeditionen seien deshalb aus dem Katalog gestrichen.

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SZ vom 03.01.2019/edi
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