Süddeutsche Zeitung

Capri in Schwarzweiß:Süden ohne Schmelz

Die Capri-Bilder des italienischen Fotografen Umberto D'Aniello zeigen die Insel von ihrer dämonischen Seite.

Thomas Steinfeld

Die Insel Capri ist keine menschenfreundliche Gegend. Es stehen dort zwar Zitronenbäume, und es sind gar nicht wenige. Auch Wein und Artischocken werden angebaut.

Aber milde ist, abgesehen vom Wetter zwischen Oktober und Mai, an diesem Ort höchst wenig. Ein nackter Felsen im Meer war diese Insel noch nach dem Zweiten Weltkrieg, das Wasser musste mühsam in Zisternen gesammelt werden, und hätte es die Ausländer nicht gegeben, die Touristen und die zumindest vorübergehend Expatriierten, wären diese paar Quadratkilometer eine Gegend für Ziegen und arme Fischer geblieben.

Aber warum kommen die Menschen aus den kälteren Regionen seit 200 Jahren in stetigem Fluss und mit nicht nachlassender Begeisterung? Sitzen auf derselben kleinen Piazza, laufen dieselben Wege treppauf, treppab, besuchen dieselben Gaststätten?

Und nur die wenigsten von ihnen verbringen ihre Tage an einem der beiden winzig kleinen, steinigen Strände - während die anderen auf ihren Aussichtspunkten ruhen und hinausschauen auf das Meer und den Golf von Neapel und immer wieder dasselbe sehen.

Der Italiener Umberto D'Aniello ist der Fotograf eines Bildbands über Capri, das sich in der Menge der Literatur über dieses kleine Fleckchen Erde ausmacht wie ein kalter Felsen im lauwarmen Wasser.

Schwarz und weiß sind seine Fotografien, und vor allem liefern sie das Bild einer urzeitlichen, zwar heroischen, aber im Grunde abweisenden, ja dämonischen Landschaft, der ein winterliches Kalabrien viel näher zu sein scheint als Portofino oder Saint Tropez.

Selbst die mondänen Menschen, die er gelegentlich auf das Bild bannt, so wie sie durch die Via Camerelle schreiten, eine der teuren Einkaufstraßen, oder auf der Terrasse des Hotels San Michele sitzen, erscheinen hier als herbe Gestalten eines melancholisch strengen Weltzustands, der seinen äußersten Ausdruck in dieser Insel im Mittelmeer zu haben scheint.

Und es spricht viel dafür, dass er in diesen Bildern weitaus mehr auch vom Reiz, von der Verlockung dieser Insel zu fassen bekommt als jeder andere der vielen Bildbände, denen mehr am süßen, am scheinbar mediterranen Leben gelegen ist.

Denn freundlich ist der europäische Süden selten gewesen - und als er sich, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, von der Stätte der antiken Kultur und Bildung entwickelte zur eigentlichen Heimat des sinnlichen Menschen, geschah dies unter den Voraussetzungen einer Prüfung: Diesem Licht, dieser Sonne, dieser Natur hatte man standzuhalten. So viel Körperlichkeit war auch eine Prüfung, und keine Gesellschaft gab es hier, die das solchermaßen Elementare hätte mildern können.

Den Text zu diesen höchst beeindruckenden Bildern hat Claretta Cerio geschrieben. Die Enkelin des Münchner Malers August Weber, 1927 auf Capri und tief in die schon damals internationale Gesellschaft der Insel hineingeboren, hatte 1953 den Capresen Edwin Cerio geheiratet, einst Schiffbauingenieur bei Krupp in Kiel, dann Bürgermeister seiner Insel, schließlich Schriftsteller und Essayist.

In seiner Person verband sich, von den zwanziger Jahren bis zu seinem Tod 1960, die ausländische Kolonie auf Capri mit den Einheimischen - und es war viel Prominenz darunter, von Jacques d'Adelswärd über Axel Munthe bis Graham Greene.

Claretta Cerio wächst in diese Welt hinein, als wäre sie eine Normalität, und hat vielleicht deshalb ein ebenso entspanntes wie distanziertes Verhältnis zu deren Künstlichkeit. Sie lebt schon lange nicht mehr auf Capri, weiß aber noch, wie die Insel wurde, was sie ist: der Ort, an dem alle Träume von der Befreiung des bürgerlichen Ichs durch den Süden schon einmal vorausgeträumt wurden, mit allen grandiosen Fehlern und schönen Irrtümern, die in diesen Träumen stecken.

YVONNE MEYER-LOHR (HRSG.): Capri. Mit Texten von Claretta Cerio und Fotografien von Umberto D'Aniello. Prestel Verlag, München 2007. 320 Seiten, 98 Euro.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2007
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